Ratten sorgen immer wieder für Aufregung in Stuttgart. Jüngst tauchten sie am Amtsgericht auf. Tierschützer warnen allerdings vor dem Auslegen von Giftködern.

S-Mitte - Die Mitarbeiter des Landessozial- und Amtsgerichts an der Hauffstraße fühlten sich noch etwas mulmig, wenn sie den Gang zur Toilette antreten würden, meint der Vizepräsident Frank Schwörer. Ein Richter machte Anfang Juni im WC-Raum eine unappetitliche Erfahrung. Eine Ratte lugte aus der Kloschüssel und verschwand wieder in Richtung Kanalisation. Einige Toiletten sind seitdem im Amtsgericht gesperrt. Laut Vizepräsident Schwörer prüfe derzeit die Behörde Vermögen und Bau Baden-Württemberg das Rohrsystem des Gerichts. „In einem so großen Gebäude ist das gar nicht so einfach“, sagt Schwörer.

 

Die Ratten und die Stadt, das scheint überall auf der Welt eine endlose Geschichte zu sein. In der Stadt der Kehrwoche als Ausdruck schwäbischer Reinlichkeit sorgten die Tiere in jüngerer Vergangenheit allerdings schon zwei Mal für Schlagzeilen. Ratten zerstörten im Herbst 2018 8000 Bücher an der Universität. Sie verursachten einen Schaden von 200 000 Euro. Laut einer Sprecherin der Universität hat es seitdem zumindest keine weiteren Spuren von Befall gegeben. „Es wurden Rattenfallen aufgestellt sowie bauliche Maßnahmen in die Wege geleitet, um ein weiteres Eindringen der Tiere zu verhindern“, erklärt die Universitätssprecherin Andrea Mayer-Grenu.

Stadt sind keine Vorfälle bekannt

Laut Stadt sind zumindest keine weiteren Vorfälle wie am Amtsgericht oder in der Universitätsbibliothek in der näheren Vergangenheit in der Innenstadt bekannt. Von einer „Plage“ kann dieser Aussage zufolge keine Rede sein. Der Schädlingsbekämpfer Stephan Burkhardt aus Leinfelden stellt eines klar: Eine Großstadt ohne Ratten bleibt eine Illusion. Burkhardt bekämpft Ratten auch im Auftrag der Stadt. Doch die Nagetiere sind wohl kein einfacher Gegner. Das liege laut Burkhardt aber auch daran, dass der urbane Mensch es ihnen so einfach mache.

Menschen werfen Essen in die Toilette

Burkhardt verweist auf Müllsäcke, die nicht fest verschlossen werden, und auf das so genannte „Littering“. So nennt sich das Phänomen, Abfall, aber auch nicht konsumierte Speisen einfach auf den Boden zu werfen. Im wahrsten Sinne des Wortes enden sie dann als gefundenes Fressen für die Tiere. Den größten Einfluss habe aber ein anderes Fehlverhalten vieler Stadtbewohner, erklärt Burkhardt. „Es gibt immer noch zu viele, die nicht verbrauchtes Essen die Toilette herunterspülen“, sagt er. Die Nahrung lande dann direkt dort, wo die Tiere leben, in der Kanalisation, sagt der Schädlingsbekämpfer. Die warme Jahreszeit sei so etwas wie die Hochsaison der Tiere. „Das liegt einfach daran, dass sie noch mehr Nahrung finden als üblich“, sagt er. Der Kampf gegen die Ratten sei für die Schädlingsbekämpfer in den vergangenen Jahren auch wegen gesetzlichen Bestimmungen nicht einfacher geworden, erklärt er. Es muss zunächst ein Befall festgestellt worden sein, bevor Giftköder zum Einsatz kommen. „Eine dauerhafte Beköderung ist nicht mehr möglich“, sagt Burkhardt.

EU beschränkt Gifteinsatz

Die Europäische Union schränkte 2012 die Anwendung der blutgerinnungshemmenden Stoffe ein. Die sogenannten Antikoagulantien führen nach der Einnahme zum innerlichen Verbluten der Ratten. Doch die Gifte können auch andere Tiere beeinträchtigen, wenn Ratten nach dem Verspeisen der Köder gefressen werden. Sie reichern sich außerdem in der Umwelt an. Ein punktuelles Vorgehen schade der Rattenpopulation allerdings kaum, stellt Burkhardt fest. Er rät deshalb dazu, durch Rückstauklappen an Kanalisationsrohren ein Eindringen der Tiere in Gebäude zu erschweren. „Mit denen kommt alles raus, aber nichts rein“, sagt er.

Eindringen soll verhindert werden

Nadja Michler, Fachreferentin für Wildtiere bei der Tierrechtsorganisation Peta, setzt gleichfalls auf nichttödliche Methoden, um die Rattenpopulation in der Stadt unter Kontrolle zu behalten. Sie bestreitet nicht, dass Ratten Krankheiten wie etwa das Hantavirus übertragen können. Eine Überpopulation der Tiere schade ihnen außerdem selbst, betont sie. Deshalb rät sie dazu, Fressfeinden von Ratten wie Füchsen oder Mardern in der Stadt mit größerer Toleranz zu begegnen.

Michler bezweifelt, dass Giftköder eine Stadt von Ratten frei halten könnten. „Selbst wenn die ganze Population vernichtet wird, kommen Ratten von anderswo, wenn es für sie Nahrung gibt“, sagt Michler. Das Ziel der Tierrechtlerin lautet deshalb, ein verträgliches Miteinander von Nagern und Menschen. „Mit dem Vergiften muss Schluss sein“, fordert sie.