Böblingen : Ulrich Stolte (uls)


Welche Familie konnte sich 1947 einen Künstler leisten? Gerhard Halbritter ist 1908 in Mühlhausen in Thüringen geboren. Sein Vater fiel vor Verdun. Die Mutter war Schneidermeisterin und brachte die drei Kinder mit Näharbeiten durch. Gerhard Halbritter war 17, als sie starb. Er besorgte sich ein Fahrrad und radelte 1926 von Thüringen nach Budapest, wo sein Onkel lebte. Der war Gärtnerhofmeister bei dem berühmten Geschlecht der Esterházy. Der Onkel brachte ihn in Budapest in einer Holzbildhauerklasse unter, und dort machte er eine Lehre. Aber immer diese Armut.

Armut und Hunger. Das Leben hat meinen Vater hart gemacht. Bei offiziellen Anlässen musste er sich Jacketts von seinen Kommilitonen leihen. Ungarisch war die einzige Sprache, die er von einem Lehrer gelernt hat. Alle anderen Sprachen, Italienisch, Dänisch und Französisch, brachte er sich selbst bei, als er sich in Rom und Paris ausbildete. In Dänemark studierte er Grafik an der Akademie der schönen Künste. Dort lernte er meine Mutter kennen, Rut Jörgensen, die Tochter seines Lehrers Aksel Jörgensen, ein berühmter dänischer Maler. 1936 heirateten sie.

Dann brach der Zweite Weltkrieg aus, und die Deutschen besetzten Dänemark.

Die Kinder kamen. Wir sind drei Geschwister. Ich bin die Jüngste, geboren 1943 in Dänemark. Dort arbeitete mein Vater schon als freischaffender Künstler und als Journalist. Er war Redakteur für Europa-Press und machte für die Auslandsschau eine unpolitische Beilage. Er konnte wunderbar fotografieren. Hunderte von Glasnegativen hatten wir, und einen eigenen Schrank dafür. Wir haben den Schrank damals mitgenommen, 1947 als wir von Dänemark fortzogen und nach Haigerloch kamen. Mein Vater suchte verzweifelt nach Aufträgen, um die Familie durchzubringen. Er fuhr den ganzen Rhein entlang und zeichnete die großen Sakralbauten. Die Radierungen davon verkaufte er.

Die Familie fing von vorne an. Gerhard Halbritter musste gegen die etablierten Bildhauer ankämpfen. Er stammte noch aus einer Zeit, in der Zeichnen etwas von Handwerk hatte. Er zeichnete nicht allein um einen künstlerischen Ausdruck eines Gegenstandes zu finden. Er war kein Mensch, der sich mit einem Topf voll Farbe eine Welt baute. Halbritter zeichnete auch, um zu dokumentieren.

Er musste Klinken putzen. Doch er konnte sich einfach nicht gut verkaufen.

Sein erster großer Auftrag war eine Neufassung des Abendmahls von Leonardo da Vinci in der Haigerlocher Kirche. Langsam kam er in Deutschland wieder ins Geschäft.

Gott war für ihn wichtig. Er war ein gläubiger Mensch. Sehen Sie den roten Stuhl? Da ist Hans Küng gesessen. Da ist Walter Jens gesessen. Da saß auch Eduard Spranger. Aus Anlass des 500. Geburtstags der Universität hat mein Vater alle Tübinger Professoren gezeichnet und Medaillen von ihnen angefertigt. Es ärgert mich, wenn man Gerhard Halbritter als eigenbrötlerischen Griffelkünstler bezeichnet. Mein Vater war ein glänzender Redner und ein Mann, der schweigen konnte.