Heroin wird nach wie vor mit Armut und Prostitution in Verbindung gebracht. Doch Philip Seymour Hoffmans Tod offenbart, dass dieses Klischee nicht mehr stimmt. Die Droge ist in den USA weit verbreitet – aus einfachen Gründen.

New York - Es ist sicher keine große Überraschung, wenn ein Hollywoodstar ein Drogenproblem hat. Die Liste von Promis mit aktenkundiger Betäubungsmittelsucht reicht von Whitney Houston über John Belushi bis zu Angelina Jolie. Und doch verstört der Tod von Philip Seymour Hoffman die Welt in besonderem Maße.

 

Die Droge der Wahl in den oberen Kreisen ist gewöhnlich Kokain, so lautet jedenfalls das noch immer gängige Klischee. Doch Seymour Hoffman wurde mit einer Nadel im Arm gefunden. In seinem Apartment im Greenwich Village fand die Polizei 50 Päckchen mit Heroin der Marke Pik Ass – anscheinend ein beliebtes Produkt auf den Straßen von New York. Am Montag wurden vier Dealer verhaftet, die 350 Portionen davon bei sich führten.

Philip Seymour Hoffman entsprach so gar nicht dem Stereotyp des Heroin-Junkies, denn die Droge wird gemeinhin noch immer mit Prostituierten und Obdachlosen in Verbindung gebracht. Doch der Tod des 46-jährigen Schauspielers offenbart, dass dieses Klischee schon lange nicht mehr stimmt, jedenfalls nicht in den USA. Schon seit Jahren machen Drogenexperten darauf aufmerksam, dass Heroin immer populärer wird. Im Jahr 2012 haben laut offiziellen Schätzungen 669 000 US-Amerikaner Heroin benutzt, das sind etwa doppelt so viele wie noch fünf Jahre zuvor.

Das Päckchen kostet nur sechs Dollar

Anders als in den siebziger und achtziger Jahren, als Heroin ebenfalls weit verbreitet war, ist der Stoff bei der neuen Welle aus dunklen Gassen in schicke Apartments wie das von Seymour Hoffman und in bürgerliche Vororthäuser migriert. „Heroin ist heute überall“, sagt Michael Chume, ein ehemaliger Abhängiger, der kürzlich in den USA seine Memoiren veröffentlicht hat.

Der Hauptgrund für die Beliebtheit des Opiats ist zweifelsohne, dass es leicht und frei verfügbar ist. Der Handel ist so gut organisiert, dass Heroin per Anruf an die Haustür bestellt werden kann. Die Päckchen, die in Seymour Hoffmans Wohnung gefunden wurden, sollen zwischen sechs und 15 Dollar pro Stück gekostet haben. Ein billigerer Trip ist kaum vorstellbar.

Die Behörden waren zu sehr auf Kokain und Crack fixiert

Die Dumpingpreise sind nicht zuletzt darauf zurückzuführen, dass die Fahnder der US-Antidrogenbehörde DEA sich in den vergangenen Jahren zu sehr auf Kokain, Crack und Methamphetamin konzentriert haben. In der Zwischenzeit haben mexikanische Kartelle Vertriebswege für das Mohnextrakt Heroin an der gesamten Westküste hinauf bis Seattle aufgebaut.

Noch schwieriger, als den Import von Heroin aus Mexiko zu unterbinden, ist es für US-Behörden, den Import von Heroin aus Afghanistan zu unterbinden, wo 75 Prozent des Weltbedarfs hergestellt wird. Der Schmuggel über die afghanische Grenze in den Iran und dann über den Landweg bis Rotterdam ist angesichts der instabilen politischen Lage in den Herkunftsländern praktisch ungehindert. In Rotterdam wird das Gut in den bis zu 40 000 Containern versteckt, die täglich den Hafen verlassen. Zollfahnder haben keine Chance, mehr als einen Bruchteil davon aufzufangen.

Warum die Nachfrage nach Heroin stark gestiegen ist

Der Anstieg der Nachfrage nach Heroin auf dem US-Markt wird auch damit erklärt, dass es in den USA immer schwieriger wird, an medizinische Opiate heran zu kommen. Ärzte sind wegen der Suchtgefahr bei der Verschreibung von Schmerzmitteln immer zurückhaltender geworden. Dadurch wurden Patienten, die bereits eine Sucht entwickelt haben, praktisch über Nacht auf Entzug gesetzt. Alternative Behandlungsmethoden oder ärztliche Suchthilfe gab es nicht, Heroin ist oft die einzige erschwingliche und leicht zugängliche Alternative.

So berichtet die Polizistin Nicole Guerriero in Delray Beach (Florida), dass die Abgabe von starken Schmerzmittel wie Oxycotin stärker kontrolliert werde. „Bis vor kurzem waren die Pillen hier noch für zehn Dollar zu haben“, sagte sie dem Sender CNN. „Inzwischen sind sie sehr viel teurer, und die Leute holen sich ihr High von Heroin.“ Anders als bei verschreibungspflichtigen Medikamenten gibt es bei der Stärke und Reinheit von Heroin keine Sicherheit. Manche Dosen seien mit Natron oder Abführmitteln für Kleinkinder verdünnt, andere mit dem Schmerzmittel Fentanyl für Krebspatienten gefährlich angereichert. In den seltensten Fällen würden die Kunden vom Dealer über die Potenz des Mittels informiert, warnt die DEA. „Dadurch überdosieren unerfahrene Benutzer leicht“, heißt es im Risikobericht der DEA für 2013.

Heroin stigmatisiert mehr als Kokain

Der Ausstieg für Süchtige wird dadurch erschwert, dass Heroingebrauch noch viel mehr sozial stigmatisiert ist als etwa die Abhängigkeit von Kokain. Heroin wird weiterhin mit Armut und Kriminalität in Verbindung gebracht, die Betroffenen schämen sich, darüber zu sprechen. „Heroin wird teilweise extrem missverstanden“, sagt Meghan Ralston, Beraterin einer Suchthilfeorganisation in Los Angeles.

Philip Seymour Hoffman hatte sich gerade erst dazu durch gerungen, über seine Sucht zu sprechen. Vor zwei Wochen während des Sundance-Filmfestivals in Park City gestand er einem befreundeten Journalisten sein Problem. Es war ein Hilferuf. Doch er kam leider zu spät.

Die USA und die sogenannte Heroinkrise

Philip Seymour Hoffmans Tod war noch nicht in den Schlagzeilen, als der Gouverneur von Vermont schon laut Alarm schlug. In einer Rede zur Lage seines Bundesstaates warnte der Politiker im Januar eindringlich vor einer „Heroin-Krise“ in den USA. Ob im beschaulichen Neuengland, Florida oder in Amerikas Großstädten – die Zahl der Opfer tödlicher Heroindosen hat sich im vergangenen Jahrzehnt verdoppelt oder sogar verdreifacht. Allein in New York schnellte sie zwischen 2010 und 2012 um 84 Prozent nach oben. In Pittsburgh und Umgebung starben 22 Personen in nur zwei Wochen an unsauberem Heroin, im US-Staat Maryland wurden laut dem Sender CNN 37 Tote seit September gezählt. „Es hat epidemische Ausmaße erreicht“, bestätigte der Sprecher der US-Antidrogenbehörde DEA, Rusty Payne, in der „Los Angeles Times“.

In Deutschland
dagegen sinkt die Zahl der Drogentoten weiter. 2012 starben zwar 944 Personen an Rauschgift, das ist der niedrigste Stand seit 1988. Vier von fünf Opfern sind Männer. Haupttodesursache auch hier: eine Überdosis Heroin in Verbindung mit anderen Substanzen. 19 559 Personen wurden 2012 erstmals als Konsumenten harter Drogen registriert, knapp 1800 weniger als im Vorjahr. (dpa)