Todesfall Werner Nachmann Ein Detektiv wird zur Schlüsselfigur

Mann für schwierige Fälle: der Frankfurter Wirtschaftsdetektiv Klaus-Dieter Matschke Foto: StZ

Ist der Vorsitzende des Zentralrats der Juden, Werner Nachmann, 1988 vergiftet worden? Seit Monaten prüft die Staatsanwaltschaft Karlsruhe neue Hinweise darauf. Bei der Aufklärung spielt ein Wirtschaftsdetektiv eine zentrale Rolle.

Titelteam Stuttgarter Zeitung: Andreas Müller (mül)

Stuttgart - Der Sprecher der Staatsanwaltschaft Karlsruhe hat es nicht leicht in diesen Tagen. Immer wieder wird er gefragt, wie weit im Fall des früheren Vorsitzenden des Zentralrats der Juden in Deutschland, Werner Nachmann, die Prüfung der Todesumstände gediehen sei. Selbst in Israel, wo die Finanzaffäre um Nachmann 1988 hohe Wellen geschlagen hatte, wird das Ergebnis mit Spannung erwartet: Die Zeitung „Haaretz“ berichtete dieser Tage ausführlich über die durch Recherchen unserer Zeitung zutage geförderten Hinweise, dass Nachmann vor 30 Jahren nicht, wie es offiziell hieß, an akutem Herzversagen, sondern an einer Vergiftung gestorben sein könnte. Doch der Justizsprecher kann nur wenig sagen. Wichtig ist ihm vor allem, dass es sich bislang erst um „Vorerhebungen“ handele und noch nicht um offizielle Ermittlungen wegen des Verdachts auf Mordes.

 

Untätig war die Staatsanwaltschaft freilich nicht, seit sie im Juli von den Aussagen einer Vertrauten Nachmanns erfahren hatte: Mehrfach habe er in der Zeit vor seinem Tod die Sorge geäußert, vergiftet zu werden – auch von wem und wie. Die Ermittler werten die alten Akten aus den Jahren 1988/89 aus, als im Zusammenhang mit dem Untreue-Verdacht gegen Nachmann nach Mitwissern gefahndet wurde. Sie suchten nach seiner einstigen Vertrauten und Geschäftspartnerin Brunhilde H., die indes voriges Jahr hochbetagt verstorben sein soll. Sie ließen diese Woche den Frankfurter Wirtschaftsdetektiv Klaus-Dieter Matschke vernehmen, der Brunhilde H.s Aussagen einst protokolliert hatte; mehr als zwei Stunden lang befragten ihn die Kripobeamten. Und sie lassen parallel prüfen, ob sich Gift bei einer Exhumierung noch nach so langer Zeit nachweisen ließe. Das sei durchaus möglich, meinen Rechtsmediziner.

Zentralrat begrüßt „jeden Schritt zur Aufklärung“

Ermuntert fühlen kann sich die Staatsanwaltschaft durch den Zentralrat der Juden. Dessen aktueller Präsident Josef Schuster begrüßte „jeden Schritt, der zur Aufklärung des Falles beitragen könnte“. Bei den Todesumständen 1988 sei wohl „einiges im Dunkeln geblieben“, sagt der auch als Notarzt tätige Würzburger Mediziner. An der Aufklärung habe die jüdische Gemeinschaft in Deutschland „ein großes Interesse“. Der Zentralrat selbst könne dazu leider nichts beitragen, hatte eine Sprecherin schon vor Monaten mitgeteilt: Es gebe keinerlei Unterlagen mehr zu dem Fall und auch keine (einstigen) Mitarbeiter mehr, die etwas darüber wüssten.

Fast wortgleich äußerte sich jetzt auch die Jewish Claims Conference mit Sitz in New York. Sie verfügte einst über jene 400 Millionen Mark, die die Bundesrepublik 1981 als „Abschlussgeste“ für die letzten jüdischen Naziopfer zur Verfügung stellte. Mit der Verteilung betraute sie den Zentralratschef Nachmann, der Zinsen von etwa 30 Millionen Mark veruntreut haben soll. Leider seien nach so langer Zeit „weder Unterlagen . . . noch Mitarbeiter/-innen vorhanden“, die Aufschluss über die Vorgänge geben könnten, sagt eine Sprecherin. Der langjährige, hochverdiente Geschäftsführer der Claims Conference, Saul Kagan, sei 2013 verstorben; er galt als guter Freund der Familie Nachmann.

Keine Eingeweihten mehr? Von wegen!

Die Auskunft des Zentralrats, es gebe keine Eingeweihten mehr, stieß in Hannover und Frankfurt am Main auf gelinde Verwunderung. Dort residieren zwei Rechtsanwälte, die sich noch ziemlich gut an die Wirren vor dreißig Jahren erinnern. Michael Fürst als Vizepräsident des Zentralrats und Hermann Alter als Direktoriumsmitglied, beide heute Ende sechzig, waren damals treibende Kräfte bei der Aufarbeitung der Finanzaffäre. Der Nachmann-Nachfolger Heinz Galinski habe die Unregelmäßigkeiten zunächst „unter der Decke“ halten wollen, sagt Alter. Erst auf Drängen der beiden sei er dann doch in die Offensive gegangen – und präsentierte sich der Öffentlichkeit als oberster Aufklärer. Fürst war es nach eigenen Angaben auch, der den ihm bekannten Wirtschaftsdetektiv Matschke beauftragte, nach den verschwundenen Millionen zu suchen. Inzwischen hat er sich beim Zentralrat und der Staatsanwaltschaft gemeldet. Irgendwo müsse es auch noch Unterlagen geben, meint der einstige Vize – vielleicht im Nachlass Galinskis.

Die Erinnerung der beiden an die Todesumstände gehen indes auseinander. Laut Fürst waren damals schon bald Gerüchte aufgekommen, Nachmann sei durch Dritte vergiftet worden. „Das war für uns nicht werthaltig“, sagt er. Wie viele Kollegen sei er davon ausgegangen, dass sich der 62-Jährige angesichts der drohenden Aufdeckung der Unregelmäßigkeiten das Leben genommen habe. Eben noch auf Augenhöhe mit den obersten Repräsentanten des Staates, dann womöglich in Haft – das sei für ihn eine ausweglose Lage gewesen. Alter hingegen berichtet, auf ihn habe Nachmann krank gewirkt – nicht erst kurz vor seinem Tod, als andere ihn als „wandelnde Leiche“ schilderten, sondern schon Monate zuvor. Nachmanns Sohn Marc wiederum, damals 17, hatte einst bei der Staatsanwaltschaft ausgesagt, ihm sei nicht wirklich bewusst gewesen, dass sein Vater schon länger schwer krank gewesen sein solle. Weder er, inzwischen als Spitzenbanker für die US-Bank Goldman Sachs in London tätig, noch seine Mutter Aviva, die 74-jährig in New York leben soll, haben sich bisher zur neuen Prüfung der Todesumstände geäußert.

Ermittler mit einem Ruf wie Donnerhall

Zur Schlüsselfigur bei der Aufklärung wird so der Wirtschaftsdetektiv Matschke, heute 69. Der Kriminaloberrat a. D., einst beim Bundesnachrichtendienst und später beim Verfassungsschutz tätig, hatte schon damals einen Ruf wie Donnerhall. Er galt als Mann für schwierige Fälle, in denen andere nicht weiterkamen – auch wegen seiner manchmal unorthodoxen Methoden. In seinem KDM Ermittlungsbüro für Industrie und Wirtschaft (heute: KDM Sicherheitsconsulting) versammelte er hochkarätige Experten um sich: einstige Geheimdienstleute, Zoll- und Steuerfahnder oder Ex-Kriminalisten. Immer wieder gelangen ihm und seinem Team spektakuläre Erfolge. So enttarnte er 1988 einen einstigen SS-Mann, der jahrelang als angeblicher Jude in Südamerika lebte. Aus dem bizarren Fall wurde später sogar ein Film („Wagners Geständnis“), auch die Zentralstelle für Naziverbrechen in Ludwigsburg war damals eingeschaltet.

Matschke spielte auch eine zentrale Rolle, als vor gut zwanzig Jahren der Computerkonzern Hewlett-Packard in Böblingen Ziel eines spektakulären Diebstahls wurde: Zeitarbeiter ließen damals Mikrochips im Wert von zig Millionen Mark einfach mitgehen. Nach anderthalb Jahren Arbeit hatte KDM den Fall gelöst. Hinter Matschke stehe „das geballte Geheimdienstwissen der Bundesrepublik“, wurde ihm einst in einem Buch bescheinigt. Und ein Vizepräsident des Europaparlaments dankte ihm für seinen „wertvollen Beitrag“ zur Aufklärung der Echelon-Affäre um ein weltweites Spionagenetzwerk.

Im Auftrag des Zentralrats sollte Matschke nach den verschwundenen Millionen fahnden. Mit mehreren seiner Spezialisten befragte er Beteiligte, durchforstete Dutzende von Aktenordnern, sichtete die Kalender Nachmanns und reiste sogar nach Israel, um einen angeblichen Geldfluss zu überprüfen. Über seinen Erfolg gehen die Darstellungen auseinander. Er habe damals eine heiße Spur in die USA gefunden und im Umfeld einer bestimmten Person „konzentrierte Ermittlungen“ empfohlen, sagt Matschke. Doch der Zentralratschef Galinski habe ihn jäh gestoppt, an dessen „Wutanfall“ erinnere er sich bis heute. Auch die Jewish Claims Conference habe sich Nachforschungen in den USA strikt verbeten; dazu sei der Geschäftsführer Kagan eigens zu ihm nach Frankfurt gereist. Heute hegt der Detektiv daher den Verdacht, seine Beauftragung habe nur „als Alibi“ gedient. Der Ex-Zentralratsvize Fürst hingegen sagt, Matschke habe damals keine belegbaren Spuren des Geldes gefunden, sondern nur „vage Vermutungen“ geäußert. Man habe daher im Direktorium entschieden, seinen Auftrag nicht zu verlängern. Dabei hätten auch die Kosten im mittleren fünfstelligen Bereich eine Rolle gespielt – vielleicht 0,2 Prozent der vermissten Millionen.

Alles an den Zentralrat weitergeleitet

Auch die Aussagen der Nachmann-Vertrauten H., sagt Matschke, habe er wie alles an den Zentralrat weitergeleitet. Von dort gelangten die Protokolle indes nie an die Staatsanwaltschaft – warum auch immer. Die Baden-Badener Geschäftsfrau berichtete nicht nur von der möglichen Vergiftung, sondern auch von einer angeblichen Erpressung Nachmanns; dabei habe angeblich auch der israelische Geheimdienst Mossad eine Rolle gespielt. Im gleichen Zusammenhang sah sie die – nie aufgeklärten – Brandstiftungen in Nachmanns Firmen. H. selbst fühlte sich später durch Anrufe bedroht, eine Fangleitung wurde eingerichtet, sie erhielt zeitweise Polizeischutz. Akten darüber sind im Landesarchiv nicht oder nicht mehr vorhanden.

Überhaupt spielte die Frau bei den Ermittlungen offenbar fast keine Rolle. Das ist schon deshalb erstaunlich, weil über ihre drei Boutiquen (Yvonnes Moden) mehrere der gesuchten Millionen geflossen sein sollen. Matschke und seine kriminalistisch versierten Ermittler stuften Brunhilde H. damals als glaubhaft ein. Ihre Angaben seien „durchaus plausibel“, heißt es in einem KDM-Vermerk, sie mache „keineswegs etwa einen hysterischen oder ängstlichen Eindruck, sondern ist aufgeweckt, offen und vertrauenswürdig“. Ihr Fazit: Es erscheine „durchaus denkbar“, dass Nachmann erpresst und später schleichend vergiftet wurde.

Manches spricht also für einen Zusammenhang zwischen den Todesumständen und den verschwundenen Millionen. Doch die Staatsanwaltschaft könnte alleine wegen Mordes ermitteln; alles andere wäre längst verjährt. Auch eine Prognose, wann mit einer Entscheidung zu rechnen sei, ist dem einsilbigen Behördensprecher nicht zu entlocken. In diesem Jahr, tippen Justiz-Insider, falle sie wohl nicht mehr.

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