Der gewaltsame Tod der achtjährigen Eerika wühlt Finnland auf. Die Behörden hatten im Vorfeld offensichtlich versagt.

Helsinki - Sie starb am Muttertag vergangenen Jahres nach mehrstündigem Todeskampf, eingewickelt in eine Plastikplane, erstickt mit zugeklebtem Mund. Sie war acht Jahre alt. Jetzt hat ein Gericht in Helsinki Eerikas Vater und dessen Lebensgefährtin wegen Mordes zu lebenslangem Gefängnis verurteilt. Doch nicht nur wegen der Grausamkeit wühlt das Verbrechen die Menschen in Finnland auf, sondern auch weil alle Kontrollinstanzen offensichtlich versagt haben. „Sie könnte noch leben, wenn sich jemand gekümmert hätte“, sagte Staatsanwältin Eija Veltiskin, doch der Wohlfahrtsstaat wandte den Blick ab.

 

Dabei waren die problematischen Familienverhältnisse den Sozialbehörden bekannt, seit Eerika ein halbjähriges Baby war. „Ihre einzigen glücklichen Zeiten waren, wenn sie in Verwahrung genommen wurde“, sagte Veltiskin. Doch stets wurde sie wieder nach Hause geschickt, erst zur alkoholisierten Mutter, dann, als nach einem Saufgelage der Vater das Kind mitnahm, zu ihm und seiner Gefährtin. „Kinder brauchen Regeln“, sagte diese und quälte die Kleine. Unberührt schilderte sie vor Gericht, wie sie Eerika geschlagen hatte, mit der Faust oder dem Stromkabel, wie sie sie festband, um sie zu „beruhigen“. Der Vater sagte, er sei mit den Erziehungsmethoden seiner Partnerin nicht immer einverstanden gewesen, aber er schritt nicht ein.

Die Folterknechte zeigen wenig Einsicht

Im Gerichtssaal wurde ein vom Vater aufgenommenes Video vorgespielt, das zeigt, wie die 48-jährige Frau das schreiende Kind unter Zwang fütterte, sie an den Haaren riss, anbrüllte. Die Stiefmutter beschuldigte die Kleine zu stehlen, Kleider zu zerschneiden, Dinge zu zerstören. Laut Polizeiuntersuchung waren die Vorwürfe haltlos, erfunden, um den Vater dazu zu bringen, das Kind zu bestrafen. Elf Anzeigen von Nachbarn und Lehrern wegen des Verdachts auf Übergriffe lagen den Sozialbehörden vor, ohne durchgreifende Konsequenz. Denn es gibt zwar ein engmaschiges öffentliches Sicherheitsnetz, das Missbrauch vorbeugen soll, doch es gibt auch eine Berührungsangst, aus der sich der Unwillen ableitet, in das Privatleben anderer einzugreifen.

In dem Pflegeheim, in dem Eerika vier Monate lebte, wunderte sich das Personal über ihr angebliches Missverhalten daheim: weder stahl sie, noch wollte sie nicht essen. Doch niemand sprach darüber mit dem Vater. „Ihre Freude verschwand und ihre Augen füllten sich mit Tränen, als sie erfuhr, dass sie wieder nach Hause sollte“, sagte eine Zeugin aus. In der Schule hatten die Lehrer vergeblich nach all den blauen Flecken an ihrem Körper gefragt. 89 Zeichen äußerer Gewalt sollte der Obduktionsrapport später registrieren. Die Blutergüsse verschwanden, als Eerika ins Heim kam, eine Woche nach der Rückkehr tauchten sie wieder auf. Als das Mädchen im April mit einer blauschwarzen Wange in der Schule auftauchte, wurde der Kinderschutz alarmiert. Nichts geschah.

Sechs Stunden Todeskampf

Ein paar Wochen später fand der Vater, als er abends heimkam, seine Tochter mit gebundenen Händen ans Bett gefesselt. Sie habe die Saiten seiner Gitarre zerschnitten, schrie die Frau: „Jetzt musst du ihr Manieren beibringen, sonst tue ich es.“ Er band sie härter, verklebte ihr Mund und Nase und wickelte sie in eine Persenning. Vier bis sechs Stunden habe der Todeskampf gedauert, stellt der Obduktionsrapport fest. Die ganze Zeit habe sich der Vater beim Bett befunden, ohne einen Finger zu rühren, heißt es in dem Urteil. Die beiden Angeklagten gaben zu, gewaltsam gewesen zu sein, „weil sie so beschwerlich war“, Tötungsabsicht leugneten sie. Nach der Höchststrafe für die Täter ermitteln nun Polizei und Aufsichtsbehörden wegen möglicher Versäumnisse im Sozialwesen. Vorerst wurde keiner der Betroffenen von seiner Arbeit suspendiert.