Naturschützer und Regierende begeistert die Rückkehr der Raubtiere – Schäfer keineswegs.Das Land setzt der Sorge einen behördlichen Leitfaden entgegen.

Böblingen: Marc Schieferecke (eck)

Magstadt - Der Landwirtschaftsminister scheint jedem Wolf persönlich die Pfote schütteln zu wollen. „Wir begrüßen den Wolf in Baden-Württemberg.“ So ließ sich Peter Hauk (CDU) im Mai zitieren. Anlass war, dass ein Wolf an der Baar gesichtet wurde – lebend. 2015 war eines der Tiere bei Merklingen überfahren worden, eines bei Lahr. Für die Begrüßung rüstet sich das Land mit einem 43-seitigen „Handlungsleitfaden für das Auftauchen einzelner Wölfe“, erarbeitet gemeinsam mit Naturschützern. Zu beachten ist das Wörtchen einzelner. Rudel sind nicht vorgesehen.

 

„Sonst bin ich 100 Prozent einig mit dem Naturschutzbund“, sagt Karlheinz Krüger, „aber nicht beim Wolf“. Seine Ehefrau Sabine und er treiben von ihrem Hof bei Magstadt aus Schafe und Ziegen durch die Landschaft. Dass die Hirten die Räuber keineswegs begrüßen, ist zumindest in Fachkreisen bekannt. „Wir Schäfer wollen den Wolf nicht.“ Mit diesem Satz schloss der Schafzuchtverband eine Gegenrede zur Freude darüber, dass die Räuber sich wieder in Deutschland ansiedeln.

1904 war das Staatsziel der Ausrottung erreicht

Einst galt ihre Ausrottung als Staatsziel. 1904 war es erreicht. Auch hartnäckige Naturschützer leugnen nicht, dass Wölfe gern über Weidetiere herfallen. Sie sind schlicht leichter zu erbeuten als Wildtiere. Getötet werden keineswegs nur vereinzelte Schafe oder Ziegen. Dass die Tiere fliehen, entflammt den Jagdinstinkt, weshalb Wölfe weit mehr reißen, als sie fressen könnten.

Mit den Staatszielen hat sich seit 1904 ganz Deutschland verändert. „Wir leben nicht in Kanada, sondern in einer Kulturlandschaft“, sagt Krüger. Er ist Schäfer, weil er zum Schutz der Natur beitragen will. Wo Schafe weiden, fahren keine Mähdrescher. In einer industrialisierten Landwirtschaft „haben Heuhüpfer oder bestimmte Vogelarten keine Überlebenschance“, sagt er.

Mehr als 300 Wölfe leben inzwischen in der Republik. In Nord- und Ostdeutschland gelten sie längst wieder als Problem, nicht nur unter Nutztierhaltern. Die Räuber verlieren die Scheu vor Menschen. Sogar inmitten von Wohngebieten sind sie schon gesichtet worden. Angriffe auf Hunde sind aktenkundig. Menschen wurden verfolgt, aber nicht attackiert. Falls doch, wären sie chancenlos. Wölfe können bis zum Doppelten eines Schäferhundes wiegen.

Die Politik setzt der Sorge eine behördliche Wolfsverwaltung entgegen. Jener Handlungsleitfaden klärt Zuständigkeiten und regelt, wie Wölfe zu registrieren sind. Zu Begegnungen mit ihnen bleiben die Informationen dürr. Viel mehr, als dass Menschen zumeist nichts zu befürchten haben, ist in dem Papier nicht zu lesen. Sollten sogenannte „auffällige Wölfe“ hartnäckig gegen den Leitfaden handeln, besteht die Möglichkeit, sie zu erschießen, nach amtlicher Genehmigung. Der Wolf steht unter Tierschutz – im Gegensatz zum Schaf.

Die Regierenden setzen den Sorgen 10 000 Euro entgegen

Welchen Wert die Regierenden den Sorgen der Hirten beimessen, ist festgehalten: 10 000 Euro für Baden-Württemberg. Mit dieser Summe ist ein Fonds ausgestattet, aus dem Ersatz für gerissene Nutztiere bezahlt werden soll, sofern beweisbar ist, dass ein Wolf der Täter war. Welche finanziellen Risiken dem entgegenstehen, haben Krügers vergangene Woche wieder einmal erlebt. Eine Herde ist ausgebüxt, weil sie aufgescheucht wurde, mutmaßlich von einem Hund. Die Flucht endete auf einer Straße. Zwei Autos fuhren in die Herde. Für Schäden haften die Schäfer.

Üblicherweise zahlt eine Versicherung, aber nicht in jedem Fall und nicht in jeder Höhe. Bei Gefahr im Verzug müssen die Hirten ihre Tiere rund um die Uhr überwachen, theoretisch auch, wenn ein Wolf gesichtet wird. Nebenerwerbsschäfern ist das unmöglich. Schäden können die Kosten zweier demolierter Stoßstangen weit übersteigen. 2008 entgleiste bei Fulda gar ein ICE, weil Schafe auf den Gleisen standen. Solche Unglücke werden selbstredend die Ausnahme bleiben, aber Kosten kommen auf die Schäfer mit dem Auftauchen des Wolfes zwangsläufig zu. Elektrozäune, die die Herden heute schützen, sind 90 Zentimeter hoch. Um einen Wolf vom Überspringen abzuhalten, sind mindestens 1,40 Meter empfohlen. Speziell zum Herdenschutz ausgebildete Hunde gelten als Alternative. Ob sie den Kampf mit Wölfen überleben, ist eine Frage, die andere, wie ernst sie ihre Aufgabe nehmen: Sie schützen ihre Herde auch vor Hunden und im Zweifel vor Spaziergängern. Ihre Verwendung in der Nähe von Siedlungen oder Wanderwegen verbietet sich.

Für Krüger ist Folge der Wolfsansiedlung, „dass nur Großbetriebe überleben, die sich das leisten können, die Kleinen geben auf“. Dann ist dem Tierschutz gedient, aber dem Landschaftsschutz geschadet. Zumindest die typische Kulturlandschaft in der Region hegen nur die Kleinbetriebe.