Regisseur Bastian Kraft erzählt Arthur Millers kapitalismuskritisches Drama als Chronik eines angekündigten Todes. Das Publikum sieht einem alternden Cowboy beim Scheitern zu.

Bauen/Wohnen/Architektur : Nicole Golombek (golo)

Berlin - Willy Loman ist nur noch ein Schatten seiner selbst. Schatten der Vergangenheit verfolgen ihn und ja, er hat auch einen Schatten, wie Jugendliche früher flapsig zu sagen pflegten, wenn sie über jemanden sprachen, den sie als nervtötend abwerteten. Von derlei Assoziationen begleitet ist die Inszenierung von Regisseur Bastian Kraft und Bühnenbildner Ben Baur, die am Freitag im Deutschen Theater in Berlin Premiere gefeiert hat. Arthur Millers 1949 uraufgeführtes kapitalismuskritisches Drama „Tod eines Handlungsreisenden“ ist weltbekannt, also kann Kraft mit dem Ende beginnen. Aus dem Schattenreich des Todes heraus erzählt er das Drama als Chronik eines angekündigten Todes. Das schafft Distanz, der Zuschauer kann sich darauf konzentrieren, wer alles dazu beiträgt, dass der Handlungsreisende Willy Loman sich irgendwann einbildet, tot mehr wert zu sein als lebendig.

 

Auf einer bis auf Tisch und Stühle leer geräumten Bühne bevölkern Schatten die Wand. Die wachsen je nach Lichtführung (Cornelia Gloth) ins Riesige und schrumpfen ins Winzige, bis sie kleiner als die Schatten der Tischbeine sind. Die Figuren können sich nicht einschätzen, wähnen sich mal deutlich großartiger, mal viel kümmerlicher als sie sind. Dieses Konzept ist von derart schlagender Bildlichkeit, dass es redundant wirken könnte. Doch es funktioniert. Willys erfolgreicher Bruder Ben, das ist Ulrich Matthes’ Silhouette in XXL - während Matthes als Willy Loman neben diesem Schatten stehend diesem nur bis zur Hüfte reicht. Und wenn der ermattete, verwirrte Willy sich in Erinnerungen verliert, sieht man bewegte Bilder von Silhouetten (Video: Stefan Bischoff) - Ehefrau, Geliebte, spielende Söhne, ihr streberhafter Freund Bernard - wirbeln in rascher, schwindelig machender Folge durcheinander.

Träumen von einem sinnerfüllten Leben

Wobei gelegentlich auch die Schatten Schwierigkeiten haben, Ulrich Matthes’ Handlungsreisendem zu folgen. Unter einer so dominanten Erscheinung ist es schwer, sich zu behaupten. Zu Ehefrau Linda (Olivia Grigolli) fällt Bastian Kraft wenig ein, sie steht in unerschütterlicher Fürsorge zu ihrem Mann. Dafür sind Happy (Camill Jammal) und Biff (Benjamin Lillie) Repräsentanten der Generation Y. Sie jammern über hohe Mieten und Erfolgsdruck, träumen von einem sinnerfüllten Leben, bewundern aber zugleich Leute, die viel Geld machen.

Vor allem Biff leidet darunter, sich nicht selbst verwirklichen zu können. Es gelingt ihm einfach nicht, sich am Riemen zu reißen oder sich unterzuordnen, weil (auch so ein heutiges Phänomen) der Vater ihm einimpfte, er sei sowieso schon der Allergrößte. Dass ihn das Fremdgehen des Vaters aus der Bahn geworfen haben könnte, das glaubt höchstens der Betrüger selbst. Die Szene, in der er den Vater mit einer Geliebten erwischt, spielt Ulrich Matthes allein, mit einem Frauenschatten im Rücken.

Überhaupt verhält sich Biff weniger verbittert als er in den jüngsten Inszenierungen in Stuttgart (sowohl im Alten Schauspielhaus wie im Staatsschauspiel) zu erleben war. In der großen Szene, in der Biff beichtet, dass er nicht Papas Werte teilt und ihn umarmt, erscheint er liebevoll versöhnlich. Ein Junge, der erwachsener wirkt als sein Vater.

Ulrich Matthes spielt den Willy Loman als müden, harten Hund

Ulrich Matthes’ zögerliches Erwidern der Umarmung zeigt, dass er sich über die Geste freut, aber nicht nachvollziehen kann, was Biff redet. Er beharrt darauf: „Dieser Junge wird etwas Großartiges werden!“ Ulrich Matthes spielt Willy als müden, harten Hund. Sein Westernhemd unter dem Jackett zeigt an, er ist ein Kerl alter Schule: erschöpft, aber beseelt vom Geist der Eroberer, der starken Männer, die in der rauen Welt zu bestehen versuchen. So ein Cowboy kann sich natürlich auch nicht die Blöße geben, für einen gutmütigen Bürohengst wie Charley (Harald Baumgartner) zu arbeiten. In seiner Eitelkeit und in seinem kindlichen Trotz, nicht zu sehen, was alles verloren ist, ist dieser Willy Loman anrührend.

Lachen im Weinen, davon ist der gut eineinhalbstündige Abend getragen. Manchmal ist er von ironischer Leichtigkeit durchweht. Bastian Kraft, der in Stuttgart Schnitzers „Reigen“ mit Edgar Selge und Franziska Walser inszeniert hat, liest den Text genau. Biff und Bruder Happy schwadronieren darüber, dass sie eine Frau „mit Charakter“ suchen sollten, doch ihr „eine wie Mama“ klingt ziemlich sarkastisch. Ebenso wie Ulrich Matthes’ stoßseufzerhaftes: „Näääh!!!!“ als zustimmende Antwort auf Bernards Gemeinplatz, kein Meister falle vom Himmel. Was in Matthes’ Ton mitschwingt, ist die Anmaßung Willys, er selbst sei durch harte Arbeit sehr wohl ein Meister geworden und sein Biff werde das schon auch noch schaffen. Ein hinreißend kläglicher Versuch, vor Freunden und Nachbarn das Gesicht zu wahren. So erzählt die Inszenierung des fast 70 Jahre alten, brandneu wirkenden Stückes mehr als nur vom American Dream, sie atmet die German Angst der unteren Mittelschicht vor dem Absturz.

Die nächsten Termine: 23., 30. März, 8. ,16. , 29. April. Karten: 030 / 28 44 12 21

http://www.stuttgarter-zeitung.de/inhalt.interview-mit-dem-schauspieler-ulrich-matthes-wo-sind-nur-die-buhs-geblieben.a146f417-0b3f-4a16-8c68-1fd5f16913f6.html http://www.stuttgarter-nachrichten.de/inhalt.schnitzlers-reigen-im-schauspiel-stuttgart-oh-ich-bin-der-schoene-engel.b9742699-3951-4ef2-892e-934a5fcedc6f.html