Tinder-Paare sind unglücklicher „Unser Hirn ist nicht auf Tausende potenzielle Partner eingestellt“

Paare, die sich online finden, haben oft weniger Gemeinsamkeiten. Foto: Sebastian Ruckaberle

Wer sich online kennenlernt, ist im Durchschnitt weniger zufrieden mit seiner Beziehung, hat eine Forscherin herausgefunden. Aber warum ist das so?

Psychologie/Partnerschaft: Florian Gann (fga)

Dating-Apps und -Portale wie Tinder, Bumble oder Elitepartner sind ein großes Paradoxon: Sie sind extrem erfolgreich darin, Paare zueinanderzuführen. Gleichzeitig leiden viele, die dort unterwegs sind, aufgrund vieler frustrierender Erfahrungen an einem Dating-Burn-Out. Für jene, die sich trotzdem auf den Apps abmühen, den Traumpartner zu finden, förderte eine Studie von Marta Kowal zuletzt eine schlechte Nachricht zutage: Paare, die sich online kennengelernt haben, sind im Schnitt unglücklicher. Warum das so ist und wie man entgegenwirken kann, erklärt sie im Interview.

 

Frau Kowal, warum sind Paare, die sich online kennengelernt haben, im Durchschnitt weniger zufrieden mit ihrer Beziehung?

Dafür gibt es mehrere plausible Erklärungen. Paare, die sich online kennenlernen, sind oft unterschiedlicher, etwa in Bezug auf Alter, ethnische Zugehörigkeit, sozioökonomischen Status, Religion oder Weltanschauung. Ähnlichkeiten in vielen dieser Bereiche fördern aber tendenziell die Qualität einer Beziehung. Bei Offline-Begegnungen spielen dazu häufiger gemeinsame Freunde oder familiäre Verbindungen eine Rolle, die der Beziehung sozialen Rückhalt bieten können.

Online-Paare haben also weniger Gemeinsamkeiten. Welche Gründe für die Unzufriedenheit gibt es noch?

Online-Kontexte fördern auch eine kuratierte Selbstdarstellung. Das heißt: Nutzerinnen und Nutzer übertreiben in ihren Dating-Profilen. In einigen Stichproben gab ein beträchtlicher Anteil – bis zu etwa der Hälfte – zu, mindestens eine persönliche Eigenschaft zu übertreiben. Schließlich, das ist der dritte Grund, kann die sehr große Auswahl an potenziellen Partnern, die auf Dating-Plattformen verfügbar sind, zu einer Überlastung führen.

Etwa 40 Prozent der Paare in Deutschland, die im letzten Jahr zusammengekommen sind, haben sich laut den Daten von Marta Kowal durch Online-Dating kennengelernt, insgesamt sind es etwa 30 Prozent. Über keine andere Art finden sich hierzulande mehr Paare. Der Unterschied zwischen Paaren, die sich online und offline kennengelernt haben, sei gering, aber statistisch signifikant, sagt Kowal. Sie hat dafür Daten von etwa 6000 Online-Paaren untersucht. Diese Paare gaben eine weniger starke Bindung, eine geringere Gesamtzufriedenheit sowie eine geringere Intimität und Leidenschaft an. Und sie sagten demnach seltener, dass ihre Beziehung „für immer“ halten würde. Das besondere an der Untersuchung, so hebt es Kowal hervor: Die Unterschiede zwischen Online- und Offline-Paaren ließen sich in fast allen der 50 untersuchten Länder feststellen. Aber was hat das mit der größeren Auswahl beim Online-Dating zu tun?

Bedeutet eine große Auswahl an potenziellen Partnerinnen und Partnern wirklich, dass wir unzufriedener mit unserer Wahl sind, wenn wir endlich jemanden gefunden haben?

Ja, das legen Versuche im Labor und mit Verbrauchern aus anderen Bereichen nahe. Zum Beispiel zeigt eine klassische Wirtschaftsstudie, in der kleine und große Auswahlmöglichkeiten verglichen werden, wie sehr große Auswahlmöglichkeiten die Verbindlichkeit und die Zufriedenheit verringern können. Dabei beobachteten die Autorinnen und Autoren beispielsweise, dass 30 Prozent der Verbraucher, die an einem Supermarkttisch mit sechs Gläsern stehen blieben, eines kauften. Im Gegensatz dazu kauften nur drei Prozent der Verbraucher eines, wenn 24 Gläser ausgestellt waren. Und diese waren mit ihrer Wahl weniger zufrieden als die anderen Teilnehmer. Es gibt aber nur wenige direkte Langzeitstudien, die untersuchen, wie sich die anfängliche Anzahl der Optionen auf den Ausgang einer Beziehung auswirkt, daher sollten wir solche Schätzungen als vorläufig betrachten.

Lässt sich trotzdem sagen, wie groß die Auswahl an möglichen Partnerinnen und Partnern sein sollte, damit wir glücklich werden?

Es gibt keine für alle Menschen gleichermaßen ideale Zahl – sie hängt wahrscheinlich von den individuellen Vorlieben und Entscheidungsstrategien ab. Experimentelle Arbeiten und theoretische Studien deuten jedoch darauf hin, dass der optimale Bereich eher im zweistelligen als im dreistelligen Bereich liegt. Eine Studie legt nahe, dass etwa 20 bis 50 potenzielle Partner eine praktikable Auswahl darstellen. Das stimmt interessanterweise mit der geschätzten Anzahl potenzieller Partner in Jäger- und Sammlergruppen – die den Lebensbedingungen unserer evolutionären Vorfahren näher kommen – überein. Folglich ist unser Gehirn möglicherweise besser darauf eingestellt, Entscheidungen innerhalb eines so begrenzten Pools potenzieller Partner zu treffen, als mit Hunderten oder Tausenden, denen wir heute in Dating-Apps begegnen.

Wie wirkt sich das alles auf die Dating-Kultur aus?

Für manche Menschen wird die Partnerwahl eher zu einer Zweckmäßigkeit. Der konstante Strom an Alternativen auf Dating-Apps und -Plattformen kann zu einer schnellen Partner-Evaluierung auf Basis von nur wenigen Informationen führen. Manche Menschen gehen dadurch mitunter in der Anfangsphase der Partnerwahl zu einer strategischen Denkweise über – ein Phänomen, das als „kalte Intimität” bezeichnet wird.

Die Bezeichnung kalte Intimität geht auf die französisch-israelische Soziologin Eva Illouz zurück. Sie meinte damit, grob zusammengefasst: Dating und Liebe werden von der Logik des Marktes durchdrungen. Statt dem Gefühl stehen Zweck und Nutzen im Mittelpunkt, die Romantik und Sex werden zur Ware. Etwa 2500 Dating-Anbieter auf dem deutschen Markt sorgen zudem dafür, dass man Menschen, die anders ticken, von vornherein ausschließen kann. Dadurch lasse man das Potenzial der Liebe ungenutzt, sich zu verändern und weiterzuentwickeln, sagte die Wissenschaftlerin Johanna Degen mal in einem Interview mit unserer Zeitung.

Frau Kowal, bedeutet kalte Intimität: Die Person, mit der man zusammen sein will, wird eher aufgrund einer Liste von Hobbys und Eigenschaften gewählt als aufgrund eines wohligen Gefühls, das der andere in einem auslöst?

Kalte Intimität bedeutet nicht, dass Gefühle verschwunden sind. Vielmehr wird damit hervorgehoben, dass emotionale Prozesse nun neben eher überlegten Entscheidungen zu Eignung, Kompatibilität oder pragmatischer Passung bestehen können. Die Herausforderung für viele Menschen besteht heute jedoch darin, eine Balance zwischen überlegten Entscheidungen und Offenheit für emotionale Verbindungen zu finden – damit Vernunft und Gefühle die Intimität unterstützen, anstatt sie zu untergraben.

Für unsere Leserinnen und Leser, die ihre Liebe online gefunden haben: Was sollten Sie tun, um glücklich zu bleiben?

Die Forschung legt einige Ansätze nahe, die zu größerer Nähe und Zufriedenheit führen. Erstens stärken Dankbarkeit und Wertschätzung gegenüber dem Partner in der Regel die Intimität und die Qualität der Beziehung. Zweitens kann das Teilen neuer und anregender Erfahrungen das Gefühl der Aufregung und Leidenschaft steigern. Regelmäßige Verabredungen oder einmal pro Woche eine neue gemeinsame Aktivität auszuprobieren, sind einfache, evidenzbasierte Möglichkeiten, dies zu erreichen. Wichtig ist auch, sich daran zu erinnern, dass Menschen unterschiedlich sind: Was die Zufriedenheit eines Paares steigert, muss für ein anderes Paar nicht unbedingt dasselbe sein. Eines ist dagegen sicher: Eine romantische Beziehung sollte nicht als selbstverständlich angesehen werden. Es bedarf definitiv einiger Arbeit, damit eine Beziehung gedeihen und ein Paar das gewünschte Maß an Liebe erfahren kann.

Die Liebesforscherin

Position
Die Sozialpsychologin Marta Kowal forscht an der Universität Wrocław (Breslau) vor allem zu romantischer Liebe und Partnerwahl – oft unter einer kulturübergreifenden Perspektive.

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