Hoppla, ist das Design oder Kunst? Der erfolgreiche Künstler Tobias Rehberger verwandelt das Kunstmuseum Stuttgart in einen kunterbunten Parcours für die Sinne.

Kultur: Adrienne Braun (adr)

Designer könnten neidisch werden. Denn als Designer muss man sehr berühmt sein, um ins Museum zu kommen. Der Kunstbetrieb kennt kein Pardon und trennt strikt zwischen angewandter und freier Kunst. Und nun: Lampen im Kunstmuseum Stuttgart, Blumenvasen, Sessel und Sofas, Teller und Becher aus der Werkstatt von Tobias Rehberger. Aber er hat es nicht nur mit einer Solo-Schau ins Kunstmuseum geschafft, sondern ist seit Jahren sogar ein Liebling des Betriebs – weil seine Arbeiten zwar viel mit Design zu tun haben, aber als Kunst deklariert werden.

 

Nelson Mandela als Lampe

Fast könnte man meinen, in einem Designer-Möbelhaus gelandet zu sein. Denn Tobias Rehberger hat das Kunstmuseum für seine Ausstellung „I do if I don’t“ in einen fröhlichen, kunterbunten Parcours verwandelt. Hier ein Couchtisch, der auf dicken Fäusten steht, dort Nelson Mandela als Lampe. Wände wurden mit psychedelischen Tapeten beklebt, auf denen Punkte so irrwitzig tanzen, dass sich das Mauerwerk zu bewegen scheint – und gewarnt wird, dass Menschen mit fotosensibler Epilepsie mit gesundheitlichen Risiken rechnen müssen.

Immer mit Hintersinn

Vor drei Jahren baute Rehberger vor dem Schauspiel Stuttgart eine riesige „Probegrube“ auf, die die Sinne ähnlich verwirrte. Schlagzeilen machte er auch, als er auf der Biennale von Venedig 2009 die Cafeteria in schönstes Chaos aus Streifen und Punkten verwandelte. Hierfür erhielt er sogar den Goldenen Löwen, weil er nicht nur die Sinne ästhetisch kitzelt, sondern seine Objekte und Installationen mit Hintersinn auflädt.

So darf man sich nicht täuschen lassen: Die zahllosen Blumenvasen, die in großen Vitrinen stehen, wollen mehr sein als herrlich anzuschauende Vasen aus Glas, Kunststoff oder Holz. Sie sind dickbäuchig oder schlank, fröhlich gestreift oder in einen Baumstamm gefräst. Es ist ein köstliches Sammelsurium, das Begehrlichkeit wecken könnte, weil sich die (unechten) Rosen oder Gladiolen prächtig darin machen. Für Rehberger sind die Vasen allerdings Porträts seiner Künstlerfreunde. Wer im Begleitheft nachschlägt, erfährt, dass etwa die Vase, die mit Zeitungsartikeln zur Mafia beklebt ist, die Fotokünstlerin Tracy Moffat darstellt.

Spiel mit dem Kunstbegriff

Obwohl Rehberger weltweit ausstellt, ist es seine erste große Schau in seiner Heimat, die Ulrike Groos, die Direktorin des Kunstmuseums kuratiert hat. Rehberger wurde 1966 in Esslingen geboren, wuchs in Denkendorf auf und hing, wie er erzählt, als Jugendlicher meist am Schlossplatz ab, wo heute das Kunstmuseum steht. Seit seinem Studium an der Städelschule lebt er in Frankfurt und betreibt ein großes, florierendes Atelier. Dass er zu einem Liebling des Kunstbetriebs wurde, liegt vor allem daran, dass er spitzfindig mit dem Kunstbegriff spielt und immer wieder die Frage aufwirft, was Kunst überhaupt zur Kunst macht.

Skulpturen werfen Buchstaben-Schatten

So kann, wer in der Kunstgeschichte zu Hause ist, sich köstlich amüsieren, wie die klassische Gattung des Porträts augenzwinkernd in Blumenvasen transformiert wurde. Auch Rehbergers sinnlich betörenden Skulpturen warten mit definitorischem Hintersinn auf: Denn eigentlich geht es nicht um das amorphe Gebilde, das man allzu gern streicheln würde. Es geht auch nicht um die gestapelten Holzkästen – sondern um die Schatten, die diese ulkigen Objekte werfen und mit denen Rehberger Begriffe wie „Sex“ oder „Cruise“ an die Wand schreibt.

Das Museum als lebendiger Parcours

Das Spiel mit den Kategorien ist für Connaisseure vergnüglich, der kunterbunte Parcours belebt die Museumsräume auch aufs Schönste – und doch erschöpft sich manches im schlichten Konstatieren. Wenn Rehberger Termitenhügel abformt zu Skulpturen in Gelb oder Rot, spielt er darauf an, wie die Natur der Kunst zuarbeitet, mehr aber auch nicht. Letztlich verweist dieser kess und frisch daherkommende Auftritt im Kunstmuseum inhaltlich eher ins ausgehende 20. Jahrhundert, als Kunst vor allem ästhetische Fragen verhandelte – und weniger gesellschaftliche.

Das Publikum darf mit Kreide malen

Als wüsste er darum, lädt Rehberger immer wieder zur Teilhabe ein und dürfen die Besucher nun die Lampeninstallation einschalten – mal die gelben, mal die weißen Leuchten. Auch an den Schatten, die die Skulpturen werfen, darf man mit Kreide weitermalen. So richtig überzeugen diese Ansätze zur Interaktion allerdings nicht, zumal unklar bleibt, wo das Publikum gefragt ist, wo nicht. So wollen die Lenin- und Marx-Möbel zum geselligen Miteinander einladen. Bei den bunten Fenstern, die man allzu gern bewegen würde, um die Lichtspiele zu erforschen, heißt es dagegen: Berühren verboten!

Kostenlose Kunst für alle

Schlossplatz
Mitmachen erwünscht! In den nächsten Wochen wird der Schlossplatz vor dem Kunstmuseum auf eigene Weise bespielt. Tobias Rehberger hat eine Art Säule aufgebaut, an die Passanten per Bluetooth ihr Handy anschließen und Musik abspielen können, die über das Steuerpult verstärkt wird. Außerdem werden Leuchtelemente an der Fassade des Kunstmuseums aktiviert und pulsieren zum Rhythmus der Musik.

Freier Eintritt
Die Ausstellung „I do if I don’t“ ist bis 28. August im Kunstmuseum Stuttgart zu sehen und von Dienstag bis Sonntag von 10 bis 18 Uhr und am Freitag bis 21 Uhr geöffnet. Am 26. und 27. März ist der Eintritt frei. adr