Der Tübinger Künstler Gerhard Halbritter hat RAF-Mitglieder nach ihrem Tod portätiert. Seine Tochter spricht zum ersten mal über ihn.

Böblingen : Ulrich Stolte (uls)
Tübingen - Loni Halbritter-Hansen legt einen bronzenen Abguss auf den Tisch: ein Kindergesicht mit Pausbacken. Es sieht aus wie eine Totenmaske.

"Nichts Schlimmeres als ein totes Kind", sage ich. Auch Kinder sterben, entgegnet sie. Doch sie sind im Tode anders, ihnen sinken die Augen ein. Sie macht eine Pause und lacht. Das bin ich, ich war damals sieben. Sie sieht ihm ähnlich, hat denselben Zug um den Mund. Immer wieder wurde mein Vater gerufen, um Totenmasken anzufertigen. Das geht relativ einfach: Fettcreme auf das Gesicht, dann flüssigen Gips auflegen, wenn er warm wird abnehmen. So entsteht die Negativform. Daraus wird die Maske gemacht.

Loni Halbritter-Hansen holt einen Packen. Darin sind Schaumünzen: Andenken an ein Sängerfest in Plieningen, Abgüsse von Staatswappen. Sie bringt ein Medaillon, auf dem Friedrich der Große und der König von Württemberg zu sehen sind. Auch von solchen Arbeiten hat Gerhard Halbritter gelebt. Sie bringt ein Buch. Das fleckige Büttenpapier hat er in der Kriegsgefangenschaft in Dänemark beschrieben. Die Vignetten der Kapitel sind eingeklebt, farbige Miniaturen von großer Schönheit. Darunter webt sich die Fraktur wie ein Teppich.

Es ist Rilkes Erzählung "Die Weise von Liebe und Tod des Cornets Christoph Rilke". Ich lese: "Sie reiten über einen erschlagenen Bauern. Er hat die Augen weit offen und Etwas spiegelt sich drin; kein Himmel."

Mein Vater musste sich in der Kriegsgefangenschaft mit etwas beschäftigen.

Gerhard Halbritter ist 2002 gestorben. Er war in den 70er Jahren einer der bedeutendsten Porträtisten in Württemberg. Sein Name geriet 1977 in die öffentliche Diskussion: Halbritter war der Mann, der Totenmasken dreier RAF-Terroristen schuf. Bis vor kurzem waren sie in der Esslinger Villa Merkel in der Ausstellung "Man Son 1969" zu sehen. Es sind nicht die einzigen Totenmasken der Terroristen, die angefertigt wurden, aber wohl die einzigen, die noch existieren.

Ein Stück deutscher Geschichte. Am Tag nach dem Ende der Flugzeugentführung von Mogadischu im Deutschen Herbst 1977 haben sie in der Justizvollzugsanstalt Stuttgart Selbstmord begangen: Gudrun Ensslin, Andreas Baader und Jan-Carl Raspe. Sie wurden in Tübingen auf dem Galgenberg obduziert. Das Messer setzte der Pathologe Hans Joachim Mallach an, neben ihm stand der Zeichner und Radierer Gerhard Halbritter aus Tübingen.

Seine Tochter Loni Halbritter-Hansen wohnt nach insgesamt mehr als 30 Umzügen jetzt bei den Tübinger Kliniken.

Mein Vater war ein herber und ein introvertierter Mann. Und wäre er nicht so introvertiert gewesen, dann wäre es uns allen besser gegangen nach dem Krieg.