Kann man sich auch als Buchkenner im Film „Der Hobbit“ wohlfühlen? Der Klett-Lektor Stephan Askani, der Tolkiens Werk vor allem literarisch zu schätzen weiß, war zunächst skeptisch.
Stuttgart - Jeder kennt diesen Augenblick: die Lichter im Saal werden dunkler und erlöschen ganz. Der Vorhang zuckt, dann schwingt er weit auf, die Musik hebt an. Ein letztes Rascheln der Popcorntüten, und die Aufmerksamkeit der Kinobesucher gehört ganz dem Geschehen auf der Leinwand. Vermag ein Theaterstück, Konzert oder Film uns ganz in seinen Bann zu ziehen, dann wird die Frage, wie man’s findet, fast nebensächlich.
Um es vorweg zu sagen: „Der Hobbit – Eine unerwartete Reise“ ist richtig gelungen. Als Lektor, der von sich sagen darf, dass er Tolkiens Werk kennt und in erster Hinsicht literarisch zu schätzen weiß, war ich zunächst skeptisch. Zwar weicht der Film in einigen Sequenzen von der Buchvorlage „Der Hobbit“ ab und fügt sogar manches hinzu, wie zum Beispiel die ausgestaltete Figur Radagasts des Braunen, insgesamt jedoch ist er Tolkiens dichterischer Welt von Mittelerde treu geblieben, und gerade der kauzige Waldbewohner Radagast ist kein Fremdkörper. Er hätte Tolkien sicher gut gefallen. Anders vermutlich als die Umsetzung jener Szene, in der die Trolle als Zugabe zu ihrem fürchterlichen, aus Dreck und Rotz gekochten Eintopf gerne ein paar Zwerge gebraten hätten. Im Buch wird die Gefahr mit Humor gemeistert, im Film als eine der nicht wenigen Kampfszenen gezeigt.
Aber der Reihe nach: Martin Freeman als Bilbo Beutlin ist wohl seit Pierre Brice als Winnetou eine der gelungensten Rollenbesetzungen. Mit seinem jugendlichen Ausdruck – manchmal verschmitzt und oft ängstlich – und mit jeder Geste verkörpert er wunderbar den Hobbit, der gar kein Held sein will, der das Abenteuer scheut und eben darum erst zum Helden wird. Die Darbietung von Martin Freeman zeigt, dass das Filmteam nicht verlernt hat, was einen Hobbit zum Hobbit macht.
Bilbos Wohnhöhle – sagenhaft!
Gandalf wird gespielt von Sir Ian McKellen – uns schon bekannt in dieser Rolle seit der Verfilmung der Herr-der-Ringe-Trilogie. Er ist wieder der gütig-melancholische Zauberer vom Scheitel bis zur Sohle, oder besser gesagt: von der Hutspitze bis zum kleinsten Staubkorn am Ende seines knorrigen Stabes.
Von den Schlachten zwischen den Zwergen um Thorin Eichenschild und den schrecklichen Orks auf ihren Wargen schreibe ich hier nichts. Dem Kampfgetümmel steht aber stets die charmante Eigenart des Zwergentrupps und ihrer witzigen Dialoge gegenüber.
Warum vermag ein solcher Film den Kinobesucher fast drei Stunden lang zu fesseln? Ein Grund liegt in der fantastischen Szenenausstattung und der überwältigenden Landschaft Neuseelands. Tolkien ist nicht zuletzt der Erfinder ganz besonderer, oft rührend-gemütvoller Orte und unglaublich eindrücklicher, bedrohlicher Landschaften. Es zeichnet den Film aus, dass er genau diese Sinnlichkeit zu vermitteln vermag: Bilbos Wohnhöhle – sagenhaft! Wer würde da nicht gern einziehen? Die Wiesen, Wälder, Berge und Felsspalten: Atemberaubend!
In der vorletzten großen Episode des Auftaktfilms kommt es zum berühmten Rätselwettkampf zwischen Gollum und Bilbo. Es kann nicht anders sein, als dass Gollum, gespielt von Andy Serkis, erneut zum Publikumsliebling werden wird. Auf diese Szene war ich besonders gespannt. Ihr Geheimnis beruht, da es ja um Rätselraten geht, vor allem auf Sprachwitz. Auch auf der Leinwand wird das zu einem der großen Höhepunkte. Tolkiens Idee, dass sich einer mit der Frage „Was hab ich da in meiner Tasche?“ aus einer lebensge- fährlichen Lage befreien kann, ist und bleibt genial.
Jeder kennt diesen Augenblick. Die Lichter im Saal gehen wieder an, der Vorhang bewegt sich und schwingt zu. Die ersten der Besucher stehen auf und gehen hinaus in die Dunkelheit des Dezemberabends. Und sie nehmen ein Stück des Glanzes von Mittelerde und einer unvergesslichen Geschichte mit, erdacht und aufgeschrieben von J. R. R. Tolkien. Das wird sich wohl niemand entgehen lassen.