DDR-Funktionäre, westdeutsche Pharmakonzerne und viele kleine Rädchen im System: In Urs Eggers Spielfilm „Kranke Geschäfte“ tut sich eine vielschichtige Verschwörung auf.
Stuttgart - Helden gibt es keine in dieser Geschichte über westdeutsche Medikamentenversuche in der späten DDR – nur fehlbare Menschen, die tun, was sie jeweils für richtig halten. Viele Ebenen tun sich dabei auf in Urs Eggers Fernsehfilm „Kranke Geschäfte fürs ZDF – und ganz unterschiedliche Arten von Abgründen.
Die Achtklässlerin Kati aus Karl-Marx Stadt, wie Chemnitz 1988 noch hieß, erkrankt plötzlich und bekommt eine MS-Diagnose. Ihr Vater Armin, ein besonders eifriger Stasi-Offizier, schöpft Verdacht gegenüber dem Krankenhaus und den Behandlungsmethoden und findet heraus, dass seine Tochter heimlich als Versuchskaninchen für ein neues Medikament benutzt wird. Er ermittelt ohne Rücksprache mit seinen Vorgesetzten, obwohl er wissen müsste, dass die Sache von ganz oben abgesegnet ist – weil die nahezu insolvente DDR die Devisen braucht.
Alle Figuren sind ambivalent
Bald verschiebt sich die Wahrnehmung in alle möglichen Richtungen, es gibt keine eindeutige Wahrheit und nahezu jede Figur ist auf ihre Art ambivalent: Armin (etwas überspannt: Florian Stetter) ist ein widerlicher Stasi-Schleifer, der Bürgerrechts-Barden in den Knast bringt, aber auch ein besorgter Vater, der sich rührend um seine Tochter kümmert. Die Ärztin (wie immer umwerfend in ihrem Minimalismus: Corinna Harfouch) wägt Ethik gegen Pragmatik ab und rechtfertigt Doppelblindstudien und Geheimniskrämerei.
Jörg Schüttauf (cool) spielt einen zynischen Parteibonzen, Alexander Beyer (köstlich) einen opportunistischen Stasi-Kollegen, der bald kein Freund mehr ist, und Stephan Grossmann (herrlich mondän) einen verschlagenen Stasi-Oberst, der so etwas wie Freunde gar nicht erst kennt. Der Pharma-Mittelständler aus Franken wiederum hat tote Probanden auf dem Gewissen und kämpft gegen die Übernahme durch einen Schweizer Konzern, hier ist der Medikamentenkurier Diller (etwas blass: Johannes Allmayer) das kleine Rädchen, das zwischen die Fronten gerät.
Im Zentrum: die Naivität kleiner Lichter
Der im Januar verstorbene Urs Egger hat zum Zeitkolorit-Soundtrack von Depeche Mode einen vielschichtigen Verschwörungs-Thriller inszeniert. Es geht um Loyalität und Verrat, Moral und Profit, Verantwortung und Wildwest-Mentalität. Im Zentrum steht die Naivität kleiner Lichter, die glauben, sie könnten die Strippenzieher aufhalten bei ihren Schweinereien. Viel verdankt Egger dem exzellenten Drehbuch von Johannes Betz. Der Autor der Filmakademie Baden-Württemberg hat unter anderem an der starken Weltkriegs-Serie „Das Boot“ mitgearbeitet. Das Unbehagen wächst mit jeder Minute, die Dialoge sind geschliffen, die Ebenen klug angeordnet bis zu ihrer sauberen Auflösung – eine derart verdichtete Geschichte kommt ganz problemlos ohne Helden aus.
Ausstrahlung: Das ZDF zeigt den Film am 28. 9. um 20.15, in der Mediathek ist er bereits abrufbar.