Thermoselect war einst die Hoffnung der Müllentsorger. Die in Karlsruhe aufgebaute Verschwelungsanlage hat allerdings nie den Probebetrieb überwunden und ist 2005 stillgelegt worden. Seither sind Schadenersatzklagen anhängig.

Karlsruhe - Die Müllverschwelungsanlage Thermoselect war lange Zeit eine Art Wallfahrtsort. Das war Ende des vergangenen Jahrhunderts. Abfallexperten aus ganz Europa kamen auf Besichtigungstour nach Karlsruhe, wo die einzige größere Anlage im europäischen Raum entstanden war. 2003, knapp fünf Jahre nach der Fertigstellung, hatte freilich der Betreiber EnBW die Reißleine gezogen und den Betrieb beendet. Doch auch fast zwölf Jahre nach der Stilllegung der Anlage ist kein Ende der Rechtsstreitigkeiten, geschweige denn ein Rückbau der im Karlsruher Rheinhafen weithin sichtbaren Industrieruine in Sicht.

 

167 Millionen Euro betrugen einst die Investitionskosten in eine der mutmaßlich modernsten Müllverbrennungsanlagen, so teilt jetzt die EnBW mit. Genauer gesagt handelte es sich um ein thermisches Verschwelungsverfahren, bei dem in einer Art Hochtemperaturreaktor die eingebrachten Abfälle angeblich rückstandslos – und vor allem: „ohne umweltschädliche Emissionen“ – oxidieren sollten. Der Müllofen, den manche als Ei des Kolumbus bezeichneten, war in einer protzigen „Industriekathedrale“ am Lago Maggiore im schweizerischen Tessin beworben worden: dem Sitz der Herstellerfirma. Doch am Ende war das Synonym „Thermodefekt“ zum geflügelten Wort geworden: Alle zuvor gemachten vollmundigen Versprechungen waren verpufft.

Schon im Jahr 2000, als laut damaligen Medienmeldungen angeblich „erstmals unter Volllast“ gefahren wurde, kriselte es. Gerade mal vier Wochen am Stück konnte bis dahin die 1998 fertiggestellte Anlage „als längsten Dauerlauf“ vorweisen. Viel mehr wurde es auch später nicht. 2003 wurde das Projekt gestoppt – 2005 stieg auch die Stadt Karlsruhe aus dem gemeinsamen Vertrag mit der EnBW aus. Seitdem ist die einst für 225 000 Tonnen Hausmüll pro Jahr konzipierte Anlage vor allem ein Fall für die Gerichte.

Dürftige Antworten

Zuvor bereits hatten die Karlsruher Bürgerinitiativen „Das bessere Müllkonzept ohne Verbrennung“ und der standortnahe Bürgerverein Daxlanden jahrelang gemeinsam gegen die Müllverbrennungsanlage gekämpft: und mussten sich insgeheim am Ende bestätigt fühlen. Damals kursierten sogar Zahlen, das Karlsruher Thermoselect-Abenteuer habe über 400 Millionen Euro gekostet. In ähnlicher Höhe wurden die Schadenssummen genannt, die später vor Gericht behandelt wurden.

Eher dürftig blieben die Antworten der EnBW auf Fragen besagter Karlsruher Bürgerinitiativen, als diese im Vorfeld der EnBW-Hauptversammlung diesen April Auskunft begehrten: gerade mal die heute noch anfallenden Hafenliegegebühren von jährlich 90 000 Euro gab der Vorstand preis. Die auf das Jahr 1994 zurückgehende Vereinbarung mit den städtischen Rheinhäfen für das so genannte „Ufergeld“ gilt insgeheim eher „als ein Schnäppchen“.

Tatsächlich sind seit 2003 weitere Kosten in Höhe von rund 8,5 Millionen Euro entstanden. Der Großteil dieser Kosten sei „durch das Trockenlegen“ der Anlage verursacht, räumte jetzt auf Anfrage ein Sprecher der EnBW ein. Nicht gerade billig: etwa 700 000 Euro pro Jahr für eine stillgelegte Anlage.

Noch kein Ende der Klagewelle

Erstmals urteilte das Landgericht Karlsruhe Ende Juni 2006 (Az.: 13 O 79/04 KfH I) über eine Schadensersatzklage der Tessiner Firma Thermoselect S.A., die sich laut EnBW-Angaben „zuletzt auf 580 Millionen Euro belief“, und wies die Klage ab. Das wurde im November 2007 vom Oberlandesgericht Karlsruhe (Az.: 8 U 164/06) im Grundsatz bestätigt.

Das OLG Karlsruhe hatte noch in einer Pressemitteilung zu einer Anhörung im September 2007 von rund 210 Millionen Euro möglichem Schadenersatz gesprochen. Fast zeitgleich war ein Schiedsgerichtsverfahren beim OLG Stuttgart anhängig (Az.: 1 SchH 4/07). Zwei Beschwerden (2009 und 2011) wurden vom BGH zurückgewiesen (Az.: III ZB 91/07). Noch einmal landete der Fall 2013 (Az.: X ZR 34/11) vor dem BGH, wurde aber auch da zugunsten der EnBW entschieden.

Könnte demnach nicht bald mit dem Rückbau der Anlage im Karlsruher Rheinhafen begonnen werden? Oder zumindest mit den Planungen dafür? Das sieht man bei der EnBW etwas anders. Planungen über eine weitere Verwendung des Geländes und einen etwaigen Rückbau würden „nach dem endgültigen Abschluss der Rechtsstreitigkeiten“ in Angriff genommen, teilte dazu der EnBW-Sprecher lapidar mit. Auch über Kosten für den Rückbau „könnten heute keine belastbaren Zahlen genannt werden“. Der Grund: seit 2012 sind neue Verfahren in Zürich anhängig.