Das Umherziehen liegt den Tieren im Blut. Einige Vertreter haben sogar ein besonders großes Durchhaltevermögen. Ob zu Fuß oder von Natur aus flatternd, meist steckt ein simples Bedürfnis hinter der Anstrengung: der Kampf gegen den Kohldampf.
Wenn Tiere lange Strecken zurücklegen, geht es oft ums Fressen. Beim Weltrekordhalter im Langstreckenflug ist das nicht anders. Die Küstenseeschwalbe brütet im Sommer zwischen den Küsten von Nord- und Ostsee bis hinauf in den Norden Grönlands, überwintert aber auf den Inseln im Südpolarmeer. Ornithologen schließen das aus Untersuchungen, bei denen sie den Vögeln kleine Ringe aus Metall oder Plastik um die Beine legen. Eine Nummer auf dem Ring identifiziert dann nicht nur den Vogel, sondern auch den Ort, an dem das Tier gefangen und wieder freigelassen wurde.
Auf diese Weise lässt sich ermitteln, dass die Küstenseeschwalben zwischen Grönland und der Antarktis pendeln. Die gerade einmal hundert Gramm schweren Vögel fliegen daher jedes Jahr mindestens 30 000 Kilometer weit. Welche Flugrouten die Vögel aber zwischen beiden Gebieten wählen, verraten die Ringe nicht unmittelbar. Carsten Egevang vom Greenland Institute of National Resources in Nuuk, der Hauptstadt Grönlands, hat mit seinen Kollegen daher elf Küstenseeschwalben mit jeweils 1,4 Gramm schweren Fahrtenschreibern ausgestattet. Diese Geräte zeichnen die Länge eines jeden Tages auf. Nach der Rückkehr in das Brutgebiet befreien die Forscher die Vögel von den sogenannten Loggern und ermitteln aus den jeweiligen Tageslängen den Aufenthaltsort des Tieres auf rund 200 Kilometer genau.
Weltrekord: 80 000 Kilometer im Jahr
Im Fachmagazin „Proceedings“ der US-Akademie der Wissenschaften veröffentlichten die Forscher ihr verblüffendes Ergebnis: Die kleinen Vögel übertreffen die bisher ermittelte Flugweite stark, einige Küstenseeschwalben sind mehr als 80 000 Kilometer im Jahr unterwegs. Geschickt wählen die Tiere ihre Routen so, dass sie möglichst häufig Rückenwind anschiebt und Gegenwind nur selten bremst. Dabei reisen sie fast immer über dem Wasser, lange Strecken fliegen sie zum Beispiel im Atlantik und Pazifik Tausende von Kilometern von der nächsten Küste entfernt.
Obendrein entdeckten die Forscher über die Satellitendaten auch bisher unbekannte Rastplätze der Küstenseeschwalben. Dort gibt es immer klares Wasser, in dem viele kleine Fische schwimmen. Normalerweise fliegen die Vögel einige Meter über den Wellen und schauen von dort mit scharfen Augen ins Meer. Erspähen sie eine mögliche Beute, legen sie die Flügel ein wenig an, kippen ab und stoßen im Sturzflug im steilen Winkel durch die Wasseroberfläche. Diese Technik müssen die jungen Vögel mühsam lernen, es dauert einige Zeit, bis sie ab und zu einen Fisch erwischen.
Diese Jagdmethode funktioniert nur am hellen Tag, weil die Küstenseeschwalbe ihre Beute sehen muss. Das aber erklärt auch die langen Wanderungen der Tiere. Die kalten Gewässer im hohen Norden und im tiefen Süden enthalten viele Nährstoffe und wimmeln daher vor Fischen, sind aber trotzdem meist sehr klar. Im Sommer sind die Nächte dort kurz und die Küstenseeschwalben haben genug Zeit für ihre schwierige Jagd. Im Winter aber gibt es nur wenige Stunden Tageslicht, weiter im Norden geht die Sonne in der Polarnacht überhaupt nicht auf. Die Küstenseeschwalben müssten hungern, wenn sie blieben. In der gleichen Zeit aber sind die Tage im Südsommer vor der Antarktis besonders lang und die klaren Gewässer wimmeln vor Fischen. Da ist es anscheinend günstiger, den langen Flug in den tiefen Süden mit seinen guten Jagdrevieren zu wagen.
Orientierung an Bahnlinien und mit Magnetkompass
Bei vielen anderen Tierarten sind die Wanderrouten weiterhin ein Rätsel. Auf ihrem Weg orientieren sie sich an Landmarken und Orientierungspunkten: „In den USA haben wir Fledermäuse mit Sendern freigelassen, die anschließend lange an einer Bahnlinie entlangflogen“, berichtet Martin Wikelski vom Max-Planck-Institut für Ornithologie in Radolfzell und der Universität Konstanz. Auch Autobahnen und Stromleitungen sowie Flüsse und Bergketten dienen Vögeln als Leitplanken. Was aber geschieht auf hoher See, über eintönigen Landschaften oder beim Flug in der Nacht? Dort navigieren Vögel zum Beispiel mit einer Art Magnetkompass, der bei manchen Arten im Schnabel steckt.
Ob Tiere die Himmelsrichtungen auch anhand der Sterne feststellen, ist nicht ganz klar, weil es noch keine Versuche mit frei fliegenden Vögeln gibt. „Eine wichtige Rolle spielt offensichtlich auch der Geruch“, sagt Wikelski. Auch für einen Menschen riechen ein abgeerntetes Getreidefeld, eine Wiese und ein Wald unterschiedlich, zumindest wenn er die Augen schließt.
Um die Tiere auf ihren Wanderungen verfolgen zu können, werden sie auch mit Sendern ausgestattet. Wikelski und seine Kollegen haben eine internationale Initiative mit dem Namen Icarus ins Leben gerufen, die extrem leichte Sender für Tiere unter 200 Gramm entwickeln will. Solche Geräte gibt es zwar bereits, ihre Signale reichen aber nur wenige Kilometer weit. Der leichte Icarus-Sender soll hingegen bis zu einer Antenne auf der Internationalen Raumstation ISS funken.
In zwei Jahren soll die Antenne zur Raumstation transportiert werden. Damit lassen sich dann auch Singvögel und Fledermäuse verfolgen, bei denen die genauen Flugrouten und vor allem auch die Risiken der Reise noch ein Rätsel sind. Auch Nachtfalter haben die Forscher im Visier, die in wenigen Hundert Meter Höhe über Nordamerika fliegen und deren Raupen Ernteschäden in Milliardenhöhe verursachen. „Für fast alle Tierwanderungen gilt das Gleiche“, sagt Wikelski. „Es gibt zwar viele Theorien, die Forscher bis vor einigen Jahren aber kaum überprüfen konnten, weil die technischen Möglichkeiten fehlten.“
1. Streifengans
Bergsteiger staunen, wenn sie auf einem Achttausender Streifengänse über sich fliegen sehen. Menschen überleben ohne zusätzlichen Sauerstoff dort oben nicht lange. Die Vögel aber fliegen auf dem Weg von ihrem Brutgebieten in den Hochebenen Zentralasiens in ihr Überwinterungsgebiet Indien anscheinend mühelos über den Mount Everest. Auch wenn es Augenzeugen für diese Flugleistung gibt, ist diese Route eine seltene Ausnahme. „Fast immer überqueren Streifengänse den Himalaja über die niedrigsten Pässe“, berichtet Martin Wikelski. Diese Pässe liegen zwar immer noch 5500 Meter hoch, doch die Vögel wählen offenbar die Route, bei der sie am wenigsten Energie verbrauchen.
2. Hummel
Um wandernde Tiere nicht zu sehr zu belasten, bittet Martin Wikelski Ingenieure in den Unternehmen der Elektronikindustrie, möglichst winzige Sender zu entwickeln, die auch kleine Vögel oder Insekten huckepack tragen können. Ganze 0,2 Gramm war der gelieferte Minisender dann auch leicht. Für einen Testflug suchte der Forscher sich Hummeln aus, die in der Ein-Gramm-Gewichtsklasse starten. Diese Probe lieferte gleich ein erstaunliches Ergebnis: Eine Hummel summte 2010 während der Obstblüte am Bodensee einige Kilometer weit zu den leckersten Nektarquellen. Schon beim ersten Testflug hatte der Biologe eine bisher unbekannte Tierwanderung aufgedeckt.
3. Riesenschildkröte
Kürzlich hat Martin Wikelski die Riesenschildkröten auf den Galapagosinseln Santa Cruz und Isabela mit Sendern ausgerüstet. „Die Tiere legen Entfernungen von zehn Kilometern zurück und überwinden an den Hängen der Vulkane mehr als tausend Meter Höhendifferenz“, berichtet er. Zwar grasen die Tiere auch in der Höhe. In den tieferen Regionen der Galapagosinseln gibt es jedoch Regenzeiten, in denen die Vegetation üppig sprießt. Da die Schildkröten genau dann in Richtung Küste wandern, liegt ein Zusammenhang mit der Nahrung nahe. Welches Futter die Tiere aber tatsächlich suchen, müssen die Forscher noch untersuchen.
4. Palmenflughund
Flattertiere wie die Palmenflughunde wandern ebenfalls lange Strecken, sagt Christian Voigt vom Leibniz-Institut für Zoo- und Wildtierforschung (IZW) in Berlin: „Sie ziehen vom tropischen Regenwald in Afrika etliche Tausend Kilometer weit in die Sahelzone im Norden oder bis nach Sambia im Süden des Kontinents, wenn dort bestimmte Früchte massenhaft reifen.“ Die Konstanzer Forscher Dina Dechmann und Martin Wikelski haben diese bis zu 350 Gramm schweren Flughunde erstmals mit Fahrtenschreibern, sogenannten Loggern, ausgestattet, die das Satellitenortungssystem GPS nutzen, um die Tierwanderungen im Detail zu verfolgen.
5. Buckelwal
Nicht immer wandern Tiere, um zu fressen. Manchmal geht es auch ums Gefressenwerden. Deshalb, vermuten Meeresbiologen, machen sich Buckelwale auf den Weg. Viele der Tiere leben in den kalten Gewässern vor Alaska. Von dort schwimmen Weibchen in einem guten Monat mehr als 5000 Kilometer weit bis vor die Küsten Hawaiis, um dort ihre Kälber zu bekommen. Dort finden sie zwar keine Nahrung und fasten, aber die in kalten Gewässern häufigen Orcas tauchen vor Hawaii fast nie auf. Da neugeborene Buckelwalkälber für diese Schwertwale ein gefundenes Fressen sind, könnte das auch der Grund für die lange Wanderung sein.
6. Fledermaus
Anders als Vögel können Säugetiere Winterschlaf halten. So überstehen auch Fledermäuse die kalte Jahreszeit, in der kaum Insekten unterwegs sind, von denen sie sich ernähren. Trotzdem legen auch Fledermäuse weite Strecken zurück. Das liegt daran, dass nicht alle Tiere in Höhlen und Hausruinen überwintern, wo die Temperaturen erträglich bleiben. Anders ist die Situation für die Schläfer in Baumhöhlen, sie könnten in den Winternächten Skandinaviens oder des europäischen Nordostens erfrieren. „Aus diesem Grund ziehen Rauhautfledermäuse aus dem Baltikum und Russland 2000 Kilometer weit bis in den Bodenseeraum oder nach Frankreich“, vermutet Christian Voigt vom Leibniz-Institut für Zoo- und Wildtierforschung in Berlin.
7. Storch
Die Jungstörche aus dem Affenberg bei Salem (Bodenseekreis) haben sich bereits auf den Weg in den Süden gemacht. Die älteren Vögel werden in den nächsten Tagen folgen. Zurück erwartet werde kaum ein junger Storch, sagt der Parkleiter Roland Hilgartner. „Sie sterben an Stromleitungen, Straßen oder Erschöpfung.“ Das bestätigt Christian Voigt vom Leibniz-Institut für Zoo- und Wildtierforschung in Berlin: „Als wir 30 junge Weißstörche in Spanien mit Sendern ausgerüstet haben, starben 28 von ihnen während ihrer ersten beiden Lebensjahre in Afrika.“ Ein Ziel der Forscher ist, die Risiken der verschiedenen Flugrouten genauer zu untersuchen.
8. Amerikanische Königslibelle
Auch Insekten legen bisweilen ziemlich weite Strecken zurück. Die Amerikanische Königslibelle beispielsweise, die Martin Wikelski an der Ostküste der USA mit Minisendern ausgerüstet hat, fliegt Tausende von Kilometern weit in den Süden bis nach Florida. Selbst auf Ölbohrplattformen im Golf von Mexiko kommen diese sieben bis acht Zentimeter langen Insekten immer wieder einmal an. „Sie suchen dabei wohl nach Gebieten, in denen ihre Larven genügend Nahrung finden“, vermutet Martin Wikelski. Inzwischen hat der Biologe am Sylvenstein-Stausee in Bayern selbst die kleinen Distelfalter mit winzigen Sendern ausgestattet. Diese Schmetterlinge fliegen manchmal auch über die Alpen und zählen damit ebenfalls zu den Weitwanderern unter den Tieren.