Ein Raserunfall im März an der Stuttgarter Rosensteinstraße könnte zu einer Mordanklage führen. Laut einem Gutachter hatte der Verursacher das vorgeschriebene Tempo 50 um mehr als das Doppelte überschritten.

Lokales: Christine Bilger (ceb)

Stuttgart - Mit einer Geschwindigkeit von weit mehr als 100 Stundenkilometern soll der Verursacher des tödlichen Unfalls im März an der Rosensteinstraße unterwegs gewesen sein, als er die Kontrolle verlor. Das hat ein Gutachter, der den Unfall im Auftrag der Staatsanwaltschaft untersuchte, herausgefunden. Der 20-jährige Fahrer schleuderte gegen einen Kleinwagen, in dem zwei Menschen beim Aufprall starben. Aufgrund der extrem hohen Geschwindigkeit ermittelt die Staatsanwaltschaft Stuttgart nun wegen Mordes. Wenn es auch zu einer entsprechenden Anklage käme, wäre das der erste Mordprozess gegen einen Raser in Baden-Württemberg. Bis zur Anklageerhebung werde weiterhin ermittelt. Es stehe daher noch nicht fest, ob diese auch auf Mord lauten werde, sagt Heiner Römhild, der Sprecher der Staatsanwaltschaft Stuttgart.

 

Der 20-jährige Unfallverursacher sitzt seit jener Nacht in der ersten Märzwoche in Haft. Er hatte das Unfallauto, einen Jaguar F-Type R mit 550 PS, bei einem Verleih in Nürtingen gemietet. Wo der Stuttgarter am Abend des 6. März, bevor der Unfall gegen Mitternacht geschah, sonst noch unterwegs gewesen ist, ist nicht bekannt. Er fuhr auf der Rosensteinstraße stadteinwärts. Der Unfall geschah an der Ausfahrt eines Parkhauses des Ufa-Kinos dort. Ein junges Paar fuhr aus dem Parkhaus und stand mit seinem Kleinwagen noch in der Ausfahrt. Der Jaguar-Fahrer verlor die Kontrolle über den PS-starken Wagen und schleuderte in den kleinen Citroën des 25-jährigen Fahrers und seiner 22 Jahre alten Beifahrerin.

Ausweichmanöver kurz vor dem tödlichen Zusammenstoß

Die Gutachter haben auch beschrieben, warum der Mann ins Schleudern geriet. Er sei kurz vor dem Unfall einem anderen Auto ausgewichen, dessen Fahrer abbiegen wollte. Jener Autofahrer habe sich nach den Erkenntnissen der Ermittler völlig regelkonform verhalten, so Römhild. Ob er zu den Zeugen zählt, deren Aussagen in die Ermittlungen eingehen und die auch der Gutachter berücksichtigte, dazu äußere sich die Staatsanwaltschaft bis zur Anklageerhebung nicht. Neben Zeugenaussagen bezog der Gutachter auch die Spuren am Unfallort und die aus dem Bordcomputer des Jaguar ausgelesenen Daten mit ein. Die genaue Geschwindigkeit will die Staatsanwaltschaft vor der Anklageerhebung nicht kommunizieren. Der Fahrer habe die vorgeschriebene Geschwindigkeit von 50 Kilometern pro Stunde „um mehr als das Doppelte“ überschritten, teilt Heiner Römhild mit.

Die Mordermittlungen begründet die Staatsanwaltschaft damit, dass bei einer solchen Geschwindigkeit weit über 100 Stundenkilometern einem Autofahrer, „der an Wohnungen und Parkplätzen vorbeifährt, wo Menschen unterwegs sein können“, bewusst sein müsse, dass er das Leben anderer Verkehrsteilnehmer gefährden könne. Wenn er das „billigend in Kauf nehme“, so sei von einem bedingten Tötungsvorsatz auszugehen – und damit sei aus Sicht der Ermittler ein Mordmerkmal erfüllt. Der Haftbefehl gegen den 20-Jährigen war nach dem Unfall wegen fahrlässiger Tötung ergangen. Bereits kurz nach der Verhaftung hatten sich erste Hinweise ergeben, dass die erste Einschätzung der Polizei und des Gutachters aus der Unfallnacht zur Geschwindigkeit zu niedrig gegriffen war: Damals war von 80 bis 100 Kilometern pro Stunde die Rede gewesen. Als sich andeutete, dass der Fahrer sehr viel mehr als Tempo 100 auf dem Tacho gehabt hatte, nahm seine Rechtsanwältin ihren Antrag auf Haftprüfung zurück.

Die Polizei hat wenige Wochen nach dem Unfall nachts an der Straße eine Geschwindigkeitsüberwachung vorgenommen. In der Freitagnacht vom 5. auf den 6. April habe die Verkehrspolizei dort in der Zeit von 23 Uhr bis 0.30 Uhr eine Kontrollstelle eingerichtet gehabt. „Die Kollegen haben keine Verstöße festgestellt“, sagt die Polizeisprecherin Monika Ackermann. Anwohner hatten sich nach dem Unfall zu Wort gemeldet und berichtet, die Straße sei bei Rasern und Posern, die mit hochmotorisierten Autos Eindruck schinden wollen, beliebt. Die Fachleute bei der Polizei, die sich mit der Raser- und Angeberszene beschäftigen, teilen diese Einschätzung nicht. Dagegen spreche unter anderem, dass den – überwiegend – jungen Männern dort das Publikum fehle, um sich mit den teuren Schlitten zu präsentieren. Die Szene würde nach wie vor eher an der Friedrich-/Theodor-Heuss-Straße ihre Runden drehen, obwohl dort nun Blitzer stehen und für die Zeit nach 22 Uhr Tempo 30 verhängt wurde. Auch bei früheren Messungen der Stadt seien dort keine auffälligen Werte erhoben worden, hieß es kurz nach dem tödlichen Unfall vor zwei Monaten.