Junge Menschen haben sich in Wahlen zuletzt teils häufiger für die AfD entschieden als für die Grünen. Was ist das Erfolgsgeheimnis der Partei, in der Rechtsextreme den Ton angeben?
Wer jung ist, wählt links? Dass das nicht stimmt, zeigte sich zuletzt mal wieder nach den Landtagswahlen im Oktober. In Bayern wählten 16 Prozent der 18- bis 24-Jährigen die AfD – etwas mehr als im Gesamtergebnis. In Hessen waren es 18 Prozent, dort entschieden sich junge Menschen häufiger für die AfD als für die Grünen. Wieso kommt die Partei bei dieser Gruppe so gut an? Eine Antwort lautet: Weil die AfD dort besonders präsent ist, wo auch junge Menschen viel Zeit verbringen – auf Social-Media-Plattformen wie Tiktok oder Instagram.
Der Politikberater Martin Fuchs beschäftigt sich mit der digitalen Kommunikation von Parteien. „Social Media hat definitiv dazu beigetragen, dass junge Menschen die AfD wählen“, sagt er im Gespräch mit dieser Redaktion. Und er sagt: „Junge Menschen rezipieren klassische Medien weniger als ältere. Sie informieren sich oftmals ausschließlich über Soziale Medien.“ Das macht sie besonders empfänglich für Inhalte, die ihnen oft vorgeschlagen werden.
Ein Algorithmus, der Populismus liebt
355 000 Menschen folgen der AfD-Bundestagsfraktion auf Tiktok. Dort teilt die Partei Videoclips von politischen Reden, Demonstrationen oder aus Talkshows. Sie werden teilweise bis zu drei Millionen Mal angeklickt. Darunter sind Ausschnitte aus Reden von Parteichefin Alice Weidel, die stark polarisieren – und sich deshalb schnell verbreiten. „Der Algorithmus von Tiktok liebt Populismus“, sagt der Politikberater Fuchs. Das nutzt die AfD: In den Kommentarspalten unter den Videos findet man sowohl begeisterte als auch entsetzte Reaktionen. Beides führt dazu, dass das Video noch mehr Nutzern vorgeschlagen wird – und mehr Reichweite bekommt.
Aber nicht nur ihre eigenen Videos machen die AfD erfolgreich. Wie Martin Fuchs erklärt, gibt es außerdem Influencer, die der Partei nahestehen oder sogar Mitglied sind und ein informelles Netzwerk um die Inhalte der AfD bilden. Ein besonders erfolgreiches Beispiel: der Abgeordnete Ulrich Siegmund, der für die AfD im Landtag von Sachsen-Anhalt sitzt. In dem Bundesland stufte der Verfassungsschutz die Partei erst kürzlich als gesichert rechtsextrem ein. Siegmund kommt mit seinem Tiktok-Account auf 338 000 Follower. Zum Vergleich: CDU-Chef Friedrich Merz kommt auf 14 000. „Die Köpfe der Partei haben große Accounts mit eigenen Formaten“, sagt Martin Fuchs. Die AfD punktet bei jungen Menschen mit publikumsnahen Politikern.
Auf die Jugendorganisation kommt es nicht an
Und dann gibt es noch sogenannte Dritt-Accounts, erklärt Politikberater Fuchs. Bei diesen Profilen ist nicht klar, wer für die Inhalte zuständig ist. Sie würden ähnlich wie Influencer Inhalte der AfD verbreiten – aber ließen nicht erkennen, dass sie in einer Beziehung zu der Partei stehen. Ein Beispiel: ein mittlerweile nicht mehr auffindbarer Account mit dem Namen „@bundeskanzleramtt“, der rund 38 000 Follower hatte. Das doppelte „tt“ am Ende des Namens dürfte vielen Usern gar nicht aufgefallen sein. Inhaltlich positioniert sich das Profil pro AfD. Einen Hinweis, der auf einen Bezug zur Partei schließen lässt, gibt es aber nicht.
Entscheidend ist auch, dass viele der Inhalte auf den ersten Blick nicht klar rechtsextrem sind. Die AfD teilt Videos, die vor allem publikumsnah sind. Das ist auch der Grund, weshalb die Jugendorganisation der AfD, die Junge Alternative (JA), weniger präsent auf diesen Plattformen ist: Sie ist zu radikal. „Es braucht für die Ansprache junger Menschen nicht unbedingt eine Jugendorganisation“, sagt Martin Fuchs. Damit ein Inhalt Erfolg hat, muss er möglichst anschlussfähig sein.
Denn sie wissen, was sie tun
Junge Menschen seien zudem besonders empfänglich für rechte Inhalte, erklärt Jugendforscher Klaus Hurrelmann von der Hertie School in Berlin. „Die Vorstellung, dass junge Menschen nicht wissen, wen sie da wählen, ist falsch“, sagt er im Gespräch mit dieser Zeitung. Während der Corona-Pandemie sei der Bildungssektor vernachlässigt worden, viele Schüler hätten den Abschluss nicht geschafft. „Die Ausgangssituation für junge Menschen hat sich verändert“, sagt Hurrelmann. „Die Anzahl der sozial Benachteiligten ist größer geworden.“ Und auch die Gruppe derjenigen, die sich benachteiligt fühlen – auch wenn sie es nicht sind. „Sie denken: Schlimmer kann es nicht werden.“
Die AfD selbst will sich auf Anfrage dieser Redaktion nicht zu ihrer Social-Media-Strategie äußern. Aber es ist klar, dass sie damit sehr erfolgreich ist und viele junge Menschen erreicht. Andere Parteien versuchen nun mitzuziehen. Jüngst lächelte Markus Söder Tiktok-Nutzern aus dem Smartphone entgegen. „Ich bin jetzt auf Tiktok“, sagte der bayrische Ministerpräsident in die Kamera. Bisher hat er etwa 22 000 Follower. Alice Weidel hat mehr als 250 000.