Wie es in der Klinik am Eichert zur Verwechslung von Infusionslösungen und zwei Todesfällen als mutmaßlicher Folge gekommen ist, gibt der Klinikleitung Rätsel auf. Es sei genug Personal da gewesen und die Medikamente seien leicht unterscheidbar.

Göppingen - Es ist mitten in der Nacht. Eine Krankenschwester mit mehr als 25 Jahren Berufserfahrung macht das, was sie seit Jahrzehnten tut: In einem Raum voller Medikamente bestückt sie Tabletts für die Patienten ihrer Station mit Arzneien, die Ärzte für diese verordnet haben. Jedem Patienten ist ein Tablett zugeordnet. Die Verordnungen hat die Schwester in gedruckter Form gut lesbar vorliegen.

 

Doch aus unerfindlichen Gründen greift die Frau nicht in den Hängeschrank über ihrem Kopf, um für einige Patienten die häufig verordnete Kochsalzlösung herauszuholen und diese mit einer Ampulle des Schmerzmittels Novalgin anzureichern. Stattdessen holt sie aus einem Schrank am Boden eine selten verwendete Wirkstofflösung heraus, die das Lokal-Anästhetikum Ropivacain enthält. Einige Stunden später entdeckt sie bei einem Kontrollgang den ersten Toten. So oder so ähnlich hat sich der Fall, der jetzt Schlagzeilen macht, offenbar in der Klinik am Eichert abgespielt.

Der Fall ist eine Horrorvision für jeden Patienten und für Ärzte und Pflegekräfte ebenfalls: In der Nacht auf Mittwoch hat eine Krankenschwester in der Klinik am Eichert in Göppingen vermutlich sechs Patienten falsche Infusionslösungen gegeben, zwei von ihnen sind gestorben. Die Klinikleitung geht davon aus, dass sie durch das Medikament vergiftet wurden. Spekulationen, die sich bei einem solchen Vorfall aufdrängen, über unterbesetzte Stationen, unleserliche Verordnungen von Ärzten oder leicht verwechselbare Medikamentenverpackungen, scheinen in diesem Fall nicht zu passen, wie auf einer Pressekonferenz am Donnerstag deutlich wurde.

Keine Unterbesetzung des Personals

Laut Ingo Hüttner, dem medizinischen Leiter der Alb-Fils-Kliniken, zu denen die Klinik am Eichert gehört, betreuten auf der betroffenen Station 63 drei Krankenschwestern 63 Patienten. „Das Verhältnis von einer Pflegekraft zu 21 Patienten auf einer normalen Station entspricht dem, was der Gesundheitsminister Jens Spahn vom kommenden Januar an vorschreiben will“, berichtete Hüttner. Die Pflegerin, die die Medikamente verwechselt haben soll, konnte noch nicht Stellung nehmen. Sie steht unter Schock.

Das Medikament, das die Krankenschwester den Patienten irrtümlich gegeben hatte, dürfe nicht intravenös verabreicht werden, berichtete Hüttner. Deshalb habe der Beutel mit der Ropivacain-Lösung einen roten Verschluss und rote Warnhinweise. Die Kochsalzlösung habe hingegen blaue Verschlüsse. Die Kochsalzlösung werde auf allen Stationen häufig verwendet, alleine auf der betroffenen Station rund 4500 Mal in diesem Jahr. Die Ropivacain-Lösung hingegen sei dort in diesem Jahr bisher nur 85 Mal verabreicht worden, und zwar über eine Schmerzpumpe. Das Mittel werde direkt an der schmerzenden Stelle eingespritzt.

Als fatal habe sich außerdem erwiesen, dass der Verschluss des Beutels mit dem Wirkstoff auf Infusionsvorrichtungen passe, obwohl er nicht auf diesem Weg verabreicht werden dürfe, sagte Hüttner. Die Klinik habe deshalb Kontakt mit dem Bundesamt für Arzneimittelsicherheit aufgenommen. Aus der Sicht der Klinik muss der Verschluss geändert werden, um es unmöglich zu machen, ihn auf Infusionsvorrichtungen aufzustecken.

Die Polizei ermittelt wegen des Verdachts der fahrlässigen Tötung

Neben Hüttner versicherten auch der stellvertretende Ärztliche Direktor der Klinik am Eichert, Professor Matthias Fischer, und die Leiterin der Pflegedirektion, Margit Hudelmaier, unisono, dass das Verabreichen von Infusionen zu den Routineaufgaben in Krankenhäusern gehöre. Am Eichert habe man in den vergangenen Jahren einiges unternommen, um Medikamentenverwechslungen auszuschließen, etwa die Umstellung auf eine elektronische Medikamentenvergabe mit Barcodes an den Handgelenken der Patienten. Damit können die Pfleger auch ablesen, welche Arzneien verordnet wurden.

Außerdem gelte an der Klinik ein Vier-Augen-Prinzip, das bedeute, eine Pflegekraft richte die Tabletts mit Medikamenten her, eine andere verabreiche sie und prüfe dabei noch einmal, dass es sich um die richtigen handle. Ob die Krankenschwester dieses Prinzip ignoriert und die Medikamente alleine hergerichtet und verabreicht hat, oder ob eine zweite Pflegkraft die falschen Infusionen bereitgelegt hatte, ist noch offen. Die Polizei ermittelt wegen des Verdacht der fahrlässigen Tötung. Um die genaue Todesursache festzustellen, werden die beiden toten Patienten obduziert. Es handelt sich um einen 78-jährigen Mann, der an der Hüfte operiert worden war und eine 62-jährige Frau, die wegen eines Bandscheibenvorfalls behandelt worden war. Die anderen vier Patienten wurden auf der Intensivstation überwacht, haben aber keine Schäden erlitten.