Petrissa Solja und Fang Bo verlieren das WM-Halbfinale im Mixed – und der Chinese ist stinksauer. Die Bundestrainerin Jie Schöpp gibt danach spannende Einblicke in Chinas Tischtennis-Denken.

Chef vom Dienst: Tobias Schall (tos)

Düsseldorf - Am Ende dieser deutsch-chinesischen Beziehung tut es einen Schlag. Wütend stapft Fang Bo an diesem Samstagvormittag durch die Mixed Zone der Halle 6 auf der Messe Düsseldorf. Vor wenigen Minuten ist er mit seiner Partnerin Petrissa Solja nach einer 3:1-Führung im Halbfinale des Mixed-Wettbewerbs der Tischtennis-WM ausgeschieden. 3:4 unterlagen sie gegen die späteren Sieger Kasumi Ishikawa/Maharu Yoshimura (Japan). Stinksauer ist Fang Bo darüber – und knallt die Tür am Ausgang der Interviewzone hinter sich zu – ein China-Kracher.

 

Wenig später ist auch Petrissa Solja da. Es ist nicht so, dass sie strahlt wie ein Honigkuchenpferd. Auch sie ist enttäuscht über das Aus, aber sie ist mit sich im Reinen. Gut hat sie gespielt, und sie hat mit der Halbfinalteilnahme die erhoffte Medaille gewonnen, die erste im Mixed für Deutschland seit 1971, als Eberhard Schöler mit seiner Frau Diane ebenfalls Bronze im gemischten Doppel gewann. „Nach der WM fahre ich mit dem Wohnmobil nach Disneyland, da kann ich mir die Freude aus der Seele schreien.“

Für die Chinesen zählt nur Gold – der Rest ist nur Blech

Es war mehr drin für die deutsch-chinesische Koproduktion: das Finale, und Gold, aber am Ende hat es halt nicht ganz gereicht. „Ich werde mich mit etwas Abstand sehr über Bronze freuen“, sagt die 23-Jährige. Es könnte am Ende dieser WM ja auch die einzige Medaille sein, die in Europa bleibt. „Ich hoffe, Fang Bo kann sich auch noch über Bronze freuen.“

Sicher ist das nicht. Er kam für Gold. Nicht für Silber. Nicht für Bronze. Der Vizeweltmeister von 2015 hatte es nicht ins Einzel-Aufgebot geschafft, er hatte nur diese eine Chance. Und die hat er nicht genutzt. Er hat versagt, so sah er das selbst, und so sehen sie das in Chinas Tischtennis. „In China zählt nur Gold. Gold. Gold. Gold. Das bekommen sie über Jahrzehnte eingetrichtert“, sagte Jie Schöpp, die in China geborene deutsche Frauen-Bundestrainerin.

Auch im Mixed. Gemischtes Doppel. Nicht Halbes. Nichts Ganzes. Manch einer rümpft ja verächtlich die Nase. In vielen Sportarten hat es praktisch keinen Stellenwert, es ist lästiges Beiprogramm. Im Tischtennis hat das Mixed eine große Tradition, und alle Überlegungen, es aus dem Programm zu nehmen, scheiterten an der doch noch immer großen Zahl an Freunden des Mixed. Das gemischte Doppel wird zwar auch im Tischtennis von manchen Spielern hinter vorgehaltener Hand als Herren-Einzel mit Damen-Behinderung verspottet. Das ist indes ein bisschen Altherrenhumor und ziemlich respektlos – und hier in Düsseldorf ziemlich weit weg von der Realität. Denn fairerweise muss man sagen: Dieser geschlechterübergreifende Vergleich hat auf diesem Niveau einen hohen Reiz.

Der Mann ist im Mixed der Vollstrecker

Natürlich sind die Qualitätsunterschiede zu sehen, aber sie sind nicht so offensichtlich, wie man glauben könnte. Ein Vorteil ist, dass der Aufschlag der Männer zwar auch gefährlicher ist, er aber nicht wie im Tennis ein entscheidender Faktor ist. Während Angelique Kerber mit einem Service von Novak Djokovic kaum zurechtkommt, kann Petrissa Solja die Aufschläge von Ma Long retournieren, ohne dass der Rückschlag zu einer Vorlage für den Gegner wird.

Die Schlaghärte ist aber natürlich unterschiedlich, weswegen im Mixed die Frau im Idealfall so spielt, dass ihr Partner bestmöglich seine Stärken in Szene setzen kann und die Ballwechsel vollendet. Der Mann ist der Vollstrecker. Also Fang Bo. Das hat Chinas Trainer Liu Guozheng, in den 200oer Jahren dreimal Mannschafts-Weltmeister mit China, seinem Schützling auch mit auf den Weg gegeben: „Du bist der Mann. Du musst die Punkte machen.“ Druck. Unter Druck entstehen Diamanten. Und WM-Titel. Das ist bis heute das Motto in Chinas Sport. An diesem Tag war es zu viel.

Der Coach erhöht den Druck, Fang Bo macht Fehler

„Er war verkrampft, er wollte es immer besser machen“, sagte Jie Schöpp, die mit Liu Guozheng in der Trainerbox saß und sich das Coaching teilte. Kurz vor Satzende stimmten sich die beiden ab, fast immer, so erzählte Schöpp später, waren sie sich einig in der Analyse.

Die Fehlerquote bei Fang Bo stieg stark an. Er riskierte immer mehr, um zu punkten. Chinas Coach wurde zunehmend unzufriedener, erhöhte in den Pausen weiter den Druck. Sein Pendant auf der Bank versuchte den anderen Weg, über positive Stimulation statt Kritik: „Ich habe Fang Bo immer wieder gelobt, aber mein Lob zählt da nicht viel“, sagte Schöpp. Nur das Wort seines eigenen Trainers interessiert, meinte sie.

Jie Schöpp kennt dieses System ja bestens aus eigener Erfahrung. Sie hat das System selbst durchlaufen, von 1980 bis 1989 war sie in Chinas Tischtennis-Internat, ehe sie nach Deutschland kam und hier heimisch wurde. „Die Erwartungen an die Spieler sind unglaublich. Es ist ein anderer Umgang mit Menschen als bei uns“, sagt Schöpp. Die heute 49-Jährige bekam 1993 die deutsche Staatsbürgerschaft und ist seit 2012 Bundestrainerin.

Petrissa Solja erhielt später übrigens von Liu Guozheng das größte denkbare Lob: „Sie war besser als Fang Bo.“