Nach sieben Jahren als Bezirksvorsteher verlässt Thomas Jakob Bad Cannstatt. Im Interview spricht er über Erfolge, potenzielle Aufgaben für seinen Nachfolger und die Bedeutung von Zeitfenstern.

Bad Cannstatt - Sieben Jahre lang ist Thomas Jakob Bezirksvorsteher von Bad Cannstatt gewesen. Nun verlässt er Stuttgarts größten Stadtbezirk in Richtung Hockenheim, wo er von Januar an als Erster Bürgermeister arbeitet. Im Interview spricht er über Erfolge, potenzielle Aufgaben für seinen Nachfolger und die Bedeutung von Zeitfenstern.

 
Herr Jakob, Cannstatt ist die Wiege des Automobils. Im vergangenen Jahr sind die Autos aber aus dem Stadtbezirk verbannt worden: Der Marktplatz wurde autofrei, die Waiblinger Straße zugunsten eines Fahrradwegs einspurig. Werden Sie in Hockenheim auch als Erstes die Autos aus der Stadt verbannen?
Da überschätzen Sie die Möglichkeiten eines Bezirksvorstehers. Ein Bezirksvorsteher ist Moderator und oft auch Mediator bei diesen Prozessen. Gerade die Diskussion um den Marktplatz hat sich über 30 Jahre hingezogen und eigentlich gab es sogar damals schon einen Beschluss für einen autofreien Marktplatz. Dieser wurde aufgrund massiven Drucks des Einzelhandels zurück genommen. Solche Entscheidungen sind immer Entscheidungen der Politik und nicht die des Bezirksvorstehers.
Ist dies einer der Gründe, warum Sie jetzt als Erster Bürgermeister in die Politik wechseln wollen? Haben Sie in dieser Position mehr Mitspracherecht?
Natürlich ist man als Erster Bürgermeister mehr in Entscheidungen und Gremien eingebunden als ein Bezirksvorsteher. So war zum Beispiel auch der Rückbau der Waiblinger Straße bereits mit der Eröffnung des Kappelbergtunnels beschlossen. Nun konnte aber statt des bloßen Rückbaus auch noch ein Radstreifen gebaut werden. Das ist aus meiner Sicht sogar besser. Und die Proteste und Begeisterungsrufe halten sich in etwa die Waage. Die neue Verkehrsführung muss sich noch einspielen und der Sommer ist sicher eher prädestiniert, einen Radweg zu benutzen als der Winter.
Es ist eher ungewöhnlich, dass sich ein Angehöriger der CDU für einen Radweg ausspricht. Ist das Amt des Bezirksvorstehers also nicht nur moderierend sondern auch eines, das gar nicht so viel mit der Parteizugehörigkeit zu tun hat?
Ich habe nicht den Radweg kommentiert, sondern den Vorgang als solchen. Aber wenn man schon eine Fahrspur wegnimmt, ist es besser, eine Radspur zu schaffen statt eines bloßen Rückbaus. Als ein Mensch, der tagsüber in Cannstatt unterwegs ist, muss ich klar sagen, dass der Durchgangsverkehr ein Problem ist. Verkehrsmäßig ist Bad Cannstatt stark belastet und leidet unter Dauerstaus. Es ist deshalb wichtig, den Verkehr auf den Sammelstraßen zu bündeln und dorthin zu lenken.
Das ist schon eine potenzielle Aufgabe für Ihren Nachfolger. Was muss der in Bad Cannstatt sonst noch anpacken?
Der Nachfolger oder die Nachfolgerin kann den Prozess auch nur moderierend begleiten, denn die überörtliche Verkehrsplanung wird vom Stadtplanungsamt gemacht. Auch wenn der Bezirksbeirat Anträge stellt, unterliegen diese einer Prüfung durch das Stadtplanungsamt und entsprechenden Beschlüssen des Umwelt- und Technikausschusses. Da ist der Bezirksbeirat nicht so durchschlagend, wenn er Beschlüsse fasst.
Wünschten Sie, dass Bezirksvorsteher und Bezirksbeirat mehr Einfluss nehmen könnten auf Entscheidungen, die den Stadtbezirk betreffen?
Betrachte ich ähnlich große Umlandgemeinden wie etwa Fellbach und Ludwigsburg muss ich sagen, dass dort die Entscheidungen schon viel direkter sind, weil die Gremien die Entscheidungsbefugnis haben. Wenn ich die Ortskerne dieser Gemeinden anschaue, sind uns diese Orte schon einige Schritte voraus.
Gilt das speziell für Bad Cannstatt?
Tatsache ist, dass Bad Cannstatt sich durch Gemarkungsfläche und Bevölkerungszahl deutlich von den anderen Stadtbezirken abhebt. Cannstatt war einmal eigenständig und hat auch heute noch dieses städtische Gepräge. Deshalb kann man Cannstatt mit anderen Bezirken nur bedingt vergleichen und müsste es eigentlich eher mit entsprechend großen Städten im Umland vergleichen.
Wie würden Sie sich das Konstrukt optimalerweise vorstellen?
Ich nehme einmal unsere Partnerstadt Budapest. Budapest hat gleich viele Bezirke wie Stuttgart, der elfte Bezirk heißt Ujbuda und ist unser Partnerbezirk. Er ist praktisch eine eigenständige Stadt mit einem Bürgermeister und einem Stadtrat, der die örtlichen Dinge entscheidet. Damit geht es Ujbuda aus meiner Sicht gut. Die zentrale Stadtverwaltung Budapests kümmert sich um das überörtliche Straßennetz, den öffentlichen Nahverkehr oder die Strom-, Wasser- und Wärmeversorgung. Die örtlichen Dinge werden vor Ort entschieden, dafür gibt es auch ein eigenes Budget.
Haben Sie ein Beispiel?
Dort musste zum Beispiel noch keine Schule geschlossen werden, weil das Dach eingefallen ist.
Auch wenn der Bezirksvorsteher nicht mit viel Macht ausgestattet ist, war das vergangene Jahr ein erfolgreiches für Cannstatt. Wir haben schon über Marktplatz und Waiblinger Straße gesprochen. Aber auch Rathaus und Kursaal sind endlich fertig geworden. Sind beide Projekte so geworden, wie Sie sich das vorgestellt haben?
Das Rathaus wurde 1490 gebaut, da hat Kolumbus erst Sponsoren gesucht für seine Reise, bei der dann Amerika entdeckt wurde. Wenn man betrachtet, dass im Rathaus Eichen verbaut sind, die aus dem Schwarzwald über den Neckar angeliefert wurden und noch 100 Jahre älter sind als das Gebäude selbst, dann sehen wir die kleinen Zeitfenster, die uns als Menschen vorbehalten sind und nehmen Dimensionen ganz anders war. Es ist toll, dass dieses historische Gebäude weiter genutzt werden kann. Schließlich kann nicht jedes alte Gebäude zu einem Museum umfunktioniert werden. Dafür bin ich dankbar. Das Rathaus war wirklich gefährdet: Die Fassade war kurz vor dem Einsturz und tragende Balken waren innen angefault und hätten zu einem Unglück führen können. Jetzt ist das Gebäude ein Schmuckstück für Cannstatt und Stuttgart.
Und doch hat es während der Sanierung Schwierigkeiten gegeben und sie hat auch länger gedauert als geplant.
Wenn ich mir andere Baustellen wie den Kursaal ansehe, glaube ich, dass das ganz normal ist.
Sie haben kürzlich im Bezirksbeirat gesagt, es sei ein Fehler, dass Aufträge immer an den günstigsten Anbieter gehen. War das nur hier ein Problem oder ist es ein generelles?
Das ist ein generelles Problem. Viele Firmen geben sehr billige Angebote ab und dann kommen sofort Nachforderungen. Werden diese nicht umgehend bedient, werden die Arbeiten eingestellt. Die Schweiz hat darauf clever reagiert: Dort erhält immer das zweitgünstigste Angebot den Zuschlag. So wird erreicht, dass die Leute realistischer kalkulieren.
Apropos Kursaal: das war immer Ihr Herzensprojekt. Bei einigen Sitzungen und Rundgängen sind Sie in diesem Fall nicht nur als Mediator aufgetreten. Ist das Bürgerhaus denn nun so geworden, wie Sie es sich vorgestellt haben?
Ich bin ja auch Vorsitzender der Vereinigung Cannstatter Vereine. Von den Vereinen hatte ich einen klaren Auftrag: Bad Cannstatt braucht ein Bürgerhaus. Es war klar, dass man nicht einfach ein Bürgerhaus wie etwa in Möhringen bauen kann. Da bot sich der Kursaal an, bei dessen Aufbau übrigens ein Verein, der Brunnenverein, maßgeblich beteiligt war. Der Kursaal ist zwar nicht das optimale Bürgerhaus, aber besser als eines, auf das man noch Jahre warten muss. Klar ist, dass Cannstatt einen zentralen Mittelpunkt für gesellschaftliche Ereignisse braucht – sowohl die Schulen als auch die Vereine. Und es war auch klar, dass die Vorstellung der Verwaltung und die der Vereine nicht in Einklang zu bringen waren. Die Entscheidung war für Cannstatt wichtig und richtig.
Warum ist der Kursaal nicht das optimale Bürgerhaus?
Würde man ein optimales Bürgerhaus bauen, wäre es mit sehr vielen kleinen Räumen ausgestattet, etwa für Musik oder Yoga-Unterricht. Im Kursaal sind die einzelnen Säle groß.
Wir haben vorhin von Zeitfenstern gesprochen. Sieben Jahre sind ein vergleichsweise kleines Fenster im Vergleich zu den 520, die das Rathaus auf dem Buckel hat. Trotzdem: Was war Ihr größter Erfolg als Bezirksvorsteher?
Das ist eine schwere Frage, die ich nicht beantworten kann. Der größte Erfolg wird immer von allen Beteiligten anders beurteilt.
Aber es gibt doch bestimmt etwas, das in Ihnen ein Gefühl der Zufriedenheit auslöst.
Wenn ich die Sanierung von Rathaus und Kursaal betrachte, ist in dieser relativ kurzen Zeit doch einiges realisiert worden. Es war aber auch viel Arbeit.
Gibt es trotzdem etwas, das Sie noch gerne angestoßen oder zu Ende gebracht hätten?
Ja, das gibt es. Cannstatt muss sich als Einkaufsstandort positionieren und sollte die Achse Marktstraße – Seelbergstraße – Carré stärken. Wir haben mit dem internationalen Stadtfest eine Kooperation zwischen Marktstraße und dem Cannstatter Carré begonnen. Alle Beteiligten an einen Tisch zu holen, ist aber leider noch nicht gelungen. Es fehlt der Aufbruch in ein neues Cannstatter Wir-Gefühl. Deshalb hoffe ich auf den Altstadtmanager, der intensiv mit den Eigentümern sprechen muss, um einen sinnvollen Branchenmix durchzusetzen, und der die Hausbesitzer nicht allein lässt bei der Auswahl potenzieller Nachmieter. Auch die Stadtkasse muss einen Beitrag leisten. Der Bodenbelag der Marktstraße braucht eine Auffrischung. Der Gussasphalt hat Risse, gerade bei den Pflasterungen. Das birgt Unfallgefahr und wirkt unfertig.
Der Wunsch nach einem Altstadtmanager ist verständlich, aber es gibt eigentlich mit den Cannstatter Netzwerkerinnen, dem Verein Die Altstadt und dem Gewerbe- und Handelsverein bereits drei Vereinigungen, die sich intensiv um die Altstadt kümmern. Warum klappt es bisher nicht?
Gerade die Gestaltung eines Branchenmix oder die Organisation gemeinsamer Veranstaltungen ist ehrenamtlich nicht zu leisten. Auch in Stuttgart ging es nach Einführung eines hauptamtlichen City-Managers aufwärts. So etwas sollte auch für das einzige B-Zentrum Stuttgarts geschaffen werden.
Ist es in so einem Fall ein Nachteil, dass Cannstatt zu Stuttgart gehört?
Städte wie Esslingen und Fellbach machen das clever über das Stadtmarketing.
Hätte Cannstatt denn das gleiche Potenzial wie Esslingen?
Esslingen ist mit seiner tollen Altstadt natürlich schon eine große Nummer. Aber auch Bad Cannstatt hat eine tolle mittelalterliche Kulisse, die ein Alleinstellungsmerkmal ist, das man besser nutzen könnte.
Jetzt aber verlassen Sie das schöne Cannstatt. Sie erwarten viele Aufgaben. Als Erster Bürgermeister in Hockenheim sind Sie künftig für Finanzen, Ordnungsangelegenheiten, Soziales, Bildung, Kultur und Sport verantwortlich. Worauf freuen Sie sich denn besonders?
Einer meiner Schwerpunkte wird auf dem Hockenheimring liegen, der ebenso viel Pfiff hat wie der Wasen. Es gibt dort Rock’Nheim, Tageskonzerte, Formel Eins und DTM. Das wird spannend. Alles hat seine Zeit und ich freue mich auf dieses neue Zeitfenster. Das war nicht einfach zu erreichen. Solche Aufgaben gibt es nicht wie Sand am Meer und ich bin glücklich, dass ich das erreicht habe und bereits im ersten Wahlgang die absolute Mehrheit erhalten habe.
Was werden Sie dennoch an Bad Cannstatt vermissen?
Die Menschen, die Atmosphäre und die Vereine. Aber zum Glück ist Hockenheim nur eine Stunde von Bad Cannstatt entfernt. Und wie ich gehört habe, gibt es dort eine guten Fuhrpark.

Zur Person

Thomas Jakob:
Der 54-Jährige ist in Bad Cannstatt geboren und hat persönliche Bindungen zum Stadtbezirk. Unter anderem war der Cannstatter Skiclub eine wichtige Anlaufstelle für ihn und seine Familie.

Berufliche Stationen:
2006 wurde Thomas Jakob zum Bezirksvorsteher von Bad Cannstatt gewählt. Zuvor war er im persönlichen Referat der ehemaligen Stuttgarter Oberbürgermeister Manfred Rommel und Wolfgang Schuster als Leiter der Stabsabteilung Protokoll und Events tätig. Im Oktober wurde Jakob vom Hockenheimer Gemeinderat zum Ersten Bürgermeister gewählt, wo er von Januar an für den Geschäftsbereich Finanzen, Ordnungsangelegenheiten, Soziales, Bildung, Kultur und Sport verantwortlich ist.

Nachfolge
: Noch steht nicht fest, wer die Nachfolge von Thomas Jakob im Cannstatter Bezirksrathaus antritt. Unter anderen hat der aktuelle Bezirksvorsteher von Mühlhausen, Bernd-Marcel Löffler, seinen Hut für den Posten in den Ring geworfen.