Würde jeder Bundesbürger im Jahr 35 Euro mehr für Milch, Fleisch und Eier bezahlen, ließen sich Kühe, Rinder und Hühner unter besseren Bedingungen halten. Aber kommt das Geld im Stall auch an?

Berlin - Mehr Platz im Schweinestall, angenehmere Bodenbeläge für Milchkühe: Um bessere Haltungsbedingungen in der Landwirtschaft mitzufinanzieren, müsste jeder Verbraucher einer neuen Berechnung zufolge pro Jahr im Schnitt 35,02 Euro mehr für tierische Produkte bezahlen. So viel könnte die von einer Expertenkommission empfohlene sogenannte Tierwohlabgabe den Durchschnittsbürger kosten.

 

Das geht aus einer Antwort des Bundeslandwirtschaftsministeriums auf eine Anfrage der FDP-Fraktion hervor, die der Deutschen Presse-Agentur vorliegt. Wenn die Empfehlung umgesetzt würde, entfielen demnach 23,80 Euro auf Fleisch, 4,72 Euro auf Eier und 6,50 Euro auf Milch und Milchprodukte. Zuvor hatte die „Neue Osnabrücker Zeitung“ über die Antwort berichtet.

Für die Berechnung hat das Ministerium den Durchschnittskonsum der Bundesbürger herangezogen. Das waren nach Angaben der Bundesanstalt für Landwirtschaft und Ernährung (BLE) im vergangenen Jahr pro Person 59,5 Kilo Fleisch, 118,2 Kilo Milch und 236 Eier.

Niedrigpreise für Fleisch erneut in der Kritik

Im Februar hatte eine Kommission unter Leitung des früheren Agrarministers Jochen Borchert Empfehlungen vorgelegt, um Verbesserungen in der Tierhaltung zu finanzieren. Sie schlug dafür eine Abgabe auf tierische Produkte vor, die als Verbrauchsteuer umzusetzen wäre.

Denkbar wären demnach Aufschläge von 40 Cent pro Kilogramm Fleisch und Wurst, 2 Cent pro Kilo für Milch und Frischmilchprodukte und 15 Cent pro Kilo für Käse, Butter und Milchpulver. Nach zahlreichen Corona-Infektionen in der Schlachtbranche waren Niedrigpreise für Fleisch erneut in die Kritik geraten, und es kam im Juni noch einmal Bewegung in die Diskussion um die Tierwohlabgabe.

In den Empfehlungen kritisierten die Experten Mitte Februar unter anderem zu wenig Platz im Stall, die teils schmerzhaften Eingriffe wie das Kürzen von Schnäbeln bei Legehennen und das hohe Leistungsniveau, also etwa möglichst viel Milch pro Kuh. Um dies und anderes zu verbessern, belaufe sich der Förderbedarf allein in der Anfangsphase auf etwa 1,2 Milliarden Euro pro Jahr. Das könnten zumindest zum Teil auch die Verbraucher finanzieren, denn: „Für die Erhebung von Steuern/Abgaben auf tierische Produkte spricht, dass sich eine klima- und umweltpolitisch gewollte, moderate Lenkungswirkung ergibt und dass Bürgerinnen und Bürger proportional zu ihrem Verbrauch an tierischen Produkten belastet werden.“

Konzept bekommt Rückenwind

Und das wollen die meisten Verbraucher auch, wie der Verbraucherzentrale Bundesverband (vzbv) unter Berufung auf Umfragen mitteilt. Preise müssten abbilden, was die Herstellung etwa von Fleisch unter fairen Bedingungen koste, sagte vzbv-Chef Klaus Müller am Montag. „35 Euro werden nicht sofort eine optimale Tierhaltung ermöglichen. Höhere Tierschutzstandards werden sich in einem höheren Fleischpreis niederschlagen, und umgekehrt rechtfertigen nur höhere Standards eine höhere finanzielle Belastung für Verbraucher“, sagte Müller. Flankiert werden müsse diese aber mit einer „ehrlichen, verlässlichen und verständlichen Tierwohlkennzeichnung sowie mit einem Ausgleich für Haushalte mit zu geringem Einkommen“.

Bundesagrarministerin Julia Klöckner (CDU) hatte sich im Juni - als die Corona-Krise in den Schlachthöfen ankam - für die von der Kommission empfohlene Tierwohlabgabe ausgesprochen. Das Konzept bekam Anfang Juli weiteren Rückenwind: Der Bundestag forderte die Bundesregierung mit breiter Mehrheit auf, noch bis zur Wahl 2021 eine Strategie zum grundlegenden Umbau der Tierhaltung mit Vorschlägen zur Finanzierung vorzulegen.

Kritik kommt von der FDP, die bereits in ihrer Anfrage verstärkt darauf abzielt, dass sich hinter dem Begriff Abgabe doch eigentlich eine Steuer verberge. Der stellvertretende FDP-Fraktionsvorsitzende Frank Sitta kritisierte am Montag, Klöckner solle „Verbraucher und Öffentlichkeit nicht länger an der Nase herumführen und das Vorhaben weiterhin nur als „Abgabe“ verklausulieren“.

Tierwohl vergleichbar mit EEG-Umlage

In seiner Antwort erklärt das Landwirtschaftsministerium dazu, dass die Bezeichnung Abgabe ein Oberbegriff sei, unter den Steuern, Gebühren, Beiträge und Sonderabgaben fielen. Es geht etwas sperrig weiter: „Ob und wie dieser Begriff angepasst wird, wird im Nachgang der Ergebnisse der Prüfung der Finanzierungsoptionen unter Berücksichtigung des Aspekts der Wahrnehmung in der Bevölkerung eingehend erwogen werden.“

Sitta vergleicht die Tierwohlabgabe mit der EEG-Umlage, mit der Ökostromanlagen gefördert werden und die Verbraucher mit der Stromrechnung zahlen. „Bei der EEG-Umlage, die auch einem hehren Ziel dienen sollte, wurde jedoch aus der anfänglichen Kugel Eis auch recht bald ein ganzer Eiswagen“, sagte Sitta. „Es ist abzusehen, dass das Geld aus einer Fleischsteuer überhaupt nicht zielgerichtet bei den Landwirten im Stall ankommen wird, sondern im Staatshaushalt versickert.“ Deshalb lasse sich mehr Tierwohl besser über eine Anhebung der EU-weiten Tierhaltungsstandards und marktbasierte Ansätze erreichen.