Thomas Berthold hat in den 90er Jahren für den VfB Stuttgart gespielt. Später war er Manager bei Fortuna Düsseldorf. Im StZ-Interview spricht er über beide Clubs und prophezeit den Sieg des VfB.

StuttgartThomas Berthold (47) hat einst lange beim VfB Stuttgart gespielt. Später war er dann von 2003 bis 2005 Manager bei Fortuna Düsseldorf. Am Samstag treffen beide Clubs aufeinander – wobei Berthold vor allem den VfB in die Pflicht nimmt.
Herr Berthold, Fortuna Düsseldorf liegt in der Tabelle vier Punkte vor dem VfB. Könnte das ein Dauerzustand werden?
Nein, es wird eine Momentaufnahme bleiben. Alle Aufsteiger sind ja gut in die Saison gestartet, nicht nur die Fortuna, sondern auch Eintracht Frankfurt und Greuther Fürth. Das ist nicht ungewöhnlich, denn solche Mannschaften tun sich in der Regel am Anfang einer Saison leichter. Aber ich denke, dass sich das alles in vier oder fünf Wochen wieder eingependelt hat.

Also gewinnt der VfB gegen Düsseldorf?
Alles andere würde mich wundern. Die Mannschaft braucht die Punkte auch dringend. Sonst wird es sehr ungemütlich.

Der Trainer Bruno Labbadia hat allerdings darüber geklagt, dass sein Kader im Sommer an Qualität verloren habe.
Julian Schieber und Matthieu Delpierre sind in der Tat nicht mehr da. Das ist Fakt. Das sind zwei Spieler, die Potenzial haben. Zudem hat sich der VfB gerade im Sturm auch nicht verstärkt. Ich habe gehört, dass der sportlichen Abteilung von der Vereinsführung vorgegeben wurde, die schwarze Null müsse stehen.

Da haben Sie richtig gehört. Die Anweisung stammt von dem Präsidenten Gerd Mäuser, der ein rigoroses Sparkonzept verfolgt. Wie bewerten Sie das?
Gegen vernünftiges Wirtschaften hat keiner was. Aber es kommt auf die Balance an. Der Sport darf darunter nicht leiden. Meiner Meinung nach muss ein Verein wie der VfB immer in der Champions League spielen. Diesen Anspruch muss man an dem Standort Stuttgart haben. Doch die Frage ist, was hier Priorität hat – der Sport oder die Wirtschaft. Der Spagat ist kompliziert.

Warum?
Ich glaube, dass die Zuschauer- und Marketingeinnahmen in der Bundesliga ausgereizt sind. Deshalb gibt es für die Clubs nur zwei Möglichkeiten, um so viel Geld zu verdienen, dass eine positive Haushaltsbilanz erreicht werden kann. Entweder klappt das über Spielerverkäufe, wie es Udinese Calcio in Italien seit Langem nahezu perfekt gelingt. Die zweite Option ist, dass man sich aus dem finanziellen Fleischtopf namens Champions League bedienen kann.

Die Variante von Udinese funktioniert aber wahrscheinlich nur mit Einschränkung?
Ja, Voraussetzung ist, dass der Verein die Spieler vorher selbst ausgebildet hat oder dass er ein international wirksames Scoutingsystem besitzt, das ihn in die Lage versetzt, Talente billig zu verpflichten. Sonst ist die Gewinnspanne später beim Weiterverkauf nicht so lukrativ.

Der VfB hat traditionell davon profitiert, dass er Eigengewächse wie Mario Gomez oder Sami Khedira teuer weitertransferieren konnte. Doch seit einiger Zeit stockt der Nachschub aus der Jugend.
Das liegt in der Natur der Sache. Man kann nicht jedes Jahr ein neues Supertalent aus dem Hut zaubern. Das schafft keiner.

Also müsste der VfB noch konsequenter die zweite Komponente verfolgen und seinen Scoutingbereich ausbauen?
Das ist aber auch nicht so einfach, denn dazu benötigt man viele Informationen und Kontakte. Die erhält man nicht von heute auf morgen. Hinzu kommt noch, dass es Clubs gibt, die sportlich besser aufgestellt sind als der VfB. Und wenn ein junger Spieler dann die Wahl hat, für einen Champions-League-Teilnehmer oder für einen Europa-League-Teilnehmer aufzulaufen, ist auch klar, wofür er sich entscheidet.

Für die Königsklasse wie Julian Schieber?
Das ist ein gutes Beispiel.

Das heißt für den VfB, dass alle Kräfte gebündelt werden müssen, um sich regelmäßig für die Champions League zu qualifizieren?
Dahin muss der Weg führen. Das muss das Ziel sein.

Der VfB hat vor dieser Saison aber gar kein Ziel ausgegeben.
Das finde ich falsch. Aus meiner Zeit als Fußballer weiß ich, dass man Ziele klar formulieren und definieren muss, um etwas erreichen zu können – auch wenn dann die Gefahr besteht, dass hohe Erwartungen aufgebaut werden. Wenn man nur bereit ist, Minimalziele zu benennen, liefert man den Spielern schon ein Alibi – nach dem Motto, der sechste oder siebte Platz reicht ja auch. Aber es ist doch viel schöner, mittwochs in der Champions League in London oder Mailand antreten zu können als donnerstags in der Europa League in Molde.

Befürchten Sie, dass sich der VfB künftig immer weiter von London und Mailand entfernt und den Anschluss zur nationalen Spitze verliert?
In der Bundesliga ist es doch so: neben den Bayern gibt es mit Dortmund inzwischen eine zweite Kraft. Die Schalker werden alles tun, um an den beiden dran zu bleiben. Die Wolfsburger geben Geld ohne Ende aus. Leverkusen will auch unbedingt oben mitmischen. Hannover hat sich etabliert. Was die machen, hat Hand und Fuß. Auf die muss man achten. Und die Bremer haben nach ein paar mageren Jahren einen großen Schnitt gemacht und könnten die Überraschungsmannschaft in dieser Saison werden. Sie sehen – die Luft ist dünn.

Speziell für den VfB?
In Stuttgart gab es schon immer ein Problem: Wenn man eine starke Mannschaft hatte, wurde sie schnell auseinandergerissen. So kam es ständig zu einer hohen Fluktuation im Team. Das muss sich ändern. Kontinuität ist erforderlich.

Sie herzustellen, ist vor allem die Aufgabe des Managers Fredi Bobic, mit dem sie einst in Stuttgart zusammengespielt haben.
Wir haben auch heute noch Kontakt. Er macht einen guten Job. Sein erstes Jahr beim VfB war sehr turbulent. Da ging es nur darum, den Abstieg zu verhindern. In seinem zweiten Jahr ist der Club nach einer tollen Rückrunde noch in die internationalen Ränge gerutscht. Diesen Schwung muss man jetzt mitnehmen. Daran muss sich auch der Trainer messen lassen.

Nach dem Aufstieg hat auch Düsseldorf viel Rückenwind. Sie waren bei der Fortuna von 2003 bis 2005 als Manager tätig.
Als ich anfing, lag der Verein am Boden und dümpelte in der Regionalliga vor sich hin. Ich kannte da keinen Menschen und hatte keine Zeit, etwas zu entwickeln. Trotzdem sind wir gleich im ersten Jahr in die dritte Liga aufgestiegen.

Das wurde wohl auch erwartet.
Aber dass das nicht so leicht ist, zeigt sich bei Red Bull Leipzig. Dort versucht man das seit Jahren vergeblich – mit einem Etat, der dem Budget eines Zweitligisten entspricht, und teilweise sogar mit Bundesligagehältern für manche Spieler.

Wie ist es bei der Fortuna unter Ihnen in der dritten Liga weitergegangen?
Mit Ärger und Theater hinter den Kulissen. Das kann man sich gar nicht vorstellen. Kurz vor dem Saisonstart wurde mir plötzlich mitgeteilt, dass der ganze Geschäftsplan hinfällig ist. Es gab kein Geld mehr. Trotzdem wurden wir Achter.

Und dann?
Ich bin gegangen. Als ich weg war, ist es plötzlich gelungen, über Privatleute neue Geldquellen zu erschließen. So konnte man die Mannschaft nach und nach verstärken. Ohne Geld kommt keiner in die Bundesliga.

Da ist die Fortuna jetzt.
Und da gehört Düsseldorf auch ohne Frage hin – von der Stadt, vom Umfeld und vom Stadion her.

Welche Perspektive hat der Verein?
In dieser Saison geht es nur um den Klassenverbleib. Insgesamt ist das Dilemma, dass die Stadt sowohl Inhaber als auch Betreiber des Stadions ist. Die Fortuna zahlt Miete. Das ist ein großer Wettbewerbsnachteil im Vergleich zu den Clubs mit einem eigenen Stadion. Das Schwierige wird sein, eine Lösung zu finden, die es der Fortuna ermöglicht, mit dem Stadion auch Geld zu verdienen.

Und wenn nicht?
Im Rheinland gibt es viel Industrie – und damit ist auch Geld im Umlauf. Da geht immer was. Aber der Rheinländer ist auch sehr speziell. Schauen Sie nur mal, wo der 1. FC Köln gerade steht und was da passiert.

Der Verein ist abgestürzt. Dieses Schicksal könnte auch Düsseldorf wieder blühen?
Wenn man vernünftige Leute vorne dran hat, kann man im Fußball schon etwas Positives bewegen – und die Fortuna hat vernünftige Leute vorne dran.