Eine Frau in Großbritannien ist an dem Nervengift Nowitschok gestorben. Waren es die Russen? Noch ist die Herkunft unklar. Doch es gibt weitere gefährliche Stoffe.

Stuttgart - Eine 44-jährige Frau ist im englischen Amesbury durch eine Vergiftung mit dem Kampfstoff Nowitschok gestorben. Ihr ebenfalls vergifteter 45 Jahre alter Lebenspartner ist inzwischen auf dem Weg der Besserung. Noch ist unklar, wie das Paar mit dem höchst seltenen Nervengift in Kontakt kam. Allgemein vermutet wird, dass die beiden einen Behälter angefasst haben, der mit dem Gift kontaminiert war. Auffallend ist, dass im März der ehemalige russische Doppelagent Sergej Skripal und seine Tochter Julia mit Nowitschok vergiftet wurden. Beide überlebten und sind jetzt an einem unbekannten Ort.

 

Was aber macht Nowitschok so gefährlich? Der Kampfstoff ist in den 1970er und 1980er Jahren in der damaligen Sowjetunion entwickelt worden. „Neuling“, so die Übersetzung des Giftnamens, gilt als einer der tödlichsten Kampfstoffe, die je von Menschen geschaffen wurden. Es heißt, dass die Russen mit diesem Gift das internationale Chemiewaffen-Abkommen umgehen wollten.

Nowitschok soll schon in der Menge eines Salzkorns tödlich wirken

Wenn eine entsprechende Dosis Nowitschok eingeatmet wird, entfaltet es seine tödliche Wirkung innerhalb von Sekunden oder Minuten. Wird es über die Haut aufgenommen, dauert es länger – und je nach aufgenommener Giftmenge gibt es Überlebenschancen. Allerdings soll bereits die Menge eines Salzkorns auf der Haut tödlich wirken. Selbst wenn man die Giftattacke übersteht, ist die Gefahr von Spätwirkungen im Körper groß. Es heißt, dass es wochenlang starke Schmerzen verursacht.

Nowitschok bewirkt wie auch andere Nervengifte – dazu gehören Sarin und VX –, dass die Übertragung von Informationssignalen zwischen den Nerven- und Muskelzellen unterbrochen wird. Zielort des Gifts ist der chemische Überträgerstoff Acetylcholin: Er kann nicht mehr abgebaut werden und reichert sich in dem engen Spalt zwischen zwei Nerven oder zwischen Nerv und Muskulatur an. Die nachgeschaltete Zelle ist dauernd aktiv und kann ihre Aufgabe nicht mehr erfüllen. Neben heftigen Krämpfen zählt zu den lebensbedrohlichen Folgen, dass Atemmuskulatur und Herzmuskel gelähmt werden.

Nowitschok lässt sich als sogenannte binäre Waffe anwenden. Das funktioniert ähnlich wie ein Zweikomponentenkleber: Zwei viel weniger starke Gifte werden getrennt transportiert und am Einsatzort zusammengemischt – um erst dann ihre tödliche Wirkung zu entfalten. Chemiker weisen darauf hin, dass die einzelnen Komponenten nicht auf der Liste verbotener Chemiewaffen auftauchen – und deshalb keinen Verdacht erregen.

Sarin – Tödliches Gas

Entwickelt wurde das Nervengas Sarin in Deutschland – und im Zweiten Weltkrieg zwar hergestellt, aber nicht angewendet. Es wirkt wie Nowitschok hemmend auf das Enzym, das den Überträgerstoff Acetylcholin abbaut: Akut tödlich sind Atemlähmung und Herzstillstand. Es lässt sich vergleichsweise einfach produzieren, weshalb es auch kleinere Staaten besitzen dürften. So haben Experten der Organisation für ein Verbot der Chemiewaffen bestätigt, dass etwa beim Angriff auf die syrische Stadt Chan Scheichun Sarin eingesetzt wurde. Traurige Berühmtheit erlangte auch 1995 der Sarin-Angriff in Tokios U-Bahn. Der dafür verantwortliche Sektenführer Shoko Asahara und sechs weitere Sektenmitglieder wurden dieser Tage hingerichtet.

VX- Übler Kampfstoff

Nach dem Zweiten Weltkrieg haben die Amerikaner ein Nervengift unter dem Codenamen VX entwickelt. Die Giftwirkung soll etwa dreimal so groß wie bei Sarin sein – aber noch erheblich unter der von Nowitschok liegen. Wie die beiden anderen Gifte hemmt die organische Phosphorverbindung den Abbau des Überträgerstoffs Achetylcholin. Mit dem Gift können beispielsweise große Gebiete praktisch unpassierbar gemacht werden. Berühmt wurde VX, weil damit Kim Jong-nam, der Halbbruder des nordkoreanischen Diktators Kim Jong-un, umgebracht worden sein soll. Möglicherweise wurde es dabei als binärer Kampfstoff eingesetzt – also vor Ort aus zwei wenig gefährlichen Bestandteilen zu dem tödlichen Gift zusammengemischt.

Rizin – Tückische Pflanze

Die Samen der Rizinusstaude – auch Wunderbaum genannt – und verwandter Rizinusarten enthalten ein hochgiftiges Eiweiß, das Rizin. In dem aus dem Samen gewonnenen Rizinusöl ist es nach Hitzebehandlung aber nicht mehr enthalten. Rizin wurde laut Chemielexikon 1962 als Atemgift-Kampfstoff patentiert. Bereits ein Milligramm soll tödlich wirken. Aufregung bereitete jüngst die Verhaftung des mutmaßlich tunesischen Islamisten Sief Allah H. in Köln, der in Eigenproduktion Rizin hergestellt und damit ein Attentat geplant haben soll. Berühmt wurde das Regenschirmattentat, bei dem 1978 ein bulgarischer Dissident in London von bulgarischen Geheimdienstagenten durch einen mit Rizin präparierten Schirm tödlich verletzt wurde.

Aflatoxine – Vorsicht Schimmel!

Auch Schimmelpilze bilden starke Gifte. So starben in den 1970er Jahren in Indien mehr als 100 Menschen, weil sie verschimmelten Mais gegessen hatten. Dieser enthielt pro Kilogramm bis zu 16 Milligramm Aflatoxine. Das ist mehr als das 1000-Fache der hierzulande erlaubten Höchstmenge. Noch schlimmer als die akute Toxizität ist allerdings die krebsauslösende Wirkung. So erhöht sich bei der Aufnahme von Aflatoxinen über einen längeren Zeitraum das Leberkrebsrisiko massiv. Bei der Umsetzung im Körper entstehen Verbindungen, die das Erbgut schädigen können. Erhöhte Aflatoxin-Gehalte werden vor allem in Nüssen und Trockenfrüchten gefunden. Auch Getreide kann bei zu feuchter Lagerung betroffen sein.

Dioxin – Seveso-Gift

Bei den Dioxinen handelt es sich um eine Gruppe chlorhaltiger organischer Verbindungen. Bekanntester Vertreter ist das Seveso-Gift 2,3,7,8-TCDD. In der italienischen Stadt Seveso erlitten 1976 durch einen Störfall in einer Chemiefabrik Zehntausende Menschen eine Dioxin-Vergiftung, die sich in Hautverätzungen sowie der sogenannten Chlorakne äußert. Zudem wurden in den Folgejahren erhöhte Krebsraten registriert. Dioxine entstehen als Nebenprodukte bei der Synthese organischer Chlorverbindungen sowie bei der Verbrennung chlorhaltiger Kunststoffe wie PVC. Dioxin-verseuchtes Futter führte 2010 zu einem Skandal um belastete Eier. Bei Analysen wurde aber in den meisten Fällen keine gesundheitsgefährdende Konzentration festgestellt.

Botulin – Bio-Supergift

Botulinumtoxin – kurz Botulin – ist das stärkste Gift, dass die Natur hervorgebracht hat. Ein Gramm würde genügen, um weit mehr als eine Million Menschen umzubringen. Das Supergift, das von Bakterien der Gattung Clostridium produziert wird, findet sich etwa in verdorbenem Fleisch und kann schwere Lebensmittelvergiftungen auslösen. Die Symptome reichen von Übelkeit bis zu Sehstörungen und Muskellähmungen. Botulin hemmt die Produktion des Botenstoffs Acetylcholin, der Reize zwischen Nervenzellen überträgt. In extrem niedrigen Dosierungen wird es auch als Anti-Faltenmittel eingesetzt. Zudem werden mit Botulin neurologische Erkrankungen wie der Lidkrampf behandelt, die mit überaktiven Muskeln einhergehen.