Das Rosensteinmuseum in Stuttgart eröffnet am Mittwoch die Ausstellung "Sex". Sie dreht sich um das große Kamasutra der Tierwelt.

Stuttgart - Gleich am Eingang läuft die Livesexshow. Hinter der Glasscheibe stehen Besucher und schauen zu, wie sich dünne Fingerchen ineinanderkrallen, schuppige Körper im Liebestaumel winden, dann ekstatisch erstarren. Dass sie bei ihrem Geschlechtsakt im Terrarium ständig Publikum vor der Nase haben, nehmen die sechs grellgrünen Echsen mit großer Gelassenheit zur Kenntnis.

 

Vor dem Rosensteinmuseum raucht Arnold Staniczek eine Pausenzigarette. Der Biologe und Insektenkundler hat sich die Schau ausgedacht. Er könnte so viele Anekdoten über tierischen Sex erzählen, dass er zum Star jeder launigen Tischrunde aufsteigen würde. Er hat sie sich allerdings für die Sonderausstellung aufgehoben.

Grundregel: nicht die Frau, sondern der Mann muss sich herausputzen. "Es ist vielen Menschen gar nicht bewusst, dass im Tierreich immer die Weibchen auswählen. Sie entscheiden, wer Vater ihrer Kinder wird", sagt Staniczek. Um eine Chance zu haben, muss sich der Mann ordentlich ins Zeug legen. Neben einem attraktiven Äußeren ist auch Muskelkraft gefragt. Hirsche und Kängurus etwa kämpfen um ihre Braut. Der Stärkere zieht dabei nie den Kürzeren, denn Frauen stehen auf Sieger.

Die Ausstellung ist auch für Kinder geeignet

Ein Jahr haben Staniczek und seine Mitarbeiter an der Ausstellung gearbeitet, am Mittwoch wird sie eröffnet. "SEX" ist in großen grellgrünen Lettern auf dem Plakat zu lesen. Darauf besteigt eine Echse eine andere. Die ersten Reaktionen darauf seien durchaus recht unterschiedlich gewesen, sagt der Forscher und lächelt. "Sex ist überall ein Thema, nur haben viele Wissenschaftler Manschetten, sich dieser Sache auch mal in einer Ausstellung anzunehmen." In Stuttgart nicht. Die Schau trägt auch keinen akademisch-braven Titel wie "Fortpflanzung im Tierreich" oder "Die Vermehrung der Arten", sondern heißt einfach nur: "Sex".

"Sex ist die zentrale Säule der Evolution und treibt nicht weniger als die Entwicklung des Lebens voran", sagt Staniczek. Und ja, die Ausstellung sei auch für Kinder geeignet, das werde er momentan immer als Erstes gefragt. Man könne bedenkenlos mit Fünftklässlern an den Glaskästen vorbeispazieren und erkunden, was sich die Natur zum Thema so alles hat einfallen lassen.

Brautgeschenke zum Beispiel. "Beim ersten Date ist es immer gut, eine Kleinigkeit dabeizuhaben", weiß der Wissenschaftler. Ein Mitbringsel gehört bei vielen Tierdamen zum guten Ton. Die Adelie-Pinguindame liebt zum Beispiel Steine. Die sind ideal für den Nestbau und in der Antarktis Mangelware. Die Strategie für den Pinguinherren ist also denkbar einfach: ein Stelldichein gegen einen guten Stein.

Unterschiedliche erotische Spielarten

Trainierte Killer haben hingegen immer Beute im Gepäck. Männliche Listspinnen überreichen vor der Paarung gerne eine Fliege. Je größer, umso besser, nicht nur für die Dame. Denn solange sie mit dem Verspeisen des Geschenks beschäftigt ist, bleibt ihm Zeit, um ungehindert loszulegen. Je länger der Akt dauert, umso größer ist die Wahrscheinlichkeit, dass die Befruchtung gelingt. Der Mann der Wespenspinne gehöre zu den richtig mutigen Exemplaren in der Tierwelt, findet Staniczek. Der Spinnenmann muss nämlich zunächst in einem ganz bestimmten Rhythmus an das Netz der Spinne klopfen, um zu verdeutlichen, dass er kein Häppchen für zwischendurch ist, sondern ein Liebhaber. Ein gutes Taktgefühl ist da überlebenswichtig. Schnell muss es auch gehen: die Dame verfällt in eine kurze Starre, dem Männchen bleibt meist nicht länger als eine Sekunde Zeit für Sex. Und dann nichts wie weg.

Schimpansenweibchen werden bei Früchten schwach. Das hat für die Männerwelt den Vorteil, dass nicht nur der stärkste Affe sich paaren darf, sondern auch der fantasievolle, dem es gelingt, die Äffin zu besonderen Geschmackserlebnissen zu verführen. Gut gefällt Staniczek auch der Laubfrosch, der sich einfach zu dem am lautesten quakenden Männchen gesellt und wartet, bis dieser das Froschweibchen angelockt hat. "Und dann - zack - ist er einfach schneller und bespringt sie als Erster." Es sei schon faszinierend, wie viele Strategien sich in der Natur entwickelt haben, sagt Staniczek. Generelle Rückschlüsse vom tierischen Verhalten auf den Menschen seien nicht zulässig. Aber es bleibe jedem Besucher überlassen, Erkenntnisse für sich mit nach Hause zu nehmen.

Vögel suchen ihresgleichen mit bestimmten Lauten

Um die unterschiedlichen erotischen Spielarten in der Fauna zu zeigen, sind in der Ausstellung einige Separees eingerichtet. Von dem kuschligen Blümchensexzimmer (die Sache mit den Bienen) bis zur Sado-Maso-Bude für die Brutalovariante der Bettwanzen. Das Wanzenmännchen nutzt das Geschlechtsorgan des Weibchens nämlich gar nicht mehr, es sticht ihr einfach direkt in den Bauch und verkürzt damit den Weg der Spermien zu den Eiern. "Das klingt schon ziemlich gruselig", sagt der Forscher. Ist aber Natur. Besonders Interessierte können sich die Bettwanzenpaarung in einem Film anschauen.

Auch Landschildkröten gehen nicht gerade zimperlich zur Sache. Beim Vorspiel beißt das Männchen das Weibchen kräftig in den Kopf. Das zieht ihn darauf lieber ein, wobei die Kloake leicht hervortritt und das Männchen aufsitzen kann. Ein fieser Trick.

Auch die Frage "Wie habt ihr euch eigentlich kennengelernt?", stellt die Ausstellung an ihre tierischen Protagonisten. Buckelwale, Koalas, Vögel suchen ihresgleichen mit bestimmten Lauten. Der Leuchtkäfer knipst in der Dunkelheit einfach sein Licht an, um eine Geliebte zu finden. Sie erkennt ihn zielsicher. Verwechslung mit Glühwürmchen ausgeschlossen.

Vater werden ist schwieriger als Vater sein

Bei einem Herzblattspiel können die Museumsbesucher in die Rolle eines Tieres schlüpfen und herausfinden, wer der ideale Partner für sie wäre. Wird die Frage nach dem perfekten Date mit "Ich möchte mit dir tanzen und dir den Körper eincremen" beantwortet, dann ist die Ackerschnecke genau die Richtige. Sie liebt dieses Vorspiel.

Im Tierreich ist Vater werden oftmals schwieriger als Vater sein. "Jeder will der Vater sein, nur sicher ist sich fast keiner", sagt Staniczek. Einige Männchen haben sich daher besondere Strategien erdacht. "Die Stabheuschrecken paaren sich ihr ganzes Leben lang, also maximal drei Monate." Die Männchen lassen gar nicht mehr von ihrer Partnerin ab, sitzen die Sache sozusagen aus. Auf diese Weise kann kein anderer Artgenosse zum Zuge kommen. Der Erpel bewacht seine Ente nach erfolgreicher Vereinigung zumindest noch eine ganze Weile. Und männliche Libellen überlassen gar nichts dem Zufall, sie pumpen vor dem Akt erstmal das Sperma des Vorgängers ab. Manchmal ist es das Beste, Letzter zu sein.

Die Ausstellung "Sex" ist von 27. Oktober bis 20. Mai 2012 im Stuttgarter Rosensteinmuseum zu sehen. Öffnungszeiten: Di-Fr von 9 bis 17 Uhr, Sa, So und an Feiertagen von 10 bis 18 Uhr.