Von Abschied will Festspielintendant Thomas Wördehoff noch nichts wissen: Das Motto seiner letzten Spielzeit in Ludwigsburg heißt koketterweise „Alles auf Anfang“. Im Rückblick meint er, die Sponsoren hätten ihm sehr viel mehr Freiraum gelassen als die Stadträte.

Ludwigsburg - Ruhrtriennale trifft Schlossfestspiele: Als Thomas Wördehoff 2009 nach Ludwigsburg geholt wurde, schien die Experimentierfreude auf allen Seiten groß. Doch schon nach der ersten Saison hagelte es viel Kritik: Bürger und Stadträte wünschten sich mehr Symphonien, mehr Klassisches – ganz wie zu Zeiten von Wolfgang Gönnenwein. Inzwischen haben sich die Wogen zwar wieder geglättet, aber diese Anfeindungen seien schon sehr hart gewesen, sagt Wördehoff. Zum Abschluss seiner Ludwigsburger Intendanz will er noch einmal eigene Duftmarken setzen.

 

Herr Wördehoff, Sie sind angetreten, den Schlossfestspielen einen eigenen Stempel aufzuprägen. Ist Ihnen das gelungen?

Wenn man noch mitten in der Planung ist, sind Bewertungen der eigenen Arbeit eher schwierig. Aber ich bin mir sicher, dass ich einen Fußabdruck hinterlasse. Nicht für die Ewigkeit, aber ich glaube doch, dass die Leute wissen, wo mein Herz schlägt.

Wo schlägt es denn?

Mich interessieren die Reibung zwischen den Genres, die Spur, die zwischen volksmusikalischer Tradition und komponierter Musik zu hören ist und die Wechselwirkungen, die zwischen verschiedenen Kunstformen und Kulturen entstehen.

Wir würden Sie den Charakter der Festspiele heute beschreiben?

Ich finde, unser Untertitel „Das Fest der Interpreten“ beschreibt das sehr, sehr gut. Ich habe unsere musikalischen Gäste immer auch danach ausgesucht, wie subjektiv sie mit einem Werk umgehen. Wir haben die Musiker immer wieder aufgefordert, möglichst weitgehend zu interpretieren. Es gibt ja diese Referenzaufnahmen, wo man sagt, besser kann man Beethoven oder Mahler nicht dirigieren. Ich bin immer dabei, das zu brechen. Ich glaube nicht an die Absolutheit eines Meisterwerks. Die Musik hat mit dem Augenblick, dem Heute zu tun.

Wenn Sie ein Etikett vergeben müssten, was haben Sie in Ludwigsburg vorgefunden?

Ich glaube, Wolfgang Gönnenwein und Wulf Konold haben das Ganze ein bisschen als Abfolge von Veranstaltungen gesehen. Das war auf hohem Niveau und mit tollen Musikern. Aber vielleicht habe ich mehr die Seitenwege beschritten. Ich habe mich immer mehr für Künstler interessiert, die nicht so sehr im Licht standen. Mir ging es darum, Neugierde zu entfachen. Das war am Anfang schwierig, aber mit der Zeit haben sich viele Besucher darauf eingelassen.

Auch wenn die Schlossfestspiele in der zweiten Hälfte Ihrer Intendanz wieder in ruhigeres Fahrwasser gekommen sind, der Streit zuvor war umso heftiger.

Ja, der war heftig. Ich glaube, man könnte es mit dem Erlernen einer Sprache vergleichen. Das Publikum versteht nach einiger Zeit, wohin wir gehen wollten. Ich wollte die Leute ja nicht quälen. Ich musste das Programm dann nie ändern, manches aber braucht eben Zeit.

Glauben Sie wirklich, dass Sie das Programm nicht geändert haben? In den ersten Jahren gab es deutlich mehr Experimente.

Ja, ich habe gewisse Experimente gemacht, die ich dann nicht mehr fortgesetzt habe. Die Ursache ist, dass ich kein dickes finanzielles Polster habe. Da die öffentliche Hand seit 15 Jahren keinen Inflationsausgleich vornehmen konnte, gibt es kaum Reserven, um ins volle künstlerische Risiko zu gehen. Und wir müssen einen ausgeglichenen Etat präsentieren.

Haben sie das bedauert?

Ich habe darunter ein bisschen gelitten. Ich hatte ja im ersten Jahr eine Produktion mit Marc Ribot, der die frühen Streichquartette von John Cage mit einer Funk-Band dekonstruiert hat. Es war eine brutal teure Produktion. Und so extravagant, dass am Ende nur knapp 120 Leute gekommen sind. Marc Ribot wollte dazu eine ganze Serie machen. Ich hoffe, dass ich das in meiner nächsten Position wieder aufgreifen kann.

Natürlich geht’s ums Geld. Aber fehlt nicht manchmal einfach nur der Mut bei den Geldgebern?

Es fehlt auch das Publikum für derlei Wahnsinn. Das hat damit zu tun, dass kaum jemand Marc Ribot kennt. Wer interessiert sich für John Cage? So etwas hätte ich vielleicht erst nach drei oder vier Jahren starten sollen.

Sie sehen das also auch selbstkritisch?

Aber sicher. Der Punkt ist: Ich habe die regionale Zusammensetzung unseres Publikums erst mit der Zeit erfasst.

Auch wenn die Reihenfolge nicht gestimmt hat, zu einem solchen Festival gehört doch wohl eine Spielwiese für Experimente?

Auf jeden Fall. „Experimente“ lassen sich jedoch nicht über einen Kamm scheren. Aber man wird nicht umhin kommen, sich in Zukunft wieder Gedanken über die Perspektiven des Festivals zu machen. Wenn die Förderer aus Stadt und Land noch mehr Risiko ermöglichen wollen, sollten diese Festspiele tatsächlich ein anderes finanzielles Fundament haben.

War das Verständnis der Sponsoren zeitweise größer als das von Stadtverwaltung und Gemeinderat?

Bis auf zwei, drei private Förderer sind alle Sponsoren den Festspielen treu geblieben – neue sind dazu gekommen. Und mit meinen Kritikern habe ich immer das Gespräch gesucht. Das vertreibt die schlechte Laune. Auf beiden Seiten übrigens.

Kann man sagen, dass Sie sich in den ersten Jahren von Gemeinderat und Verwaltung missverstanden fühlten?

Es war sicher eine Zeit der Annäherung notwendig, einige Besucher meinten, die Kunst habe vor allem die Erwartungen des Publikums zu erfüllen. Ich fand – und finde – dass sich ein Publikum überraschen, bereichern und halt manchmal auch überfordern lassen sollte.

Glauben Sie, dass sich ein Bewusstsein für bestimmte Formen der Musik gebildet hat.

Ja, ganz sicher. Das Publikum hatte es immerhin mit einer über dreißig Jahre gewachsenen Programm-Strategie zu tun. Unser Spielplan muss den Festspielfans daher zunächst ziemlich „fremd“ vorgekommen sein. Vermutlich haben viele am Anfang gedacht, ich wolle ihr schönes Festival demolieren. Die kamen dann auch erst gar nicht vorbei.

Ihr Nachfolger wird in einer deutlich besseren Situation sein.

Wie auch immer: Ich drücke ihm sämtliche Daumen.

Wenn man in Ihr Programm für die Spielzeit 2019 schaut, fällt auf, dass viele Namen auftauchen, die schon mehrfach in Ludwigsburg gespielt haben. Man könnte meinen, diese Künstler kommen Ihnen zuliebe?

Naja, ich bin halt ein netter Kerl (lacht). Im Ernst, ich habe da wenig Sentimentalität. Die kommen nicht, um noch einmal einen letzten Walzer mit mir zu tanzen.

Vielleicht sind ja die Künstler sentimental.

Ich glaube, die kommen gar nicht dazu. Alle Künstler, die im nächsten Jahr wiederkommen, machen Dinge, die sie bisher noch nicht gemacht haben. Deshalb heißt die Saison auch „Alles auf Anfang“. Wir legen noch mal los in der letzten Spielzeit. Ich habe nicht vor, ein „Greatest-Hits“-Programm zu machen. Ich werde die Leute nicht mit Dingen langweilen, die sie eh schon kennen.

Was werden die Höhepunkte sein?

Sicher die Liederoper „Himmelerde“ mit „Familie Flöz“ und Franui sowie unser „Freischutz“ – inszeniert und musiziert von einem rein französischen Team. In Bezug auf die Geschichte von Ludwigsburg, wo 1963 Charles de Gaulle diese unfassbare Rede gehalten hat – auf Deutsch – hat mich die Sicht junger Franzosen auf diese deutsche „National“-Oper interessiert.

Auf welches Konzert sind Sie besonders stolz?

Stolz, das klingt so vermessen, aber ja, doch: Ich bin auf diese zehn Jahre insgesamt stolz. Und es gab Abende, an denen ganz unterschiedliche Genres zusammen kamen. Ein Beispiel: Rebekka Bakken und Hans Theessink trugen Bluessongs aus den zwanziger Jahren vor – kontrastiert vom Casal-Quartett, das im gleichen Konzert Schönbergs „Verklärte Nacht“ und die „Sechs Bagatellen“ von Anton Webern zwischen den Liedgruppen spielte. Eine solche Gegenüberstellung von Blues und zweiter Wiener Schule ist eigentlich unerhört.

Welchen Künstler oder welche Künstlerin hätten Sie noch gerne hier gehabt ?

Es gab mal die Idee, Andrea Berg in einem anderen Kontext auftreten zu lassen.

Warum kam das nicht zustande?

Sie hat nicht auf unsere Anfrage geantwortet. Vielleicht war es ja auch eine Schnapsidee, aber ich habe mich gefragt: Gibt es irgendeinen Punkt, an dem man sagen kann, das interessiert uns jetzt beide?

Gab es weitere Wunschprojekte?

Ich hätte liebend gerne noch einmal etwas mit Laurie Anderson gemacht. Die war ja mal hier und hat eine ganz wunderbare Song-Conversation mit Nik Bärtsch konzipiert. Mit ihr hätte ich gern noch ein Musiktheater entwickelt: Zusammen mit Jan Bürger vom Marbacher Literaturarchiv wollten wir ein Projekt zu Lou Andreas-Salomé machen.

Sind Sie schon auf Abschied eingestellt?

Nein. Ich betrachte die Arbeit hier bis Ende September 2019 als Zukunft – als ein Projekt, das vor mir liegt.