Im Schaffen wimmelt es nur so von Übernahmen. Tintoretto greift auf, kombiniert, persifliert, provoziert und wirft dabei vertraute Darstellungsmuster einfach über Bord. Wendig, witzig, originell. Die Szene mit „Jesus unter den Schriftgelehrten” gerät unter seinem wilden Pinsel zur regelrechten Bücherschlacht. Und die „Bekehrung des Saulus” erscheint als lärmendes Chaos mit auseinanderstiebenden Menschen und Tieren. Die Stimme des Herrn schallt so laut durchs Bild, dass einem der Reiter offensichtlich der Kopf dröhnt.

 

Wenn Tintoretto das „Emmausmahl” inszeniert, dann bleibt Einkehr und Würde vor der Tür. Mit wilden Gesten und verdrehten Körpern reagieren seine Apostel auf die Erscheinung des Auferstandenen. Wie so oft sprengt Tintorettos Dynamik dabei die Bildfläche. Seine Malerei dringt nach hinten tief in den perspektivischen Bildraum und wächst nach vorne dem Betrachter entgegen. Diesmal hilft dabei der schräg gestellte Esstisch, dessen Kante quasi aus dem Bild heraus ragt. Als Gag am Rande wird eine Portion Sardinen serviert. Ein junger Mann hält sie dem Heiland unter die Nase – man riecht förmlich den venezianischen Alltag.

Gesichter werden unsichtbar

Ständig habe der junge Tintoretto nachgedacht, „wie er sich als wagemutigster Maler der Welt bekannt machen könne”, weiß ein Biograf. Die Modernisierung der Kassettendecke eines gotischen Palazzos nimmt der 22-Jährige zum Anlass, neue Perspektiven auf Ovids Metamorphosen zu öffnen. Dabei bricht er die Decke mit seiner Illusionsmalerei gleichsam nach oben hin auf. Göttinnen strecken uns ihre Fußsohlen entgegen, und Gesichter werden unsichtbar, weil sie sich gen Himmel wenden.

Waghalsig auch Tintorettos Offensiven im öffentlichen Raum. Fassaden wurden ihm zu Werbeflächen. Keiner kam vorbei an seinen Fresken, die wie ein Katalog das eigene Können auffächern. Der Erfolg war gigantisch, ein Auftrag jagte den anderen. Um die Mitte der 1550er Jahre setzt die Kölner Ausstellung den Schlussstrich. Tintoretto indes malt weiter in unvermindertem Tempo, mit breiten Pinseln und rasanten Strichen. Über achthundert Werke soll er bis zu seinem Tode 1594 geschaffen haben. Fast ausschließlich in Venedig. Denn zum Reisen ließ er sich keine Zeit. Tintoretto blieb dem Stall treu, in den er einst gestürmt war wie der König zum Kind.