Tilman Achtnich ist als kritischer Dokumentarfilmer genauso engagiert wie als Bewohner seines Heimatorts Gebersheim.

Leonberg - Im Hochland von Bolivien hatte Tilman Achtnich ein Erlebnis, das ihn bis heute berührt. Bei den Arbeiten an seinem Dokumentarfilm „Sklavenarbeit für unseren Fortschritt“ aus dem Jahr 2012 drehte er neben Schauplätzen im Kongo auch in der Wolfram-Mine Bolsa Negra in den bolivianischen Anden. Auf 4300 Metern Höhe schuften dort rund 250 Männer und 50 Frauen in Zwölf-Stunden-Schichten unter widrigsten klimatischen Bedingungen, um in einer Kooperative das Edelmetall zu schürfen – ein Rohstoff, der zum Beispiel in unseren Mobiltelefonen steckt.

 

„Ich traf damals eine junge Frau namens Christina“, erzählt Achtnich. Mit schwerer Arbeit versuchte die kranke Mutter, sich und ihre fünf Kinder durchzubringen. Ihr Mann war davongelaufen, weil er die Arbeit in der Wolfram-Mine nicht länger ertragen hatte. Um die Kinder auf eine weiterführende Schule zu schicken, war kein Geld da. „Als Reaktion auf den Film in der ARD-Reihe ‚Story im Ersten‘ haben wir damals Hunderte von Zuschriften erhalten.“ Die Zuschauer waren vom Schicksal der Familie, die ums Überleben kämpfte, tief bewegt und wollte helfen. Was letztendlich auf Vermittlung von Tilman Achtnich auch gelang.

Engagement natürlich auch vor Ort

Es sind solche Erlebnisse, weshalb der SWR-Wirtschaftsredakteur seinen Beruf liebt. „Man kann als Dokumentarfilmer dazu beitragen, dass die Welt etwas erfährt, was sonst im Verborgenen bleibt“, sagt der 64-Jährige. Sein Beruf bringt es mit sich, dass Achtnich rund um den Globus im Einsatz ist. Vielleicht ist das der Grund, weshalb der Journalist, der seit 1988 mit seiner Familie in Gebersheim lebt und sich hier verwurzelt fühlt, auch den kritischen Blick vor der eigenen Haustüre nicht scheut. Als es im vergangenen Jahr um die Rettung von „Gebers Landmarkt“, dem einzigen Lebensmittel-Dorfladen in Gebersheim, ging, war Achtnich sofort dabei.

„Die genossenschaftliche Idee ist ein großartiges Modell, um genau solche Dinge zu retten und zu erhalten“, sagt Achtnich, der inzwischen stellvertretender Aufsichtsratsvorsitzender in der Genossenschaft ist. „Wenn der Einkaufsladen in einem Dorf zumacht, verschwindet auch bald die Bäckerei und die Bank. Und dann ist ein Dorf nur noch eine leere Hülle“, ist sich Achtnich sicher. „Für ältere Menschen ist der Gang zum Laden oft der einzige Weg am Tag. Hier hält man ein Schwätzchen, fühlt sich gewärmt und aufgehoben.“

Für Achtnich ist Engagement und eigene Haltung offenkundig Daseinsprinzip. Das belegen auch seine mehr als 70 großen Dokumentarfilme, die er neben zahllosen kleineren und kleinsten Beiträgen fürs Fernsehen konzipiert und gedreht hat. Darunter auch einige prämierte Werke, wie der in diesem Jahr mit dem Helmut-Schmidt-Journalistenpreis ausgezeichnete Film „Spiel ohne Grenzen“. Darin zeigt Achtnich zusammen mit seinem Stuttgarter Kollegen Hanspeter Michel auf, wie im Welthandel „getrickst, getäuscht und gedroht“ wird: Protektionismus versus Freihandel – ein anspruchsvolles Thema.

„Da ist viel Leidenschaft notwendig“

„Irgendwann habe ich mich auf komplizierte Wirtschaftsthemen spezialisiert“, sagt der Redakteur, der seit 1985 beim heutigen SWR, damals noch SDR, arbeitet. „Das führt manchmal dazu, dass ich mich im Laufe eines Projekts frage, ob ich mir diesmal nicht zu viel zugemutet habe“, gesteht er und lacht dabei, denn geklappt hat es am Ende noch immer. „Der Aufwand für solche Filme ist gewaltig, da ist viel Leidenschaft notwendig.“

Und die bringt der erstaunlich jung wirkende 64-Jährige mit. Manchmal so viel, dass er als Dokumentarfilmer bis an seine körperlichen Grenzen geht. Zuletzt bei seinem 2016 gesendeten 90-Minuten-Film „Gipfelstürmer“. Für den Film begleitete der Hobby-Bergsteiger Achtnich und sein Kameramann einen Bergführer, der einen Kunden in den Schweizer Alpen über den Mönch-Südwestgrad auf den 4000er führte. „Viel mehr wäre nicht gegangen“, sagt er kopfschüttelnd, sich die Strapazen wieder in Erinnerung rufend.

Die Flut von Eindrücken verarbeitet der Gebersheimer, der ursprünglich Geologie studiert, in dem Fach auch promoviert hatte und eigentlich Umweltgeologe werden wollte, auch in seinen Bildern. Denn neben seinem intensiven Arbeitsleben stellt sich der Vater erwachsener Kinder seit ungefähr zehn Jahren regelmäßig mit Pinsel und Farbe an die Staffelei. „Vieles davon ist auch unterschwellig politisch“, sagt er, der seine Gemälde auch schon ausgestellt hat.

Doch so viel Aufmerksamkeit an seiner Person ist dem Journalisten dann am Ende auch ein wenig peinlich. „Denn eigentlich will ich mich ja gar nicht vordrängen.“ Man glaubt es ihm und weiß doch, dass seine Erlebnisse Tilman Achtnich für sein Umfeld zu etwas Besonderem machen. Es gibt eben nicht viele, die von Berufs wegen Menschen begegnen, die in den Wolfram-Minen Boliviens ums Überleben kämpfen.