Der Umgang mit psychisch auffälligen Gefangenen setzt den baden-württembergischen Justizminister Rainer Stickelberger (SPD) unter Druck. Die Häftlinge werden mitunter sich selbst überlassen. Was läuft schief?

Stuttgart - Formal ist wohl alles korrekt gelaufen. Im September vergangenen Jahres wurde ein 64-jähriger Gefangener aus der Sicherungsverwahrung in Freiburg auf den Hohenasperg (Landkreis Ludwigsburg) verlegt. Im Justizvollzugskrankenhaus sollte der gesundheitlich mannigfaltig belastete Mann wegen seiner Herzschwäche behandelt werden. Doch er verweigerte sich und lehnte jede medizinische Hilfe ab. Was tun? Der damalige Ärztliche Direktor bescheinigte dem Gefangenen, Herr seiner Sinne zu sein. In diesem Fall aber ist eine Zwangsbehandlung rechtlich nicht ohne Weiteres möglich.

 

Allerdings war der Mann am 4. September, am Tag vor seiner Ankunft auf dem Hohenasperg, unter rechtliche Betreuung gestellt worden, gerade auch im Blick auf seinen Gesundheitszustand. Der Betreuer wie auch das Justizvollzugskrankenhaus wandten sich nach Darstellung des Justizministeriums an das Betreuungsgericht (früher Vormundschaftsgericht), um doch noch eine Zwangsbehandlung einleiten zu können. Das Verfahren ist komplex: Ein Verfahrenspfleger musste bestellt werden, es kam zur gesetzlich vorgesehenen Anhörung des Betroffenen durch das Gericht. Ehe eine Entscheidung gefällt werden konnte, starb Karl K. an einem Durchbruch der Magen-/Darmwand. Ob er eine Operation überlebt hätte, war wegen seines kranken Herzens nicht sicher.

Meist nur vor sich hingeredet

Es bleibt indes die Frage, ob der Mann schon in Freiburg nicht zu lange sich selbst überlassen war. Mit den Geschehnissen vertraute Personen berichten, der Mann habe sich selbst extrem isoliert, kaum noch mit anderen gesprochen, meist nur vor sich hingeredet und laut aus dem Fenster geschrien. Den Mitgefangenen sei schon seit geraumer Zeit dessen körperlicher, aber auch geistig-seelischer Verfall aufgefallen – was sie auch dem Anstaltspersonal vorgetragen hätten. Der Mann habe seine Zelle vermüllt, die Notdurft neben die Toilette oder auch ins Waschbecken verrichtet und sich mit Sanitärreiniger gewaschen. Seine Beine seien erkennbar entzündet gewesen. Nicht wenige hätten sich gefragt, wie man einen Menschen derart sich selbst überlassen könne.

Der Umgang mit psychisch auffälligen Gefangenen ist fraglos schwierig, zumal eine lange Haftzeit bereits vorhandene Probleme noch verstärkt. Nicht wenige Gefangene weisen in ihrer Vorgeschichte Drogenmissbrauch auf, vor allem übermäßigen Alkoholgenuss. Die Unterbringung der Sicherungsverwahrten in Freiburg darf als vorbildlich bezeichnet werden. Dennoch zeichnet sich bei Karl K. wenigstens von Ferne eine Parallele zu Rasmane K. ab, dem Bruchsaler Hungertoten: eine Verwahrlosung unter den Augen des Anstaltspersonals. Rasmane K. hatte die Anstaltskost verweigert, weil er wahnwitziger Weise glaubte, er solle im Gefängnis vergiftet werden. Er schlug wild um sich und griff mehrfach das Gefängnispersonal an – in einem Fall mit schlimmen Folgen für einen Beamten, der dienstunfähig wurde. All das war bei Karl K. nicht der Fall. Aber auch er wurde immer sonderlicher. Nach den Darlegungen des Justizministeriums ist eine medizinische Zwangsbehandlung auch dann nicht ohne weiteres möglich, wenn ein gesetzlicher Betreuer bestimmt wird. Am Ende entscheidet das Gericht nach psychiatrischer Gutachtung, ob der Betroffene noch über einen freien Willen verfügt. Im Fall des Rasmane K. hat ein nach dem Tod von der Staatsanwaltschaft eingeholtes Gutachten dies verneint.

Die Opposition wirft Justizminister Rainer Stickelberger (SPD) vor, die Aufsicht des Ministeriums habe versagt. Nur so habe es etwa zur rechtswidrigen Anordnung von Einzelhaft kommen können. Der Minister, der vor Weihnachten im Landtag einen Rücktrittsantrag der Opposition überstand, wird sich an diesem Donnerstag im Ständigen Ausschuss des Landtags erneut rechtfertigen müssen.