Thilo Sarrazin hat wieder ein Buch geschrieben, Titel: „Der neue Tugendterror“. In ihm geißelt der Autor alle, die Kritik an ihm wagen.
Berlin - Berlin - Es muss eine prägende Erfahrung gewesen sein, die Thilo Sarrazin widerfuhr, als er vor dreieinhalb Jahren sein Buch „Deutschland schafft sich ab“ veröffentlichte. Opfer sei er geworden, so sagt er an diesem eigentlich so friedlichen Montagmorgen in Berlin, Gegenstand einer ganz bestimmten Form von Terror. Und wenn man dem ehemaligen Berliner Finanzsenator, Bundesbankvorstand und heutigen Pensionär glaubt, dann hält diese furchtbare Bedrohung inzwischen die Republik in ihrem Würgegriff.
Und da man das ja wenigstens noch sagen dürfen wird, sitzt Sarrazin jetzt auf dem Podium und stellt – „furchtlos“, wie zu erfahren ist – sein neuestes Machwerk vor: „Der neue Tugendterror. Über die Grenzen der Meinungsfreiheit in Deutschland“, heißt das Buch. Es sind etwa hundert Journalisten da, es gab einen Vorabdruck in der „Bild“-Zeitung, am Morgen des Erscheinungstages wurde der Autor ausführlich im „Deutschlandfunk“ interviewt, weitere Gespräche und Auftritte werden folgen.
Das muss ihm erst mal einer nachmachen
Als Sarrazin mit seinem ersten Buch und den darin enthaltenen Pauschalisierungen und umstrittenen Thesen zum Beispiel über die Vererbung von Intelligenz, oder die angeblich mangelnde Leistungsbereitschaft von Muslimen für Aufregung sorgte, war das nicht anders: Mindestens 23 Wortlautinterviews, dazu acht Stunden reine Fernsehsendezeit mit einer Nettoredezeit von 120 Minuten, außerdem 1,3 Millionen gut verkaufte Buchexemplare hatte der Autor damals laut einer Aufstellung des Mediendienstes Integration, um seine Sicht der Dinge zu verbreiten und zu erklären. Das muss ihm erst mal einer nachmachen. Aber es scheint nicht gereicht zu haben. Deshalb muss die Welt sich nun mit diesem neuen Sachbuch beschäftigen. Die Rezeption seines Werks und die Auseinandersetzung mit seinen Kritikern – man könnte auch sagen die mangelnde Diskursfähigkeit des Autors – bildet die Rahmenhandlung und Motivation. „Es haben sich verdeckte Formen der Formierung und Kontrolle von Meinungen herausgebildet. Diese informellen Prozesse sind mit Machtausübung verbunden – mit Medienmacht, mit politischer Macht.“ So lautet die Hauptthese Sarrazins, der glaubt, bestimmte Debatten dürften im Land der Gutmenschen wegen der „political correctness“ oder wegen des „Tugendterrors“ nicht geführt werden. „Beleidigt hatte ich das Weltbild der Verharmloser und Schönfärber im harmoniefreudigen Müsli-Milieu. Das löste offensichtlich den Hass aus.“
Munterer Millionär auf dem Podium
Eines der insgesamt sechs Kapitel beschäftigt sich ausschließlich mit der Unzahl an Journalisten und Politikern, die Sarrazins erstes Buch entweder nicht gelesen, nicht verstanden oder nicht richtig zitiert hätten, die ihn beleidigt und diffamiert hätten. Sarrazin, der da als Millionär munter auf dem Podium sitzt, erzählt selbstmitleidig davon, wie die Medien sich gegen ihn auf einen „Vernichtungstrip“ begeben hätten, dann aber im Angesicht der vielen Leser umgeschwenkt seien. – Gibt es einen solchen engen Meinungskorridor? Wovon wird er beeinflusst? Oder kann Sarrazin in Wirklichkeit einfach nicht ertragen, dass man ihm widerspricht? All das wären interessante Fragen, die Wissenschaftler seit langem erforschen und über die es sich als Journalist lohnen würde zu reflektieren.
Der DVA-Verlagsleiter Thomas Rathnow hat Recht, wenn er sagt: „Alle hier sind Teil des Spiels, keiner kann als Beobachter von außen auftreten und Objektivität beanspruchen“. Aber Sarrazin geht es gar nicht um diesen Diskurs – er will nur, dass endlich alle seine apodiktisch formulierten Positionen teilen, welche er im größten Kapitel ins Gegenteil verkehrt und als „14 Axiome des Tugendwahns“ geißelt.
Ironisch formuliert er da: Völker sind nicht verschieden, alle Kulturen sind gleichwertig, der Islam ist eine Kultur des Friedens, Männer und Frauen haben bis auf ihre Physis keine Unterschiede. Wer das behauptet, der ist in Sarrazins geschlossenem Weltbild ein Meinungsterrorist.