Der baden-württembergische Innenminister Thomas Strobl hat bisher die Landesinteressen in Berlin vertreten – mit direktem Draht zur Kanzlerin. Jetzt soll Andreas Jung diesen Job übernehmen. Verliert das Land an Einfluss?

Berlin - Andreas Jung ist ein optimistischer Mensch, und persönlich hat er eindeutig Grund zum Optimismus. Der 41-jährige Bundestagsabgeordnete und Chef der CDU-Südbaden ist seit rund zwei Wochen Vorsitzender der Südwest-Landesgruppe der Unionsfraktion im Deutschen Bundestag. „Ich glaube fest daran, dass der Einfluss des Südwestens auf die Politik der Bundesregierung weiter wachsen wird“, sagt er. Weder protzig noch trotzig soll das klingen. Aber er stellt seine Ansicht gegen Stimmen, die anderes befürchten.

 

Wer die Sache pessimistischer sieht, argumentiert so: Jung tritt die Nachfolge von Thomas Strobl an. Der war für den Südwesten sehr wichtig in Berlin. Der Vize der Bundes-CDU und Landeschef der Südwest-CDU war bestens vernetzt, zog an allen Strippen, wenn es galt, Landesinteressen durchzusetzen. Etwa als es darum ging, Verkehrsminister Dobrindt in einem Zermürbungsfeldzug von dem Plan abzubringen, die Maut auch auf Landstraßen auszuweiten. Vor allem: Strobl hatte einen direkten Draht zur Kanzlerin. Was gerade in Zeiten nützlich war, als die Landesgruppe in der Flüchtlingsfrage die Geduld mit Merkel zu verlieren drohte.

Strobl ist weg aus Berlin – verliert das Land an Einfluss?

Aber jetzt ist er weg. Als Innenminister der neuen Landesregierung in Stuttgart ist er nicht nur räumlich weit vom bundespolitischen Schuss, sondern auch reichlich mit Aufgaben eingedeckt. Da kann man auf den Gedanken kommen, dass das Land an direktem Einfluss auf die Bundesregierung verlieren könnte. Zumal Strobls Berliner Abgang Folge einer weiteren ungünstigen Entwicklung ist: Politik ist ein Saisongeschäft, und die vergangene „Saison“ ist für die Landes-CDU nicht gut gelaufen. Das Amt des Ministerpräsidenten wurde nicht erobert, der Wahlkampf verlief holprig. Im Adenauer-Haus wurde oft der Kopf geschüttelt über den Zickzack-Kurs des gescheiterten Spitzenkandidaten Wolf.

Nun stehen im Frühjahr strategisch noch wichtigere Wahlen an. In Nordrhein-Westfalen, dem größten Flächenland, könnte die Union kurz vor der Bundestagswahl der SPD schweren politischen Schaden zufügen. Da könnten Kanzlerin und Unionsspitze auf die Idee kommen, dass nun Nordrhein-Westfalen besonders gefördert werden müsse – im Zweifel kann das für Baden-Württemberg nichts Gutes bedeuten, wenn etwa Förderprogramme mit steter Rücksicht auf den Westen gestrickt würden.

Baden-Württemberg ist in Berlin noch stark vertreten

Hirngespinste oder reale Gefahren? Jedenfalls kann es nicht verkehrt sein, die Lage aus Südwest-Sicht zu überdenken. Andreas Jung tut das. Er sieht den NRW-Effekt von einer anderen Erwägung ausgeglichen: „Die Kanzlerin muss ein herausragendes strategisches Interesse am Erfolg der neuen Koalition in Stuttgart haben“, sagt er. Funktionierende Bündnisse mit den Grünen in Hessen und Baden-Württemberg lieferten sehr erwünschte Optionen für die Union im Bund. Zum anderen habe die Südwest-CDU 2013 mit dem besten Bundestagswahlergebnis aller Landesverbände entscheidend zu Merkels großen Wahlerfolg beigetragen. Soll sich der 2017 wiederholen, müsse sich die Südwest-CDU stabilisieren. Dazu könne die Bundespolitik viel beitragen. Zudem verweist Jung darauf, dass auch nach Strobls Weggang Baden-Württemberger an entscheidenden Stellen den Kurs von Regierung und Fraktion mit steuerten. Das stimmt. Wolfgang Schäuble ist der wichtigste Minister, Volker Kauder Fraktionschef.

Unterschätzt, aber wichtig: die Staatssekretäre

Allerdings gewinnt das Argument eher auf etwas tieferer Ebene Schlagkraft. Kauder nämlich sieht seine erste Aufgabe in der Herstellung von Gefolgschaft für die Kanzlerin. Und Wolfgang Schäuble ist ein sehr eigener Kopf, was viele Südwest-Abgeordnete gerade wieder beim Tauziehen um die Erbschaftssteuer erfahren konnten.

Vielleicht wiegt es deshalb doch schwerer, dass der Südwesten allein vier Staatssekretäre stellt: Besonders wichtig ist Norbert Barthle im Verkehrsministerium, weil in dem Ressort viele Mittel zu verteilen sind. Dazu kommen Annette Widmann-Mauz, Chefin der Frauen-Union (Gesundheit), Hans-Joachim Fuchtel (Entwicklung) und Markus Grübel (Verteidigung). Auch parlamentarisch ist die Südwest-CDU an Schaltstellen in der Verantwortung. Auffallend ist die Verankerung in der Wirtschaftspolitik: Joachim Pfeiffer ist wirtschaftspolitischer Sprecher, Christian von Stetten führt den Parlamentskreis Mittelstand. Zudem: Peter Weiß ist Chef der Arbeitnehmergruppe der Fraktion, Karin Maag führt die Frauen und Steffen Bilger die Junge Gruppe der Unionsabgeordneten. Eberhard Gienger (Sport) ist ein weiterer fachpolitischer Sprecher und Stephan Harbarth neuer Fraktionsvize.

Die SPD wird immer mehr zum Leichtgewicht

Aus Südwest-Sicht ist das wichtig, denn die Südwest-Kollegen des Koalitionspartners SPD können nicht dasselbe Gewicht einbringen. Was kein Vorwurf ist, denn der Landesverband ist eben mit 20 Mitgliedern viel kleiner. Umso mehr trifft es die Südwest-SPD, dass nach den Landtagswahlen die Regierungsbeteiligung weg ist. Nils Schmid, der Ex-Wirtschafts- und Finanzminister fand in der Parteispitze auch kraft Amtes mit seinen Mahnungen zu finanzpolitischer Vernunft Gehör. Wie das in Zukunft wird ist unklar. Immerhin stellt die von Katja Mast geführte Südwest-SPD mit Rita Schwarzelühr-Sutter (Umwelt) und Christian Lange (Justiz) zwei Staatssekretäre. Respektabel ist zudem, dass die kleine Landesgruppe rund ein Viertel der fachpolitischen Sprecher der Bundestagsfraktion stellt: Hilde Mattheis (Gesundheit), Johannes Fechner (Justiz), Rainer Arnold (Verteidigung), Lothar Binding (Finanzen), Katja Mast (Soziales) und Stefan Rebmann (Entwicklung). Dazu kommt als Fraktionsvize Ute Vogt und als Osteuropa-Beauftragter der Bundesregierung Gernot Erler. Das sichert auch SPD-seitig gewisses Gehör für Südwest-Interessen.