Im Internet gilt der Tierarzt Wolfgang Geiger aus Plieningen als Vogelexperte. Das ist er aber eigentlich gar nicht. Er kümmert sich um Kleintiere aller Art gleichermaßen.

Klima & Nachhaltigkeit: Judith A. Sägesser (ana)

Plieningen - Luna stockt der Atem. Schuld ist Wolfgang Geigers Spritze. Der Tierarzt hat sie vorsichtig in den Bauch der Mischlingshündin gepiekt. Luna hat eine böse Stelle am Hals, ihr Frauchen ist sich sicher, dass das vom Strandhafer kommt. Deshalb steht Luna nun auf dem Behandlungstisch des Plieninger Tierarztes und bekommt ein Antibiotikum. Es gibt sicher Orte, die der Hündin besser gefallen. „Streicheln Sie sie doch“, sagt der Doktor zur Hundebesitzerin. „Ein bisschen Seelenmassage.“ Luna hechelt wieder.

 

Hunde und Katzen sind Wolfgang Geigers häufigste Patienten. Aber er behandelt auch Wellensittiche, Kanarienvögel, Hasen, Hamster, Schlangen, Echsen und Papageien. Im Internet gilt der Plieninger Tierarzt als Vogelexperte. Sein Name und seine Nummer tauchen in den einschlägigen Foren im Netz auf. Wolfgang Geiger lächelt, wenn er das hört. Dass er als Fachmann für alles, was da flattert, gehandelt wird, ist ihm freilich nicht entgangen. „Wollen Sie die Geschichte dazu hören?“, fragt er. Mit seinen 63 Jahren und der Berufserfahrung hat er eh einiges zu erzählen. Zum Beispiel: „Ich bin kein Vogelspezialist.“ Dass er es sei, habe sich eines Tages im Internet verbreitet. „Das hat sich so hochgeschaukelt“, sagt er. Nun rufen ihn die Leute von überall her an.

Der Wellensittich wird wie der Hund behandelt

Er hat sich seinen eigenen Reim auf das Gerücht gemacht. Er nehme sich für einen Wellensittich gleich viel Zeit wie für einen Hund. Er vermutet, dass dies viele seiner Kollegen nicht täten. „Die Körpersprache eines Wellensittichs ist nicht so ausdrucksreich“, sagt er. „An einem Wellensittich kann ich nicht so viel machen.“ Weshalb sich der Vogel wirtschaftlich gesehen weniger rechnet. Ein hypothetischer Vergleich: Das Durchfallmedikament für einen Hund bringt ihm vielleicht 30 Euro, das für einen Wellensittich gerade einmal 30 Cent.

Es gehört zu Wolfgang Geigers Praxisphilosophie, dass er nicht nur auf die Zahlen schaut. „Der Wellensittich hat ja einen ideellen Wert für den Besitzer“, er ist ein Familienmitglied. Wenn der Halter merkt, dass der Arzt sein Haustier nicht abfertigt, ist er meist dankbar. Oder wenn jemand eine herrenlose, verletzte Katze bringt, dann frage er nicht, wer das zahle. „Dann helfe ich der Katze, das ist ja mein Beruf.“

Die meisten Tierärzte spezialisieren sich

Die meisten seiner Kollegen würden sich heutzutage spezialisieren, sagt er. Den Tierarzt, der in der Praxis Hund, Katze, Maus empfängt und zwischendurch in den Stall zum Kalben eilt, gebe es kaum mehr. Vielleicht ist Wolfgang Geiger zumindest annähernd einer von denen – ein Generalist. Jedenfalls für Kleintiere aller Art.

In Plieningen praktiziert der 63-jährige Veterinär seit Mitte der 1980er-Jahre. Seit damals hat sich einiges verändert, sagt er. Waren die Plieninger Nutztiere früher noch viel öfter die Patienten von Tierärzten, hat sich das immer mehr reduziert. Junge Familien ziehen in die Neubaugebiete. „Das ist meine Kundschaft“, sagt Wolfgang Geiger. Gehören das Meerschweinchen und die Katze heuer doch in den meisten Familien wie selbstverständlich dazu. „Das Halten von Kleintieren ist enorm explodiert.“

Die Ausdrucksfähigkeit der Tiere ist sehr unterschiedlich

Was ihn sein Studium übrigens nicht gelehrt hat: welche Rolle die Tierbesitzer am Behandlungstisch spielen. „Der Patient kommt zu mir, und ich weiß nichts über ihn“, sagt der Arzt. Lässt sich am Körper und am Ausdruck des Tieres nichts ablesen, ist der Halter die einzige Quelle für den Doktor. „Die Ausdrucksfähigkeit der Tiere ist sehr unterschiedlich“, sagt er. Kommt ein Hund gekrümmt daher, sagt das etwas, doch was tun bei einer Schlange, die irgendwie immer gleich aussieht? „Die Menschen sind für uns genauso wichtig wie die Tiere“, sagt er. Weil sie Hinweise geben. „Oft sind es die Nebensätze, die wichtig sind.“

Der Ort ist Luna zwar nicht geheuer. Den Arzt mag die Hündin trotzdem. Sie macht vor ihm Männchen, während er etwas aus dem Medizinschrank kramt. „Ich hab’ nichts zum Essen, tut mir leid“, sagt er und tätschelt Lunas Kopf. Er zeigt ihr die Spritze, wegen der ihr vorher die Luft weggeblieben ist, und sagt: „Jetzt guck.“