Wer wird Weltmeister? Was liegt drin für das deutsche Team? Bei wem kommt bei Katar und in Richtung Weihnachten überhaupt Fußballfieber auf? Ein launig-bunter Prognosen-Mix mit einigen überraschenden Antworten.

Am Sonntag geht es los. Anpfiff zum wohl umstrittensten Fußball-Großereignis aller Zeiten, der WM in Katar. Wer ihre Favoriten sind, was sie der deutschen Mannschaft zutrauen, ob und wie sie selbst das Turnier verfolgen, dazu haben wir Personen des Stuttgarter und Filder-Lokalsports befragt – und einige überraschende Antworten erhalten. Für den großen Ausreißertipp, so viel steht schon einmal fest, sorgt einer, der gar nicht aus dem Fußball stammt. „England.“ Da legt sich Christian Löwe fest. „Diesmal sind sie dran.“ Staunende Blicke nimmt er dabei gern in Kauf. Ernsthaft? Haben die Jungs von der Insel die Sache nicht noch ein jedes Mal in den (Wüsten-) Sand gesetzt? Spätestens dann, wenn es zum nächsten Elferschießen kommt?

 

„Sie haben eine sehr talentierte Mannschaft und eine gute Mischung aus Erfahren und Jung“, ist Löwe überzeugt. Und wie WM geht, das weiß er allemal, schließlich ist der 50-Jährige selbst dreifacher Weltmeister – ein Titelhattrick in seiner Funktion als Co-Trainer des deutschen Faustballteams. Darüber hinaus gab es auch lange Zeit den großen Fußballfan Löwe. Diesmal? Löwe macht keinen Hehl daraus: Die Katar-Nummer und „die Auswüchse der Branche“ haben seine Begeisterung eingebremst. Und: „Für Deutschland“, glaubt er, „ist eh im Viertelfinale Schluss.“

Kein deutsches Wintermärchen?

Schwarz bleiben wird der Fernseher freilich auch bei Löwe nicht, ebenso wenig wie im Hause Eisenhardt. „Was sollte man sonst schauen, wenn keine Bundesliga ist“, sagt Christopher Eisenhardt und lacht. Von den Prognosen her stimmt der Trainer des Fußball-Landesligisten TSV Bernhausen mit Löwe in einem Punkt überein – auch aus seiner Sicht eher kein Wintermärchen für Neuer, Müller und Co. „Die Mannschaft ist im hinteren Bereich einfach zu anfällig“, schätzt er, anders als zum Beispiel Brasilien. Gibt es einen hervorzuheben, für Eisenhardt ist es der Rekordtitelträger, was für ihn dann wiederum unter anderem mit Katar zusammenhängt. 30 Grad im Schatten? Zumindest für die Ballzauberer vom Zuckerhut wohl kein Problem. „Sie kommen mit solchen Verhältnissen sicher klar“, sagt Eisenhardt. Auf eine Steigerung also gegenüber von vor vier Jahren, als für den auch damaligen Topkandidaten vorzeitig Endstation war.

Bessere Erinnerungen an 2018 hat Niki Oroz, war seine Herzensmannschaft damals doch die positive Überraschung des Turniers. Vizeweltmeister Kroatien! Wer hätte es gedacht? Ob heuer die Zugabe gelingt? „Es ist der Wunschgedanke, das nachzuholen, was wir seinerzeit knapp verpasst haben“, sagt Oroz, selbst Trainer des Bezirksligisten Croatia Stuttgart. Allein: Die Überzeugung fehlt etwas. Titelanwärter Nummer eins ist für den Coach ein anderer: Argentinien. „Die stehen für mich ganz oben auf dem Zettel“, sagt er, „ich glaube, Messi wird das mit seinem letzten Kraftakt hinkriegen.“

Oroz’ persönliches Brisanzduell, Kroatien gegen Deutschland, Geburtsland gegen Wahlheimatland, könnte vom Spielplan her bereits im Achtelfinale steigen. Fände die WM woanders statt, der 42-Jährige hätte sich womöglich um Tickets bemüht. Aber Katar? „Ich gehe doch nicht in ein Land, in dem man mir sogar das Biertrinken verbieten will“, sagt Oroz und schüttelt den Kopf. Von der dortigen sonstigen Menschenrechtssituation ganz zu schweigen. Dann lieber mit Familie und Verwandtschaft in den heimischen vier Wänden.

Daumendrücken für Messi und Musiala

Was indes den Argentinien-Tipp anbelangt – die „Albiceleste“ steht überhaupt hoch im Kurs. Franziska Harsch, Birkacherin in Diensten des Frauenfußball-Bundesligisten TSG Hoffenheim, sagt es so: „Ich würde es den Argentiniern und vor allem Messi gönnen. Er hätte sich das zum Abschluss dieser krassen Karriere verdient.“ Mit einer ähnlichen fußballerischen Vorfreude wird sie ansonsten nur noch auf einen Spieler schauen: Jamal Musiala, aus ihrer Sicht „eine coole Wundertüte“ – und damit zum deutschen Aufgebot. Jenes hält Harsch für den schärfsten Konkurrenten ihres Favoriten. Inwieweit sie richtig liegt, will die einstige U-17-WM-Teilnehmerin zusammen mit ihrer WG-Mitbewohnerin gleichfalls vom Sofa aus verfolgen. Um einiges emotionaler dürfte es derweil im Wohnzimmer eines kickenden Kollegen mit Profi-Erfahrung werden. Bei Rui Tiago Caldas De Carvalho liegt das Trikot bereit. Keine Frage, dass er es sich zum Mitfiebern jeweils überstreifen wird – allerdings nicht das schwarz-rot-goldene, sondern jenes in Grün und Rot. Vamos, Portugal! Volle Kraft voraus für Cristiano Ronaldo und Co. „Wenn mein Herz spricht“, sagt der Angreifer des Landesligisten TV Echterdingen, „dann tippe ich auf Portugal.“ Und ohne Herz? „Ebenfalls Portugal“, erwidert der 31-Jährige und lacht. Denn „wir haben viel individuelle Qualität“. Und das nicht nur wegen des erwähnten in die Jahre gekommenen Dauerbrenners mit der eingebauten Torgarantie.

Die Deutschen? Hierzu eher ein „Sorry“. „Sie sind in einer Umbauphase. Die Erfahrung fehlt etwas“, ahnt Rui Tiago, der die Spiele in einer Männerrunde mit zwei guten Kumpels schauen will. Für wen jene wiederum die Daumen drücken, wäre noch zu klären. Die beiden sind Italiener.

Die Leiden der italienischen Fangemeinde

Ja, mit „Bella Italia“ ist es so eine Sache. Wer sich nicht dauerhaft mit Fußball beschäftigt, mag irritiert aufs Turniertableau blicken. Wann die Italiener eigentlich kicken? Die Antwort lautet: gar nicht, schließlich haben sie es erneut geschafft, schon in der Quali Schiffbruch zu erleiden. Ohne Italien fahren wir zur WM. Mamma mia! Zum Leidwesen auch von Carmine Napolitano. Traurig, sehr traurig sei er, dass seine Squadra Azzurra schon wieder nicht dabei ist, sagt der Fußballtrainer des Bezirksligisten Spvgg Cannstatt. Je näher der Sonntag rücke, um so mehr öffne sich sein Tränenkanal. „So viele Spiele wie möglich“ will er trotzdem schauen. Denn, so Napolitano: „Ich bin doch fußballbekloppt, denke und lebe von WM zu WM.“ Egal wer aus dem Freundeskreis sich melde, er sei vor der Glotze dabei. Heißt: Ein Anruf, und man hat Napolitano auf seiner Couch.

Bleibt noch die Frage nach dem kommenden Weltmeister. „Italien nicht“, sagt Napolitano, lacht und nimmt es also doch mit Humor. Brasilien und Argentinien sieht er vorne, aus Europa rechnet er mit Frankreich und Deutschland, vielleicht auch mit England. Einschränkung: „So lange Harry Maguire nicht mitwirkt.“ Warum? „Der ist einfach nur schwach, würde nicht mal in Cannstatt spielen.“

Kanadisches Fußballfieber

Was die italienische Fangemeinde kaum trösten mag: Bei anderen ist die bislang letzte Teilnahme noch viel länger her. So lange, da war der heute 27-jährige Jonah Hynes noch gar nicht auf diesem Planeten. Der Stürmer des Eishockey-Regionalligisten Stuttgart Rebels kommt selbst nicht auf die Jahreszahl, tippt „irgendwann in den 1970er-Jahren“. Ganz so lange dann doch nicht. 1986 in Mexiko war Kanada dabei. „Cool, dass das Team diesmal mitspielt“, sagt Hynes, „das gibt einen Schub für die WM 2026 in den USA, Mexiko und dem Heimatland meines Vaters.“ Letzterer stammt eben aus Kanada, war selbst Eishockey-Profi. Der Filius erblickte das Licht der Welt in Deutschland, drückt deshalb auch vorrangig der Flick-Truppe die Daumen – und glaubt an eine lange Verweildauer im Wüstenstaat. Brasilien ist sein Topfavorit, gefolgt von Deutschland.

Hynes kennt durch gelegentliche TV-Abstecher in die MSL, die nordamerikanische Profi-Liga, den ein oder anderen kanadischen Akteur. Und auch wenn im Ahornblatt-Land Eishockey Prio eins ist, würden viele dem Fußball-Spektakel entgegenfiebern. Das weiß der Stuttgarter aus zig Telefonaten mit seinem Onkel Gordon Hynes, einst in Diensten der Adler Mannheim.

Steigerungspotenzial ist da. 1986 folgte in Mexiko nach drei Niederlagen in der Gruppenphase der prompte Abflug in die Heimat. Und diesmal? Weiter werden sie wohl nicht kommen, aber ein Punkt sei drin. Jonah Hynes setzte dabei schwer auf das Aufeinandertreffen mit Marokko.

WM im Winter? Falsche Zeit

In Tagen mit Diskussionen über den Sinn und Moralfragen rund um das anstehende Event soll es indes auch tiefenentspannte Fußballfans geben, die dem Ganzen gelassen entgegensehen. Eine ist Daniela Schneider, die Spielführerin und Interimstrainerin des Frauen-Oberligisten FSV Waldebene Ost. Sie sei definitiv nicht so die Fußball-Guckerin, führe den Sport vorrangig „am liebsten selbst aktiv durch“, sagt sie lachend. Gleichwohl versuche sie schon, die Spiele mitzubekommen. Klappe es aber mal nicht, Schwamm drüber. Und für welches Team drückt sie die Daumen? „Natürlich schon für Deutschland.“

Ähnlich handhabt es Christina Baumann, ehemalige Echterdinger Handball-Zweitligatorhüterin und heutige Jugendleiterin der HSG Leinfelden-Echterdingen. Durchaus fußballaffin, erklärt sie ihre Zurückhaltung so: „WM im Winter? Voll falsche Zeit für mich.“ Bisher habe sie noch nicht einmal auf dem Schirm, wann die deuschen Spiele sind.

Ganz so weit geht es bei Thomas Bürkle nicht. Aber der Tenor ist der gleiche: „Ein WM-Fieber hat sich bei mir noch nicht eingestellt“, sagt der Geschäftsführer und Tennismanager des TEC Waldau. Die Gründe: ebenso der ungewohnte Zeitpunkt, ebenso die bekannten Katar’schen Umstände. Dass sich das eigene Feeling noch ändern wird, Bürkle will es nicht ausschließen. Und wenn nicht, dann freut er sich wieder auf den Fußball danach. Der Mann ist VfB-Dauerkartenbesitzer.

Wobei: Ein Vergnügen soll es in der jüngeren Vergangenheit auch dort, bei den Roten, nicht immer gewesen sein.