Ähnlich wie Menschenaffen können auch Vögel Pläne für die Zukunft schmieden. Auch beim Austricksen ihrer Artgenossen gehen sie teilweise äußerst raffiniert vor.

Stuttgart - Wanderschuhe oder Badeanzug? Warme Jacke oder Shorts? Schicke oder legere Klamotten? Oder alles zusammen? Viele Menschen stehen in diesen Tagen grübelnd vor ihren Koffern. Gar nicht zu reden von all den grundsätzlicheren Fragen: Sollte man vielleicht diesmal doch lieber mit der Bahn fahren statt mit dem Auto? Im Ferienhaus wohnen statt im Hotel? Und will man die Reisegefährten vom letzten Jahr wirklich wieder drei Wochen um sich haben? Urlaubsplanung kann schon eine echte Herausforderung sein.

 

Zum Glück hat die Evolution die Menschheit auf solche Situationen vorbereitet. Unser Gehirn ist ziemlich gut darin, Erfahrungen aus der Vergangenheit zu speichern. Daraus lässt sich ableiten, was man heute tun sollte, um morgen ein bestimmtes Ziel zu erreichen. Zwar schützt so ein planerisches Vorgehen nicht vor Enttäuschungen. Doch es vergrößert die Erfolgschancen. Lange hielten Forscher diese Form von Weitsicht für eine Spezialität des Menschen oder zumindest seiner näheren Verwandtschaft. Doch davon kann offenbar keine Rede sein: Etliche Versuche haben inzwischen gezeigt, dass nicht nur Menschenaffen, sondern auch Raben, Krähen und Co. Pläne für die Zukunft schmieden.

Dabei ist das eine ziemlich anspruchsvolle Aufgabe. Etliche Versuche mit Kleinkindern zeigen, dass selbst Menschen nicht als Planungsgenies geboren werden. So haben Jonathan Redshaw und Thomas Suddendorf von der University of Queensland im australischen St. Lucia Drei- und Vierjährige vor verschiedene Aufgaben gestellt. Sie sollten zum Beispiel das passende Werkzeug auswählen, um eine Kiste zu öffnen. Oder sie erfuhren, dass „Ellie der Elefant“ gern Bananen fraß. Also galt es, aus einer Kollektion von Plastikobst den gewünschten Leckerbissen zu holen und die Handpuppe damit zu füttern.

Bei Vierjährigen beginnt die Zukunftsplanung

Das war für alle Kinder kein Problem, wenn sie das Werkzeug oder Obststück gleich zum Einsatz bringen konnten. Anders sah die Sache allerdings aus, wenn sie zwischendurch für eine Viertelstunde aus dem Raum geführt und abgelenkt wurden. Erst nachdem eine Sanduhr abgelaufen war, durften sie ein Werkzeug oder eine Frucht wählen und mit zurücknehmen. Sie mussten sich also nicht nur an die Aufgabe erinnern, sondern auch voraussehen, dass sie den jeweiligen Gegenstand demnächst brauchen würden. Die meisten Dreijährigen waren damit überfordert, bei den Vierjährigen klappte das schon deutlich besser. Offenbar beginnen Menschen ungefähr in diesem Alter, mental in die Zukunft zu reisen.

Auch Menschenaffen zeigten sich in ähnlichen Versuchen oft erstaunlich weitsichtig. So haben Nicholas Mulcahy und Josep Call vom Max-Planck-Institut für Evolutionäre Anthropologie in Leipzig Orang-Utans und Bonobos beigebracht, mit einem Werkzeug einen Leckerbissen aus einem Apparat herauszuholen. Anschließend stellten sie den Tieren zwei geeignete und sechs ungeeignete Hilfsmittel zur Verfügung. Nach fünf Minuten Bedenkzeit mussten die Affen den Raum verlassen und sich in einem Wartezimmer aufhalten. Dann durften sie zurückkommen und sich erneut an dem Futterapparat versuchen. Die meisten bekamen rasch heraus, wie sie zum Erfolg kommen konnten: Vorausschauend nahmen sie ein passendes Werkzeug mit in den Warteraum und brachten es später wieder mit. Bei den erfolgreichsten Affen konnte eine ganze Nacht zwischen Werkzeugauswahl und Rückkehr zum Apparat liegen.

Allerdings bestanden regelmäßig nur Menschenaffen solche Tests, andere Affenarten scheiterten. Deshalb gilt die Fähigkeit zur mentalen Zeitreise als Erbe des letzten gemeinsamen Vorfahren von Menschenaffen und Menschen, der vor etwa 14 Millionen Jahren lebte. Es gibt jedoch eine Tiergruppe, die da nicht so recht ins Bild passt, denn obwohl sie im Stammbaum der Tiere ziemlich weit weg vom Menschen stehen, handeln auch Raben, Krähen und ihre Verwandtschaft verblüffend vorausschauend.

Abwechslung beim Frühstück

So sind Eichelhäher in der Lage, ein üppiges und vielfältiges Frühstücksbüfett zu planen. Das hat ein Team um Nicky Clayton von der University of Cambridge herausgefunden. Jeden Morgen haben die Forscher die Tiere entweder in einen Teil ihres Käfigs ohne Nahrung gelassen oder in einen, in dem es Futter gab. Nach ein paar Tagen bekamen die Vögel abends Pinienkerne, die sie verstecken konnten. Daraufhin richteten sie ihre Vorratslager gezielt dort ein, wo sie nicht mit einem Frühstück rechneten. In einem anderen Versuch gab es im einen Raum morgens Hundefutter und im anderen Erdnüsse – und die Vögel versteckten abends den jeweils anderen Snack, um sich etwas Abwechslung zu verschaffen.

Allerdings hatten Wissenschaftler solche planvollen Aktionen bei Rabenvögeln zunächst nur beim Anlegen von Vorräten beobachtet. Ist das also eine spezielle Anpassung an Zeiten der Nahrungsknappheit? Oder besitzen auch diese Tiere wie Menschenaffen und Menschen ein flexibles Talent für mentale Zeitreisen? Um das zu klären, haben Can Kabadayi und Mathias Osvath von der Universität im schwedischen Lund Kolkraben verschiedene Aufgaben gestellt. Mal ging es darum, einen Stein passender Größe in eine Box zu werfen, die darauf einen Leckerbissen ausspuckte. Dann wieder lernten die Vögel, dass sie bei einem Betreuer einen Plastikdeckel gegen Futter eintauschen konnten.

Erstaunliche Selbstbeherrschung

Beide Aufgaben meisterten die Vögel problemlos. Meist wählten sie nicht nur das richtige Werkzeug oder Tauschobjekt aus, sondern sie hoben beides auch für später auf – egal, ob sie es nach einer Viertelstunde oder erst am nächsten Tag brauchten. Ihr Planungshorizont reicht dabei mindestens 17 Stunden in die Zukunft. Beim Tauschhandel sind sie sogar erfolgreicher als Menschenaffen oder vierjährige Kinder. Und sie legen eine erstaunliche Selbstbeherrschung an den Tag. Wenn sie die Wahl haben, eine kleine Belohnung sofort zu kassieren oder abzuwarten und dann ein besonders leckeres Stück Hundefutter zu bekommen, entscheiden sie sich fast immer für Geduld. Sie haben also ihre Impulsivität im Griff, um längerfristige Ziele zu verfolgen.

Die Weitsicht von Raben steht der von Schimpansen und Co. offenbar in nichts nach. Dabei hat der letzte gemeinsame Ahn von Vögeln und Säugetieren bereits vor 320 Millionen Jahren gelebt. Dass der schon ein Planungsgenie gewesen sein könnte, ist unwahrscheinlich. Den Hang zur Planwirtschaft muss die Tierwelt also mindestens zwei Mal unabhängig voneinander erfunden haben.

Die Wurzeln der Intelligenz

Umwelteinflüsse Es gibt zwei Theorien darüber, warum manche Tiere im Laufe der Evolution größere geistige Fähigkeiten entwickelt haben als andere. Zum einen könnte intelligentes Verhalten eine Reaktion auf die Herausforderungen der Umwelt sein. Wenn man sich zum Beispiel merken will, wo es wann welches Futter gibt, muss man sein Hirn schon ein bisschen anstrengen. Das Gleiche gilt, wenn die Leckerbissen nur schwer zugänglich sind und man vielleicht sogar Werkzeuge braucht, um daranzukommen. Aus diesem Grund gelten etwa die Bergpapageien Neuseelands als besonders intelligent, denn diese Keas leben im kargen Hochgebirge, wo sie nur mit viel Einfallsreichtum an genügend Futter kommen.

Sozialleben Die andere Hypothese besagt, dass Intelligenz eine soziale Frage ist. Wer das Verhalten von Artgenossen, Konkurrenten und Feinden im Auge behalten und vielleicht auch noch manipulieren muss, braucht jede Menge Grips. Als besonders begabte Strippenzieher gelten Schimpansen. Diese Menschenaffen haben ein ausgefeiltes Sozialleben, in dem Bündnisse und Intrigen an der Tagesordnung sind.

Versteckspiele Im Alltag von Rabenvögeln spielen sowohl umweltbedingte als auch soziale Herausforderungen eine Rolle. Zum einen verstecken sie Futter, das nur begrenzt haltbar ist. Also müssen sie wissen, wo ihre Depots liegen, seit wann die Vorräte dort lagern und bis wann man sie verbrauchen muss. Zudem gilt es, die Artgenossen im Blick zu behalten, um die Schätze vor Plünderern zu schützen. So versuchen Kolkraben mit viel Raffinesse, ihre Konkurrenten zu verwirren und ihre Verstecke geheimzuhalten.