Herr Qiu, Deutschland spielt an diesem Freitag gegen China im Tischtennis-Finale. Wem drücken Sie die Daumen?
Natürlich Deutschland. Ich habe mit den Jungs die komplette Vorbereitung absolviert, bis sie in den Flieger gestiegen sind. Das sind alles meine Freunde.
Hat sich schon in der Olympiavorbereitung abgezeichnet, dass Ihre Kollegen so erfolgreich sein würden?
Wir sind hinter China eine Tischtennis-Macht und in Europa schon jahrelang die Nummer eins. Wir sind Chinas stärkster Konkurrent. Natürlich sind Japan und Korea spielstarke Nationen, auch andere sind deutlich besser geworden, aber wir haben mit Timo Boll und Dimitrij Ovtcharov die ehemaligen Weltranglistenersten. Dann ist klar, dass wir bei Olympia auch sehr weit kommen können. Ich habe schon im Vorfeld gesagt: Bis auf China wird es nur wenige Mannschaften geben, die Deutschland so richtig gefährlich werden und am Ende gewinnen können.
Warum hat es bei Ihnen nicht für Olympia gereicht?
Ich war ein enger Kandidat für den vierten Platz. Es war eine knappe Entscheidung gegen mich. Für diese Spiele hat es nicht gereicht, aber ich hoffe für die nächsten, wenn ich noch einen Zahn zulege.
Ist China für Sie persönlich ein besonderer Gegner?
Ich bin in Deutschland geboren und habe mein ganzes Leben hier verbracht. Bis auf meine Verwandten habe ich mit China nichts zu tun, ich besuche sie auch nur relativ selten. Sonst bin ich für Turniere in China. Daher ist es egal, ob ich gegen China, Japan oder sonst wen spiele. Wir wollen gewinnen.
Sind Sie mit Ihren Nationalmannschaftskollegen in Tokio in Kontakt?
Natürlich, ich habe allen am Mittwoch gratuliert. Aber ich will nicht zu viel gratulieren, weil wir noch nicht wissen, welche Medaille es wird. Weil sie nicht viel Zeit bis zum Finale hatten, habe ich sie in Ruhe gelassen, damit sie sich auf das Duell fokussieren können. Nach dem Spiel werden ihnen wahrscheinlich Tausende Steine vom Herzen fallen. Da kann man dann etwas länger quatschen.
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Ist die Silbermedaille nicht schon ein großer Erfolg für Deutschland – gar gleichzusetzen mit dem Olympiasieg in anderen Sportarten?
Es fühlt sich natürlich wie Gold an – und Silber ist für Deutschland unglaublich. Aber Gold ist nun mal das Maß aller Dinge. Vor allem im Tischtennis, weil China so stark ist. Aber auch mit einer Silbermedaille braucht sich Deutschland auf gar keinen Fall verstecken. Ich glaube aber nicht, dass die deutschen Spieler so denken, sondern dass sie 100 Prozent geben werden, um Gold zu gewinnen. Dann käme es in Deutschland zum Ausnahmezustand.
Bis zum Autokorso durch die Städte?
(Lacht) Nein, Tischtennis ist ja leider eine Randsportart. Es gibt zwar viele Medienberichte und Beiträge im Fernsehen, aber es ist ja auch Olympia. Wir sind bei den vergangenen Spielen immer weit gekommen, meist in die Medaillenränge. Das ist dann auch Teil von Olympia: dass Deutschland Medaillen im Tischtennis holt. Das ist sehr gut für unsere Sportart.
Hat Deutschland überhaupt eine Chance gegen die Tischtennis-Macht China?
China ist natürlich in allen Begegnungen der Favorit. Der Vorteil bei Olympia ist aber, dass die Chinesen sehr viel Druck spüren. Dadurch machen sie vielleicht einen oder zwei Fehler, die ihnen sonst nicht unterlaufen würden. Dafür müsste man sie aber erst einmal in diese Drucksituation bringen.
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Wie könnten die Deutschen das schaffen?
Indem sie das Spiel knapp halten. Das Doppel wird sehr wichtig sein. Dass sie es irgendwie schaffen, da das Break zu holen, vielleicht in Führung zu gehen. Wenn die Chinesen aber merken, dass sie das Spiel von Anfang an dominieren, dann spielen sie immer lockerer und freier – und dann wird es nahezu unmöglich, das Spiel zu gewinnen.
Auf welche Stärken der Deutschen kommt es im Finale an?
Dimitrij Ovtcharovs Einzelstärke ist in diesem Turnier gar nicht wegzudenken. So stark habe ich ihn noch nie spielen sehen. Darauf wird China sicher ein Auge werfen. Die wissen auch, dass er in einer Wahnsinnsform ist. Timo ist einfach Timo Boll, der spielt immer seinen Stiefel runter, ist so konstant gut – sowohl im Doppel als auch im Einzel. Die Chinesen wissen: Wenn sie da ein bisschen schlechter performen, dann wird es direkt ein sehr heißes Spiel. An diese Stärken müssen die Deutschen glauben, dann ist alles möglich.
Was muss Deutschland an seinem Spiel verbessern?
Sie sind im Olympiafinale, da gibt es nicht viel zu verbessern. Timo und Dimitrij, aber auch Patrick Franziska wären nicht so lange an der Weltspitze, wenn sie sich nicht stetig verbessern würden. Für Timo Boll ist es möglich, gegen jeden Chinesen zu gewinnen, das hat er in der Vergangenheit schon bewiesen.
Erwarten Sie im Finale einen ähnlichen Krimi wie im Halbfinale gegen Japan?
Aus deutscher Sicht wird man es sich wünschen, dass es knapp wird. Wenn die Führung für China aber zu schnell zu hoch ist, dann wird es sehr schwer, noch zurückzukommen. Ich denke, es wird ein enges Spiel, was den Deutschen in die Karten spielen würde.
Dang Qiu und die Kampfansage von Boll und Ovtcharov
Karriere
Der in Nürtingen geborene Dang Qiu hat seine Tischtennis-Laufbahn 2014 in der zweiten Mannschaft des Zweitligisten TTC Frickenhausen begonnen. Heute spielt er bei Borussia Düsseldorf in der deutschen Tischtennis-Bundesliga und ist Teil der deutschen Nationalmannschaft.
Ziele
„Titel, Titel, Titel“, sagt Qiu. Beim deutschen Tischtennis-Rekordmeister Düsseldorf gehört dann auch Timo Boll zu seinen Teamkameraden.
Erfolgshunger
„Wir sind heiß und noch sehr hungrig“, sagt Timo Boll vor dem anstehenden Finale gegen China. Für ihn könnte es die letzte Möglichkeit sein, ein Olympiafinale zu spielen: „Ich spüre den Druck, aber auch den Siegeswillen. Das ist eine gute Kombination.“
Riesenaufgabe
„Das ist die größte Herausforderung, die es gibt – vielleicht sogar im gesamten Sport“, sagt Dimitrij Ovtcharov vor dem Duell mit China.