Als Premierminister der Exilregierung soll der Völkerrechtsexperte Lobsang Sangay künftig die politische Nachfolge des Dalai Lama antreten.      

Politik/ Baden-Württemberg: Christian Gottschalk (cgo)

Dharamsala - Es sei für die Tibeter an der Zeit, sich zu bewegen, hat Lobsang Sangay im Wahlkampf eindringlich gefordert. „Die weißen Amerikaner haben einen schwarzen Präsidenten gewählt, das hinduistisch geprägte Indien hat einen Sikh als Premier und Deutschland wird von einer Frau regiert.“ Die Exiltibeter haben diesen Aufruf so interpretiert, wie ihn der 43-Jährige Jurist verstanden haben wollte. Mit 55 Prozent der Stimmen hat Lobsang Sangay die Wahlen zum Premierminister der Exilregierung gewonnen. Zum ersten mal seit Jahrhunderten steht kein Vertreter des Klerus ganz oben in der Hierarchie.

 

Noch lebt Sangay in den USA, wo er an der Universität in Harvard arbeitet. Im Mai wird er im nordindischen Dharamsala erwartet, wo die Exilregierung ihren Sitz hat. Sangay tritt die Nachfolge von Lobsang Tensin an, der nach zwei Amtszeiten nicht mehr zur Wiederwahl angetreten ist. Er trägt Anzug anstelle eines Mönchsgewandes, ist gut 30 Jahre jünger als sein Vorgänger – und war selbst noch nie in Tibet, dem Land, aus dem seine Eltern 1959 nach Indien flohen. Zumindest äußerlich steht er für einen Wandel – und der wird weitaus gewaltiger, als der Wechsel von einem Premier zu seinem Nachfolger.

Dalai Lama will die Tibeter nur noch spirituell zu führen

Bis jetzt stand die Person des Premierministers stets im Schatten des alles und jeden überstrahlenden Dalai Lama. Der hatte im März jedoch angekündigt, sich künftig aus der Politik heraushalten zu wollen, die Tibeter künftig nur noch spirituell zu führen, nicht aber politisch. Zwar gibt es nicht wenige Tibeter, die der festen Überzeugung sind, ihre Lichtgestalt noch einmal umstimmen zu können – doch im Gegensatz zu Rücktrittsdrohungen in der Vergangenheit scheint es der Dalai Lama dieses Mal ernst zu meinen. Dem Amt des Premiers käme somit ein völlig neues Gewicht zu – auch wenn die Exilregierung von keinem Land der Welt anerkannt wird.

Natürlich wird im Mittelpunkt die Diskussion mit China stehen. Tibet sei ein unabhängiger Staat, der von China illegal besetzt worden ist und ein Recht auf Selbstbestimmung hat, sagt Lobsang Sangay, der seine Doktorarbeit zum Thema „Demokratie und Geschichte der tibetischen Exilregierung“ verfasst hat. „Aufgrund der politischen Realitäten“, so der Völkerrechtler, sei die Eigenstaatlichkeit derzeit aber nicht durchsetzbar. Es gehe daher darum, der chinesischen Regierung und dem chinesischen Volk in einem andauernden Dialog die „Tragik Tibets“ klar zu machen, „so wie Nelson Mandela, Mahatma Gandhi und Martin Luther King trotz aller Gegenwehr der Regierungen weiter gesprochen haben“.

Wie Peking reagieren wird, ist völlig unklar

Zwischen den Zeilen kündigte Sangay allerdings auch an, dass der als „Mittlere Weg“ bezeichnete Verhandlungskurs, den der Dalai Lama mit China eingeschlagen hatte, durchaus gewisse Modifikationen zuließe.

In Harvard hatte der Völkerrechtler Sangay mehrere Treffen zwischen dem Dalai Lama und chinesischen Wissenschaftlern organisiert. Doch ob sich Peking künftig auf Gespräche mit ihm oder seinen Gesandten einlässt ist noch völlig unklar. Padma Choling, der von der Kommunistischen Partei entsandte Generalgouverneur der autonomen Provinz Tibet, hat die Zulässigkeit der nun getroffenen Nachfolgeregelung jedenfalls schon im Vorfeld angezweifelt. Der Dalai Lama habe nicht das Recht, seinen Nachfolger selbst zu bestimmen.

Ungeachtet dieses Einwandes kündigte Lobsang Sangay schon einmal an, mit „Leidenschaft, Energie und Enthusiasmus“ in sein neues Amt zu starten: „Ich verspreche Euch, dass ich ein sehr aktiver Premierminister sein werde“.