Stirbt ein Tier, trauert der Mensch. Ralf Bohler tritt die Nachfolge von Maximilian Rothenbacher an. Der hat den Tierfriedhof ins Leben gerufen.

Reportage: Frank Buchmeier (buc)

Stuttgart - Einen Meter über den sterblichen Resten von Kater Carlo stehen frische Rosen in einer Kunststoffvase. Gleich daneben liegt das Kaninchen Tschutschi begraben; es hoppelte nicht lange über irdische Wiesen (19.4.2001 - 3.9.2003), wird aber noch immer schmerzlich vermisst: "Du fehlst uns sehr", steht auf seinem Stein. Hinten am Zaun erinnert ein stählernes Denkmal an die Rüden Tarzan, Pankratz und Titan: "Dank für eure Treue. Ihr seid nicht tot. Nur fern. Unvergessen."

 

In der Aussegnungshalle, hier profan "Pavillon" genannt, laufen die letzten Vorbereitungen für die Bestattung am Montag. Auf einem Podest steht ein kleiner Kiefernsarg, ringsum flackern Kerzen in der unbeheizten Winterluft. Der Anruf des Ehepaars Müller (Name geändert) erreichte den Totengräber Maximilian Rothenbacher am Abend zuvor: Die Münsterländerdame Betty sei dreizehneinhalbjährig gestorben. Betty war schon seit einigen Monaten schwer krank. Zwei Operationen hatte sie hinter sich, die Milz musste entfernt werden. Zuletzt konnte sie keine Treppen mehr steigen und wollte nicht mehr essen. Herr Müller hat den Tierarzt gerufen, doch der konnte Betty nicht mehr helfen, außer sie von ihren Qualen zu erlösen.

Maximilian Rothenbacher hat die letzte Ruhestätte bereits mit dem Bagger ausgehoben und davor einen silbernen Kerzenleuchter sowie eine Schüssel mit Erde und einer kleinen Schaufel drapiert. Nun beobachtet ihn ein stummer Chor von Porzellanengeln dabei, wie er mit geübten Schwüngen den Namen der verstorbenen Hündin auf die provisorische Grabtafel schreibt.

Ein Friedhof nur für Tiere

"Auch Tiere können auf eine bestimmte Weise, in der man ihre Leichen behandelt, nach ihrem Tod entehrt werden. Dadurch, dass wir das Konzept, jemanden nach seinem Tod zu ehren, auf Tiere übertragen, bringen wir zum Ausdruck, dass wir Tieren eine, wenn auch abgeschwächte, Form von Individualität zuschreiben. Wer eine Würde besitzt, die man ihm rauben, die man aber auch bewahren kann, zählt für uns als Subjekt und Objekt moralischen Verhaltens: Das ist die Lehre, die uns noch das tote Tier erteilt." Raimond Gaita, Moralphilosoph

In Deutschland sterben täglich etwa 3000 Hunde und Katzen. Laut Gesetz darf man sein Haustier im eigenen Garten begraben, sofern das Grundstück nicht in einem Wasserschutzgebiet liegt und der Leichnam von einer mindestens 50 Zentimeter tiefen Erdschicht bedeckt wird. Doch in Ballungsräumen besitzen wenige Menschen einen Garten. In der Region Stuttgart landen die allermeisten Hunde- und Katzenkadaver daher gemeinsam mit Schlachtabfällen in Tierkörperbeseitigungsanlagen. Dort werden sie geschreddert und später zu Dünger, Seife oder Schmiermittel weiterverarbeitet.

Vor 15 Jahren kam der Stuttgarter Bildhauer Maximilian Rothenbacher auf die Idee, sensiblen Tierfreunden eine Alternative zur bloßen Entsorgung zu bieten. Nach einem langwierigen Genehmigungskampf mit diversen Behörden pachtete Rothenbacher im Stadtteil Fasanenhof ein 6000 Quadratmeter großes Areal und eröffnete den Friedhof Animalia.

Christliche Beerdigungen auch für Tiere?

Bettys Kadaver liegt in einen schwarzen Plastiksack verpackt im Kofferraum des Ford S-Max von Ehepaar Müller. Rothenbacher und sein jüngerer Kompagnon Ralf Bohler kondolieren den Hinterbliebenen. Bohler hebt den Plastiksack auf die Bahre, schiebt sie in den Pavillon, legt den Plastiksack in den offenen Sarg und schneidet ihn vorsichtig auf. Bettys Augen sind geöffnet, die Zunge hängt aus dem Fang. Sie sieht friedlich aus und riecht streng. "Meine Gute, mein Schatz", sagt Frau Müller, streichelt den steifen Körper der Hündin und beweint das tote Geschöpf.

Darf man ein verstorbenes Haustier nach den gleichen Ritualen bestatten wie einen verstorbenen Menschen? Nein, meint die Stadt Stuttgart und verbietet offiziell sakrale Zeichen und Zeremonien auf dem Tierfriedhof am Fasanenhof. Ja, meint Maximilian Rothenbacher und argumentiert: "Wenn man Religion ernst nimmt, muss man Christen erlauben, sich von ihrem langjährigen Gefährten auf christliche Weise zu verabschieden." Längst findet man auf dem Tierfriedhof vereinzelt Kreuze, und zweimal hat sogar ein Pfarrer bei Hundebeerdigungen gepredigt.

Maximilian Rothenbacher schert sich weniger um Paragrafen als um den Seelenfrieden seiner Kundschaft. "Die tiefe Trauer um ein geliebtes Tier können nur Menschen verstehen, die selbst ein Tier liebten." Rothenbacher hat bereits einige seiner geliebten Katzen verloren.

"Wir atmen nicht nur die gleiche Luft. Wir essen auch fast dasselbe, meine Katze und ich. Ihr Herz ist kleiner, ihr Kreislauf auch. Ihr Hirn hat weniger Zellen als meines, und dennoch findet sie sich in ihrem Lebensbereich sehr gut zurecht. Wenn man die Seele als Prinzip, als Ursache des Lebens, der Lebendigen bezeichnet, dann hat meine Minka eine Seele, die sie von dem Augenblick an, als sich Ei und Same vereinigt haben, geformt und gestaltet hat. Und einmal - ich habe Angst vor diesem Augenblick - wird dieses Prinzip des Lebens, das wir Seele nennen, diesen kleinen schönen Katzenkörper verlassen, und dieser wird dann - wie mein Körper auch - von Würmern zerfressen werden." Fritz Betzwieser, katholischer Theologe

"Betty war stets an unserer Seite"

"Sollen wir den Sarg jetzt schließen?" Frau Müller nickt. Draußen ist nasskaltes Beerdigungswetter, der kurze Trauerzug stapft über den matschigen Rasen zu Bettys letzter Ruhestätte. Rothenbacher und sein Kompagnon Bohler lassen den Sarg ins Erdloch hinab, die Müllers werfen rote Rosen hinterher. Jetzt wäre Stille schön, doch nebenan rauscht der Verkehr pietätlos über das Echterdinger Ei. Hand in Hand steht das Rentnerpaar am Grab. Was hilft gegen die Trauer? Man könnte über Betty reden.

Der Münsterländer kam als Welpe zu den Müllers. Zwei Jahre lang machte Herr Müller eine Jagdausbildung mit Betty. Sie war ein Käpsele, hatte die allerbesten Prüfungsergebnisse. Viel Geld bot ein Jäger Herrn Müller für Betty, aber Herr Müller hätte seine schlaue Hündin um keinen Preis der Welt hergegeben.

Einmal musste Frau Müller für einige Tage in die Klinik. Da hat Betty gelitten - wie ein Hund. Sie war ja immer so anhänglich. Überall war sie dabei. In Kärnten, auf der Seiser Alm, in Garmisch, am Wilden Kaiser und zuletzt, es war schon Herbst und Betty krank, am Tegernsee. Ein Kindersatz? Gewiss nicht, sagt Frau Müller und berichtet von ihren Töchtern, den Enkeln, den Urenkeln: "Aber die haben ja alle ihr eigenes Leben. Betty war stets an unserer Seite; kein Mensch ist einem so nahe."In den kommenden Tagen werden die Müllers eine Rechnung der Bestattungsfirma Animalia erhalten: Fichtensarg mittelgroß 200 Euro, Bestattung sowie Grabpacht für die kommenden fünf Jahre 600 Euro. Macht unterm Strich 800 Euro. Und einen Grabstein mit Bettys Konterfei wollen die Müllers auch noch in Auftrag geben.

Abschied auch für Rothenbacher

Klingt nach einem lukrativen Geschäft für Rothenbacher. Doch der Tierbestatter rechnet vor: 350.000 Mark musste er sich einst von der Bank leihen, um seine Idee verwirklichen zu können. 6200 Euro Jahrespacht kassiert die Stadt für das Grundstück an der A8. Manchmal gibt es zwei Wochen lang keine einzige Beerdigung. Und die Anlage muss ständig in Schuss gehalten werden.

Als Rothenbacher 1997 Animalia eröffnete, gehörte er zu den Pionieren der Branche. Heute liegt der nächste Tierfriedhof knapp 20 Kilometer vom Fasanenhof entfernt in Kornwestheim, bundesweit gibt es aktuell 120 Gräberfelder für Vierbeiner. Man kann seinen verstorbenen Liebling auch einäschern lassen, beispielsweise im Haustierkrematorium Attiba in Remseck-Aldingen. Daneben tummeln sich im Tierbestattungswesen eine Menge freier Dienstleister, die gegen gute Bezahlung beispielsweise dafür sorgen, dass die Asche von Miezi im Atlantik landet oder die Asche von Rex zu einem Diamanten gepresst wird, den die Hundewitwe am Hals tragen kann.

Die Konkurrenz ist groß und Rothenbachers Gesundheit nicht mehr die beste. Vor Monaten erwischte es den 74-Jährigen schlimm, innerhalb von drei Wochen nahm er 22 Kilo ab. Das hindert ihn freilich nicht daran, sich nach wie vor eine Gauloise nach der anderen anzuzünden. Aber den Job als Friedhofsbesitzer, Totengräber und Seelsorger in Personalunion gibt er nun lieber auf.

Ralf Bohler hat die Nachfolge angetreten

Die Konkurrenz ist groß

Nach einer halbjährigen Einarbeitungszeit hat Ralf Bohler zum 1. Januar offiziell den Friedhof übernommen. Der 46-Jährige ist gelernter Gartenbauer und auf dem Gestüt in Marbach aufgewachsen. Er kennt sich mit Tieren aus - und mit deren stolzen Besitzern. Vor einigen Jahren plante er in einem ehemaligen Steinbruch einen Pferdefriedhof. Doch dann kam BSE und damit das Verbot, Huftiere zu begraben.

Statt Pferde bringt Bohler nun Hunde und Katzen sowie ab und an auch mal ein Kaninchen, ein Meerschweinchen oder einen Wellensittich unter die Erde. Sein neuer Arbeitsplatz habe ihn geradezu ergriffen, sagt er, "weil man die Menschen auf einer anderen Ebene kennenlernt, sie verlieren ihre Masken". Kürzlich habe ein ganz harter Kerl aus der Rotlichtszene seinen Dobermann bestatten lassen und dabei "wie ein kleiner Junge Rotz und Wasser geheult". Der Tod eines guten Freundes öffne eben jedem das Herz.

Es dämmert schon, als sich das Ehepaar Müller von den Tierbestattern Rothenbacher und Bohler verabschiedet. "Wir werden Bettys Grab häufig besuchen", kündigt Herr Müller an. Zu Hause wird er die Tür aufschließen, und die Hündin wird fehlen.

Anmerkung der Redaktion: In einer früheren Version des Textes stand in der Dachzeile sowie in der Ortsmarke, dass der Tierfriedhof  in Kornwestheim sei. Wir haben diesen Fehler behoben.