Die deutsche Rock-Band Tocotronic flutet das LKA in Stuttgart mit souveränem Indie-Rock – der ganz große Spielrausch bleibt jedoch aus.

Stuttgart - Die Begrüßung klingt nach schlichter Ironie. „Willkommen Stuttgart, im LKA ‚Longhorn’“, empfängt Dirk von Lowtzow die rund 900 Besucher in dem Musikhangar in Stuttgart Wangen – „einem der schönsten Orte der Welt!“. Doch ehe man diesen mittlerweile flauen Gag auf das LKA und seine bekannt kuschelige Umgebung durchgewunken hat, wechselt der Tocotronic-Sänger schon die Bedeutungsebene. Denn dann erinnert sich von Lowtzow daran, wie er, kaum 18 geworden, im August 1991 aus dem Badischen in’s Industriegebiet an der B10 tuckerte, um die Alternative-Rock-Götter Sonic Youth zu erleben. Damals im Vorprogramm: eine noch unbekannte Band namens Nirvana. Und, touché: In solchen Nächten ist selbst das schmucklose LKA ja tatsächlich einer der schönsten Orte der Welt. Hübsch alltagsphilosophisch gedacht ist das – und angehaucht vom Atem der Popgeschichte wird man mit dieser Anekdote überdies.

 

Willkommen also in der Welt von Tocotronic, den Lieblingen des Pop-Feuilletons und der Hausband der Kultur-Hipster – wetten, dass in fast jeder Wohnung zwischen Eiernest und Heusteigviertel ein Album der Diskurs-Rocker im Plattenschrank steht?

Inzwischen sind 24 Jahre vergangen seit dem LKA-Besuch des jungen von Lowtzow, und fast ebenso solange ist der Offenburger Musiker mit seiner Band nun selbst Teil einer Jugendbewegung – und mittlerweile angekommen an den Schnittstellen zwischen Ironie und Poesie, zwischen dem verschachteltem Diskurs-Rock und irritierenden Bekenntnissen zu lupenreinem Pop (mit dem neuen „roten“ Album). Das alles gerann in dieser Zeit zum eigenen Mythos, mit dem umzugehen der Band nicht immer leicht fällt. Längst wird ja jede Geste im Tocotronic-Universum auf – vermeintliche –Doppeldeutigkeiten abgeklopft. Prokofievs „Tanz der Ritter“ als Begleitmusik auf dem Weg zur Bühne: doch nicht etwa eine ehrliche Liebeserklärung an ein elegantes Stück Ballettmusik? Dirk von Lowtzow als blumenwerfender Bohemien: eine Verneigung vor Morrissey, dem Götterboten des Britpop?

Die Musik im LKA verweigerte jedenfalls simple Antworten auf eine komplexe Werkarchitektur. Hier Hymnisches („Die Erwachsenen“), da die Schlurfigkeit des Grunge („Neues vom Trickser“), dort der Punk-Furor von „Zucker“, dazwischen die Slogan-Songs „Macht es nicht selbst“, „Aber hier leben, nein danke“ und „Let there be Rock“, live entschlackt vom „Final Countdown“-Thema der Studioversion: Tocotronic spielten ein Set aus Klassikern und aktuellen Songs, das, ökonomisch herausgerockt, allemal genügte, um vor der Bühne ein munteres Pogo-Kränzchen zu entfesseln. Um aber das Publikum und sich selbst in rauschhafte Sphären zu beamen: Dazu reichte es an diesem Abend nicht. Etwas abrupt endete der Auftritt nach routinierten 75 Minuten, zwei Zugaben (mit „Explosion“ als herrlichem Stück Premium-Lärm und einem nur bedingt mitreißenden „Pure Vernunft darf niemals siegen“) hievten das Konzert schließlich über die 100-Minuten-Grenze, Schöner Schall, doch ohne Wahn.