In der Jubiläumsausgabe von Michael Endes "Jim Knopf und Lukas der Lokomotivführer" bleibt der Satz "Das dürfte vermutlich ein kleiner Neger sein" bestehen. Das teilte der Stuttgarter Verlag Thienemann-Esslinger mit und nimmt Stellung zu der Entscheidung.

Stuttgart - „Das Land, in dem Lukas der Lokomotivführer lebte, hieß Lummerland und war nur sehr klein.“ Ein friedliches Leben sei es gewesen auf dem winzigen Eiland mit den zwei Bergen, schreibt Michael Ende 1965 weiter. Bis eines Tages ein fehlgeleitetes Paket alles durcheinanderbringt. Die vier Inselbewohner Frau Waas, Lukas, Herr Ärmel und ihr König finden im Paket den schwarzen Waisenjungen Jim, nehmen ihn liebevoll auf - bekommen aber Probleme, weil für ihn eigentlich kein Platz da ist. Das ist der Einstieg in Abenteuer, die längst ein Klassiker der Kinderliteratur sind: „Jim Knopf und Lukas der Lokomotivführer“ erschien am 9. August vor 55 Jahren.

 

Ein Dutzend Verlage lehnen Manuskript ab

Dabei musste Ende (1929-1995) anfangs gehörig kämpfen: Ein Dutzend Verlage lehnen sein 500-Seiten-Manuskript ab. Lotte Weitbrecht vom Thienemann Verlag in Stuttgart erkennt das Potenzial der Geschichten mit dem Scheinriesen Tur Tur, dem frustrierten Halbdrachen Nepomuk, Meerjungfrau Sursulapitschi und der Piratenbande Wilde 13.

1961 erhält Michael Ende den Deutschen Jugendliteraturpreis. „Das war der Durchbruch“, erzählt Neffe Hansjörg Weitbrecht. Heute sind die Abenteuer von Jim und Lukas in 33 Sprachen übersetzt, darunter thailändisch, paschtunisch, albanisch und arabisch. Nach Angaben des Verlags Thienemann-Esslinger sind weltweit fünf Millionen Exemplare verkauft. Nicht ganz so viel wie von Otfried Preußlers (1923-2013) „Kleine Hexe“, aber vergleichbar mit dessen „Hotzenplotz“.

Thienemann Verlag: Ende kann sich zu "Neger" nicht mehr äußern

Übrigens: Während Preußler kurz vor seinem Tod zustimmte, dass in „Die kleine Hexe“ das heute als rassistisch geltende Wort „Negerlein“ politisch korrekt ersetzt wurde, bleibt es in der neuen Auflage von Endes „Jim Knopf“ erhalten. Das Wort kommt in der Szene vor, als die Bewohner von Lummerland das fehlgeleitete Postpaket mit dem schwarzen Baby finden und Herr Ärmel sagt: „Das dürfte vermutlich ein kleiner Neger sein.“

Man habe sich entschieden, so der Verlag, den Begriff stehen zu lassen. Zum einen, weil sich Ende nicht mehr äußern könne, zum anderen, da er in der Szene vor allem dazu diene, Ärmel als Besserwisser darzustellen. Thienemann-Verlegerin Bärbel Dorweiler zitiert einfach Endes Scheinriesen Tur Tur, der weiter hinten im Buch weise sagt: „Eine Menge Menschen haben doch irgendwelche besonderen Eigenschaften. Herr Knopf, zum Beispiel, hat eine schwarze Haut. So ist er von Natur aus und dabei ist weiter nichts Seltsames, nicht wahr? Warum soll man nicht schwarz sein? Aber so denken leider die meisten Leute nicht. Wenn sie selber zum Beispiel weiß sind, dann sind sie überzeugt, nur ihre Farbe wäre richtig und haben etwas dagegen, wenn jemand schwarz ist. So unvernünftig sind die Menschen bedauerlicherweise oft.“

Eine Botschaft gibt es nicht

Einen Anteil am Erfolg von „Jim Knopf“ haben sicher die liebevollen Zeichnungen von F.J. Tripp, die für die Geburtstags-Ausgabe coloriert wurden. Und dann ist da die Augsburger Puppenkiste: Der Hessische Rundfunk produziert die Geschichten 1961/62 sowie 1976/77, allerdings nur für das Fernsehen. Im Theater selbst werden sie nie aufgeführt, berichtet Puppenkisten-Leiter Klaus Marschall. Und wie erklärt er sich den Erfolg? „Jim Knopf“ habe „alles, was Kinder interessiert und beschäftigt“. Die Produktionen habe Ende selbst „toll“ gefunden, berichtet Weitbrecht. „Weil sie nicht realistisch waren.“ Endes Meinung zur Techno-Version des Puppenkisten-Liedes „Eine Insel mit zwei Bergen“ aus den 90ern bleibt unbekannt. Er stirbt kurz vorher.

Es wird ganz viel diskutiert, welche Moral die Geschichte hat, welche Botschaft Ende senden will. „Keine“, bekräftigt Weitbrecht. Der Autor habe einfach eine gute Geschichte erzählen wollen. „Wenn Ende eins nicht wollte, dann war es, eine Botschaft rüberzubringen.“ Den moralischen Zeigefinger habe er geradezu „verabscheut“. Eine Einstellung, die ihm viel Kritik einbringt: Weltflucht und schlechter Einfluss auf Kinder wird seinem Fantasy-Buch vorgehalten.

Ende selbst soll mal gesagt haben: „Ich habe die Geschichte damals mit einer großen Unschuld geschrieben. Ich hatte mir überhaupt nichts davon versprochen, hatte das Buch einfach nur mir selbst erzählt.“ Roman Hocke, Endes Lektor und Freund, erzählt später, die Kritik habe dem Autor „ziemlich zugesetzt“. Ende fühlt sich eingeengt, wandert für Jahre nach Italien aus, wo sein gefeiertes Werk „Momo“ entsteht. Später folgt sein bekanntestes Buch „Die unendliche Geschichte“.

Auch Außenseite haben ihren Platz in der Gesellschaft

Experten sind sicher, dass in „Jim Knopf“ Endes Ablehnung des Nazi-Gedankenguts erkennbar wird. So darf das finstere Kummerland nur von reinrassigen Drachen betreten werden. Und karikiert Ende die NS-Propaganda vom Volk ohne Raum?

Schließlich schickt König Alfons der Viertel-vor-Zwölfte Lukas’ Lokomotive Emma weg, weil auf Lummerland mit dem Größerwerden von Jim einfach kein Platz mehr sei?

Ende sei es mit „Jim Knopf“ kongenial gelungen, Kinder und die vorlesenden Erwachsenen gleichermaßen anzusprechen, sagt Bettina Kümmerling-Meibauer, Germanistik-Professorin in Tübingen und Autorin des Lexikons „Klassiker der Kinder- und Jugendliteratur“. Satirisch thematisiere er den Rassismus bei den Drachen oder die Bürokratie bei den Chinesen - „ohne, dass die Kinder ausgeschlossen werden“. Auch wenn Ende Botschaften ablehnte, so stellte er doch dar, wie alle Außenseiter letztlich einen Platz in der Gesellschaft finden könnten.