In Stille setzen die Teilnehmer des Trauermarschs in Offenburg ein Zeichen gegen die Instrumentalisierung der Tat, derer ein Mann aus Somalia verdächtigt wird.

Baden-Württemberg: Heinz Siebold (sie)

Offenburg -

 

Einige Hundert Menschen haben am Mittwochabend in Offenburg (Ortenaukreis) mit einem stillen Trauermarsch Abschied von dem am 16. August in seiner Praxis ermordeten Arzt genommen. Der 51-jährige Allgemeinmediziner war in seiner Praxis während der Arbeit angegriffen und mit einem Messer erstochen worden. Als Tatverdächtiger wurde ein 26 Jahre alter Flüchtling aus Somalia festgenommen. Das Tatmotiv ist unklar, der mutmaßliche Täter schweigt.

Die Aenne-Burda-Allee ist keine große Prachtstraße, eher ein Alleechen. Die kleine Wohnstraße mit ihren Akazienbäumen gehört zu einem schmucken neuen Wohnviertel im Offenburger Osten, wo früher Kasernen und Wohnungen der französischen Streitkräfte lagen. An der Kreuzung zur Heinrich-Heine-Straße mit der Amalie-Struve-Straße – Amalie Struve war die Frau des 1848er Revolutionärs Gustav Struve, dessen Namen die AfD für ihre Stiftung okkupiert – liegt die verwaiste Praxis des Ermordeten. Am Eingang türmen sich die Blumen und Beileidsbriefe für den beliebten Hausarzt. Seine Nachbarn und viele Menschen erwarten den Trauerzug, der eine Dreiviertelstunde zuvor von der Lise-Meitner-Straße losgezogen ist, an der Spitze gut hundert schwarzafrikanische Asylbewerber mit weißen Rosen in den Händen. Sie wohnen in der Flüchtlingsunterkunft in der Lise-Meitner-Straße, benannt nach der berühmten Kernphysikerin, die wegen ihrer jüdischen Abstammung von den Nazis aus Universität und Heimatland vertrieben wurde.

Schweigend ziehen die Menschen durch die Stadt

Schweigend ziehen dunkelhäutige und weiße Menschen, viele schwarz gekleidet, viele mit Blumen in der Hand, bei 36 Grad Hitze über heißes Pflaster, durch die Innenstadt bis in die Aenne-Burda-Alle, viele Offenburger schließen sich an, am Tatort warten weitere rund 200 Menschen. Die Polizei hat 300 marschierende Trauernde gezählt, der Zug wird von Privatleuten und der örtlichen Flüchtlingshilfe organisiert, Reden werden keine gehalten.

In Gruppen treten die Menschen vor und legen vor der Praxis ihre Blumen ab. Zunächst die Afrikaner. Danach gehen sie ein paar Schritte um die Ecke und sammeln sich dort, wie eine geschlagene Kompanie, mitten in der gleißenden Sonne. Es sieht fast so aus, als wollten sie sagen: Wir sind das gewohnt. „Es ist sehr schwierig jetzt für uns“, sagt Suleyman (24) aus Gambia. Er und seine Freunde seien traurig und entsetzt. Die meisten von ihnen kannten den Arzt, der viele Patienten aus der Flüchtlingsunterkunft hatte und selbst in der Flüchtlingshilfe aktiv war.

„He was a really good man, a very good doctor, a friend“, sagt Suleyman, ins Englische wechselnd. Keiner von ihnen könne sich erklären, warum dieser allseits beliebte Mann so brutal ermordet wurde. Niemand weiß das zur Zeit und niemand versteht es. „Psychische Probleme“ habe der festgenommen Somalier gehabt, erzählt man sich in der Flüchtlingsunterkunft. Und ein Messer habe er gehabt. Die Somalier unter den Flüchtlingen hätten bemerkt, dass ihr Landsmann immer seltsamer, verschlossener, abweisender wurde. Mit niemandem habe er mehr gesprochen, keinen Deutschunterricht genommen, nur herumgesessen.

Die Flüchtlinge stehen alleine – bedrückt und verängstigt

Bedrückt und verängstigt stehen sie da, alle Blicke sind auf sie gerichtet. Kaum jemand tritt zu ihnen, sie stehen alleine. Sie fürchten sich, denn die Hetze von rechts außen überschlägt sich. „Die Mehrheit der Offenburger bleibt besonnen und kann diese grausame Tat einordnen, ohne Flüchtlinge pauschal zu verdächtigen“, davon ist der Gemeinderat Stefan Böhm von den Grünen überzeugt. Viele haben zur Besonnenheit gemahnt – Politiker, Kirchen, Kulturschaffende.

Doch die AfD und ihre Sympathisanten lassen auf den digitalen Kanälen alle Hemmungen fallen und machen Bundes- und Landesregierung und die Offenburger Oberbürgermeisterin Edith Schreiner (CDU) für die Tat verantwortlich. Um den getöteten Arzt geht es ihnen nicht. Politiker der Grünen erhielten eine anonyme Hassmail mit dem Wunsch, „dass das nächste Messer in einem von euch unmenschlichem Dreck steckt!“.

Der stille Trauermarsch durch die Stadt ist unausgesprochen wohl auch wegen der von außen gesteuerten rechten Inszenierungen angesetzt worden. „Es geht uns darum, in aller Stille und fernab aller politischen Ziele unsere Solidarität mit dem Opfer und seinen Angehörigen zu zeigen“, sagt Heribert Schramm von der Flüchtlingshilfe Rebland, der den Marsch mit anderen organisiert hat. „Wir wollen unsere Trauer und unser Mitgefühl ausdrücken und auch den Geflüchteten einen Raum dafür geben, viele von ihnen waren ja Patient bei ihm“, ergänzt der Mitorganisator Philipp Bürken.

Für viele Flüchtlinge war er der beliebteste Arzt

„Ich möchte ein Zeichen gegen die unsägliche Instrumentalisierung des Mordes setzen“, sagt ein Arzt aus dem Offenburger Klinikum. Viele Mediziner sind am Mittwochabend zur Aenne-Burda-Allee gekommen. Eine Nachbarin, selber Ärztin, spielt auf ihrem Cello die Begleitmusik, während die Menschen ihre Blumen vor der Praxis ablegen und sich die Tränen aus dem Gesicht wischen. Ein Arzt aus einem Nachbarort ringt um Fassung. „Ich habe den Kollegen nicht persönlich gekannt“, sagt der Mediziner. „Aber er hat es gemacht wie ich, er hat alle Menschen ohne Ansehen der Person behandelt.“ Der Ermordete sei, fügt eine frühere Patienten hinzu, „für viele Flüchtlinge der beliebteste Arzt gewesen“.

Die letzten Teilnehmer des Zuges legen jetzt ihre Blumen nieder. Die Cellistin spielt eine Melodie, die viele kennen, und eine Nachbarin tritt auf die Kreuzung und stimmt das Lied an: „We shall overcome.“ Die Menschen fassen sich an den Händen, dann gehen sie schweigend auseinander, der Zug der Afrikaner wird von der Polizei zurück in die Flüchtlingsunterkunft geleitet.