Vor zwei Jahren kaum minigolffähig – jetzt Masters-Sieger: Tiger Woods hat das vielleicht grandioseste Comeback der Sportgeschichte hingelegt. Der Golf-Superstar reiht sich ein in eine Liste von Ausnahmesportlern, deren spektakuläre Comebacks von Erfolg gekrönt waren.

Augusta - Was würde dieser Tiger Woods wohl machen, wenn er hier tatsächlich gewinnt? Auf die Knie fallen? In Zeitlupe hintüber sinken? In ekstatischer Machopose sich den Fotografen entgegenrecken? Das Grün küssen, weinen? Nichts davon: Als sein letzter kurzer Putt zum Sieg bei den 83. Masters ins Loch klockte, reckte Tiger Woods kurz die rechte Faust und riss mit einer Energieexplosion strahlend die muskulösen Arme samt Schläger in die Luft.

 

Dieses Bild schieren Glücks ging Sonntagabend schon um die Welt, da wusste der überwältigte Triumphator nicht weiter. Alles über Jahre für diesen Moment getan, und dann hatte er keinen Plan. Er ging in eine Richtung der tobenden Zuschauermassen, stoppte, ging orientierungslos in eine andere Richtung, bog nochmal ab. Wohin nur in diesem Märchenmoment?

Sex, Drogen, Verletzungen

Elf Jahre hatte Tiger Woods, 43 mittlerweile, keines der vier Major-Turniere gewonnen, der letzte seiner vier Masters-Triumphe in Augusta (erster Sieg 1997) lag gar 14 Jahre zurück. Bald danach war das Privatleben des Golfdominators nach zahllosen Affären kollabiert, die Ehe viele zig Millionen teuer geschieden, große Sponsoren ausgestiegen. Woods war erst wegen „Sexsucht“ in der Klinik, dann tablettenabhängig. Auf jahrelang chronische Rückenschmerzen folgten vier Operationen, Wirbel wurden versteift. Vor zwei Jahren konnte er sich nicht die Schnürsenkel zubinden und war kaum minigolffähig. Fast alle sagten: Der will noch mal auf den Golfplatz? Irrsinn. Stop it, Tiger.

Und er kam erst so richtig ganz unten an, als ihn im Mai 2017 die Polizei in Florida schlafend und orientierungslos am Steuer seines Wagens fand, vollgepumpt mit Medikamentencocktails. Festnahme wegen Drogenmissbrauchs, ab in die Zelle. Die weißen Cops filmten den aufgeschwemmten schwarzen Mann bei der Kontrolle als menschliches Wrack und stellten die Szenen auch noch ins Netz.

Empörung. Häme. Mitleid.

„Spiel Dein Spiel“

Wie schon vor mehr als 20 Jahren trug er, natürlich, am Sonntag ein leuchtend rotes Hemd. Das Signal an die Konkurrenz: Hier bin ich, der kommende Sieger. Nur, 2019 war es kein golfübliches Collar Shirt, sondern das zeitgemäßere aus der Sponsor-Kollektion mit engem Hochkragen. Dabei wirkte der rote Mann, neuerdings unterwegs Kaumgummi kauend, missmutig, mürrisch, unnahbar, stoisch. „Mach einfach weiter“, habe er sich gesagt, „spiel dein Spiel, mach die kleinen Dinge richtig, lass kleine Fehler einfach passieren, go ahead, auch wenn der Wind auf und ab weht.“ Man sah keine Triumphgesten bei Birdies, einfach weiter. Nur fokussiert bleiben, keine Ablenkung.

War dieser emotionale Sieg ein großer Moment der Golfgeschichte? Sicher. Gar sporthistorisch? Auch das. Nachher sagten alle: Das war eines der größten Comebacks in der Geschichte der professionellen Leibesübungen, wenn nicht „die größte Comeback-Story des Sports“, so Basketball-Star Stephen Curry. „Ich salutiere Dir“, schrieb LeBron James. „Überragend wie nichts anderes“, meinte Tennisspielerin Serena Williams. Auch US-Präsident Trump twitterte irgendwas von einem „großartigen Kerl“.

Die Familie bedeutet ihm alles

Das Ziel seiner Emotionen am 18. Grün fand Woods erst verspätet: Die Familie, drei Generationen stark, von Mutter Kultida bis zu den Kids Sam und Charlie, alle in rot gekleidet wie er, als wäre eine Baghwan-Kleingruppe nach Augusta gekommen. Die hinreißenden Umarmungen waren keine Show, sondern schieres Glück. Danach ging es durch ein Spalier tobender Menschenmassen zur Siegerehrung, im Gesicht nicht das permanente Grinsen eines Honigkuchenpferdes. Der pure Stolz.

Episch, verrückt, ohne Vergleich – auch am Tag danach gingen der Golfszene die Worte aus. Alle hoben hervor, wie wichtig diese Geschichte für den Golfsport an sich sei: an Aufmerksamkeit, an Geld.

Für einen Moment wirkt er wie Obama

Woods selbst sagte, es sei „einfach irreal: 22 Jahre nach dem ersten Major-Sieg.“ Später, als er sein fünftes grünes Jackett schon trug, schritt er auffällig langsam vor dem Südstaaten-Clubhaus umher, die Huldigungen dauerlächelnd annehmend. Das hatte was von Barack Obama, würdevoll, souverän, staatsmännisch, mit allem und mit jedem im Reinen. Der Sieg sei „ein Zeugnis von Exzellenz“, schrieb Obama.

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„Ein monumentaler Triumph“, so die New York Times, „ein wirklich rührendes Comeback“. Der wortsteife Clubchef von Augusta Fred Ridley meinte: „Tiger Woods ist wieder Tiger Woods geworden.“ Der Satz war Unsinn. Das war ein ganz neuer Woods. Landsmann Broeks Koepka, der um einen knapp verschobenen Putt am letzten Loch ein Stechen verpasste: „Wir alle wussten, dass es vielleicht so kommt.“

Glück des Tüchtigen

Ja, auf der Schlussrunde hatte Woods auch das Glück gehabt, das ein Sieger braucht. Fast ein Dutzend Spieler lag lange gleich auf oder sogar vor ihm. Aber Woods war vor allem mit dem Wetter im Bunde. Die angekündigten Gewitter kamen nicht, er dafür in den Flow. Es begann heftig zu blasen, exakt als die Konkurrenten an die kurze, windanfällige Bahn 12 kamen. Vier der härtesten Widersacher schlugen böenverweht ins Wasser des Rae´s Creek und verloren die entscheidenden zwei Schläge: der lange souveräne Francesco Molinari, Ian Poulter, Tony Finau und eben auch Koepka. Vier auf einen Streich am gleichen Loch – auch das golfhistorisch. Woods traf das 12. Grün. Und führte erstmals.

Bernhard Langer, der Senior von methusalemianischen 61 Jahren, spielte zwei Tage großartig unter den besten 25 mit, schwächelte am Ende des dritten Tages und brach am letzten mit einer 78 ein. Er wurde 62. Martin Kaymer, sechs Schläge besser, wurde 51. und sprach Woods „nichts als Respekt“ zu. Mit weiteren Titeln ist zu rechnen. 15 Majors hat Woods jetzt, Legende Jack Nicklaus („einfach fantastisch, Tiger!“) ist bei 18. Das nächste große Ziel.

Geweint, so weit zu sehen, hat Tiger Woods übrigens nicht. Dafür war der Moment zu erhaben.