Jedes Jahr werden nach Weihnachten Tiere in Tierheimen abgegeben, die noch wenige Tage zuvor unter dem Weihnachtsbaum saßen. Ursula Gericke, Leiterin des Ludwigsburger Tierheims, erzählt die Geschichte von Weihnachts-Kater Venom.

Ludwigsburg : Anna-Sophie Kächele (ask)

Hinter einer Glasscheibe sitzt ein schwarzer Kater. Venom ist fünf Jahre alt – mehr als die Hälfte seines Lebens verbringt er schon im Ludwigsburger Tierheim. Im Dezember 2021 wurde er abgemagert und verängstigt abgegeben, Tierheimleiterin Ursula Gericke geht davon aus, dass er ausgesetzt wurde. Ein Besitzer hat sich zumindest nie gemeldet. Venom ist vermutlich eines der ungewollten Weihnachtsgeschenke. Abgegeben wie eine Bluse oder ein Hemd, das den Geschmack des Beschenkten nicht getroffen hat.

 

Viele Tiere werden um Ostern und Pfingsten herum abgegeben

„Ein Tier ist kein Geschenk, ein Tier ist ein Familienmitglied“, mahnt Gericke. Wie viele Tiere, die einst zu Weihnachten gekauft wurden, bei ihr im Tierheim Ludwigsburg landen, lässt sich nicht sagen. An Ostern würden viele abgegeben, genauso wie an Pfingsten – dann, wenn die Menschen in den Urlaub fahren möchten.

Ursula Gericke mit einem ihrer Schützlinge. Foto: Simon Granville

Jährlich landen 30 bis 40 Katzen mehr als im Vorjahr bei dem Team von Ursula Gericke. Immer mehr davon sind Rassekatzen. Es ist nicht lange her, dass eine ihrer Mitarbeiterinnen beim Ausparken gerade noch rechtzeitig im Dunklen die schwarze Stofftasche gesehen hat, in der ein Bengalkater saß.

Im Tierheim Ludwigsburg sitzen allein 95  Hunde, 100 Katzen – viele davon sind Freigänger. Immer häufiger werden Hunde abgegeben, die schwer zu vermitteln sind. Denn neben Weihnachts-Tieren sind es auch Corona-Tiere, die im Tierheim landen. Hunde, die sich Menschen nur gekauft hatten, um sich während der Ausgangssperre draußen aufhalten zu dürfen. „Die Tiere sind nicht sozialisiert, die haben nur Mist gelernt, die Hundeschulen hatten zu“, sagt Gericke. Selbst mit Kaninchen seien Menschen während der Pandemie abends an der Leine unterwegs gewesen.

Tierheim Ludwigsburg ohne Vermittlungsstopp

Scheidung, kranke Besitzer, wieder mehr Präsenz im Büro statt Homeoffice: Jedes Tier hat seine eigene Geschichte. Lillifee, eine zehn Jahre alte Collie-Hündin, wurde vor zehn Wochen von den Behörden eingezogen, ihre Besitzerin war psychisch krank, es gab Ärger mit den Nachbarn. Die kleine gemusterte Hündin mit dem weißen Kragen und den sanftmütigen Augen folgt Gericke aus dem Büro. Sie sei ruhig, sauber, gehe gerne Gassi, erzählt Gericke. „Sie sollte zu jemandem, der sich auskennt“, sagt die Leiterin. Jemand, der außerhalb der Stadt lebt und einen Garten hat.

Vielleicht erlebt Lillifee noch ihr Wunder nach Weihnachten? Auch deshalb wollte Ursula Gericke in den Wochen vor und um die Feiertage keinen Vermittlungsstopp verhängen, wie das manch anderes Tierheim tut. Viele Menschen hätten jetzt Zeit. „Ich sehe überhaupt nicht ein, dass ich einem Tier die Chance verhunze.“ Viele Hunde seien froh um jeden Tag, den sie nicht im Zwinger verbringen müssten.

Die Collie-Hündin Lillifee lebt seit zehn Wochen im Tierheim Ludwigsburg. Foto: Simon Granville

Tierheim achtet darauf, wer ein Tier holen will

Dennoch wird genau darauf geachtet, wer ein Haustier zu sich holen will. Haben die Besitzer Geld, Zeit und einen Plan B? Am liebsten ist es Ursula Gericke, wenn der Zweitkontakt, der in einem Notfall das Tier übernehmen kann, seine Daten angibt, die auch in der Wohnung des Besitzers hängen. Das schlimmste sei, wenn kranke Menschen vom Rettungsdienst abgeholt würden, niemand von dem Tier wisse und es vertrockne.

Den Hof entlang, durch eine Tür und ein Schiebetor sitzen die Kaninchen. Ein grauer Widder mit Schlappohren frisst einen Apfelschnitz, daneben ein braun gemustertes Zwergkaninchen mit zerzausten Haaren zwischen den Ohren. An der Wand hängt ein Papier: zwei Kaninchen sechs Quadratmeter Käfiggröße. „Das wissen viele nicht, die kleinen Käfige, die man im Zoogeschäft kaufen kann, sind nicht erlaubt“, sagt Gericke.

Zwei Kaninchen zu Weihnachten für die Kinder? Laut der Tierheimleiterin eine schlechte Idee. Haustiere sollten nicht Kindern gehören – ein Großteil sei irgendwann davon gelangweilt. Dabei leben Kaninchen bis zu neun Jahre. Außerdem würden Kaninchen nicht gerne auf dem Schoß sitzen und kuscheln, sagt sie. „Dann lieber Tamagotchis“ – ein elektronisches Spielzeug aus Japan, das um die Jahrtausendwende besonders populär war und um das man sich wie um ein Haustier kümmern musste.

Zwei Kaninchen, die im Tierheim Ludwigsburg leben. Foto: Simon Granville

Tierheim Ludwigsburg wird von ehrenamtlichen Gassigehern unterstützt

Vor Ursula Gericke liegen anstrengende Tage. An Silvester kommen ehrenamtliche Gassi-Geher, um sich um die Tiere zu kümmern. Es sei vorgekommen, dass Unbekannte ihnen Silvesterkracher über den Zaun geworfen hätten. „Jedes Jahr sterben so viele Tiere an Silvester, so viele“, sagt Gericke. Auch Wildtiere, die panisch ihren Schlafplatz verlassen und angefahren würden.

Vor zwei Jahren habe die Polizei ihr zwei Hunde vorbeigebracht, die in einer Tiefgarage in einem Auto saßen, als das danebenstehende durch einen Silvesterknaller explodiert sei. „Manche Tiere werden wütend, manche panisch, manchen macht es gar nichts aus“, sagt Gericke. Der Leiterin des Tierheims ist unverständlich, warum es kein Böllerverbot gibt, warum der Bundesrat Feuerwerksverbote im Umkreis von Tierheimen an Silvester abgelehnt hat.

Wo Venom wohl den bevorstehenden Jahreswechsel verbringt? Während Ursula Gericke die Politik kritisiert, versteckt sich der Kater hinter einer getigerten Katze, die mit ihm in einem Raum sitzt. Bis Venom im Tierheim gelandet ist, haben es die Menschen nicht gut mit ihm gemeint. Wer sein Vertrauen will, braucht Geduld.