Hat die sächsische Justiz versagt? Der mutmaßliche IS-Terrorist Al-Bakr sei in Haft wie ein Kleinkrimineller behandelt worden, heißt der zentrale Vorwurf. Doch die Verantwortlichen wischen das weg.

Dresden - Vom „failed state“ ist im Zusammenhang mit Sachsen im Netz mittlerweile die Rede, vom gescheiterten Staat, einer „Bananenrepublik“. Nach rechten Krawallen, Angriffen auf Flüchtlingen und Pannen bei Polizeieinsätzen sieht sich der Freistaat Hohn und Spott ausgesetzt – aber auch berechtigter Kritik. Vor allem nach dem Freitod des Terrorverdächtigen Dschaber al-Bakr hinter sächsischen Gittern stellen sich viele Fragen – auch dem Vizeministerpräsidenten.

 

Wie ein „Kleinkrimineller“ sei der „brisanteste Gefangene der Bundesrepublik“ in der JVA Leipzig behandelt worden, ärgert sich Martin Dulig (SPD). Der Tod Al-Bakrs sei ein Drama, „auch weil dessen Aussagen unsagbar wichtig gewesen wären“. Schaden sei entstanden, Vertrauen in sächsische Polizei und jetzt auch Justiz verspielt. Er geht damit deutlich auf Distanz zu seinem Kabinettskollegen Sebastian Gemkow und Regierungschef Stanislaw Tillich (beide CDU). Der Ministerpräsident hatte sich aus dem fernen Berlin voll hinter seinen Justizminister gestellt und „pauschale Kritik“ an der Justiz entschieden zurückgewiesen.

Tod des Häftlings nicht absehbar?

„Das hätte nicht passieren dürfen“, sagt Gemkow zum Suizid des Terrorverdächtigen. Er übernehme von Amts wegen „natürlich die politische Verantwortung“. Ein Versagen seiner Behörde kann er nicht erkennen. Auch einen Rücktrittsgrund sieht er im Tod des jungen Syrers nicht. „Alles sei „lege artis“ – also nach den Regeln der Kunst – gelaufen, sagt auch Rolf Jacob, Leiter der Leipziger Justizvollzugsanstalt. Dass der wohl brisanteste Untersuchungshäftling Deutschlands am Mittwochabend tot am Zellengitter seines Gefängnisses hängt, sei nicht abzusehen gewesen.

Auch nicht, nachdem die Haftrichterin bei Dschaber Al-Bakr bereits am Montag eine Suizidgefahr festgestellt hatte. Auch nicht, nachdem der 22-jährige Syrer, der nach Erkenntnissen der Sicherheitsbehörden einen Anschlag mit einer Sprengstoffweste auf einen Berliner Flughafen plante, in den Hungerstreik trat. Und auch nicht, nachdem er eine Lampe von der Zellendecke heruntergerissen und an einer Steckdose manipuliert hatte. Trotz all dem wurde keine akute Gefahr für eine Selbsttötung des mutmaßlichen Terroristen gesehen.

Laut Jacob hat sich eine „sehr erfahrene Psychologin“ mithilfe eines Dolmetschers mit Al-Bakr am Tag nach seiner Einlieferung unterhalten. „Es gab keine Hinweise auf emotionale Ausfälle“, sagt er. Al-Bakr sei „ruhig und gefasst“ gewesen, habe sich auch nach den Auswirkungen seines Hungerstreiks auf die Haftbedingungen erkundigt. Nichts habe auf eine akute Suizidgefahr hingewiesen.

Hohe gesetzliche Vorgaben bei spezieller Unterbringung

Gemkow sieht das auch am Tag danach noch so. „Wir verlassen uns natürlich auf das Votum der Experten.“ Wenn Psychologen zu entsprechenden Schlussfolgerungen kommen, „dann ist das für uns erst einmal verbindlich“.

Die Unterbringung in einem speziell für Suizidgefährdete vorgesehenen „besonders gesicherten Haftraum“ sei deshalb nicht möglich gewesen. „Da gibt es hohe gesetzliche Vorgaben“, erklärt Jacob. Auch eine Sitzwache – ein Vollzugsbeamter, der den Häftling ständig im Blick behält – wurde für unnötig befunden.

Bei einer Kontrolle am Mittwochabend um 19.30 Uhr sei noch alles in Ordnung gewesen. Al-Bakr habe auf dem Bett gesessen, sagt Jacob. Als eine junge Auszubildende eine Viertelstunde später wieder nach dem Syrer schaut, hängt er bereits an dem Zwischengitter hinter der Zellentür, dass die Vollzugsbeamten bei Kontrollen vor möglichen Übergriffen schützen soll. Um seinen Hals das zerrissene T-Shirt der Anstaltskleidung.

Reanimation ohne Erfolg

Weitere Vollzugsbeamte und die Anstaltsärztin seien „innerhalb von Sekunden“ in der Zelle gewesen, hätten sofort mit der Reanimation des Syrers begonnen, ohne Erfolg.

Dennoch sei eigentlich alles richtig gemacht worden, sagt Jacob. Auch wenn man sich in der Nachbetrachtung vielleicht doch kritisch fragen könnte, ob man vielleicht nicht „doch im Hinblick auf die Exponiertheit des Gefangenen ein bisschen zu gutgläubig war“.

Für die Grünen-Fraktionsvorsitzende im Bundestag ist es weit mehr als das. „Einmal zu versagen, ist eine Panne. Mehrfach zu versagen, ist eine Pleite. Und wenn es immer wieder passiert, dann muss man darüber nachdenken, ob es sich hier um institutionelles Versagen handelt“, meint Katrin Göring-Eckardt.