Die Tolkien-Freunde sind gut organisiert. Manche suchen Spaß, manche akademischen Ernst. Thomas Klingenmaier über die Tolkien-Gesellschaft und das „Herr-der-Ringe“-Forum.

Stuttgart - Wie tief ist der stille See wohl? Und gibt’s da Krokodile? Solche Fragen mussten sich die Finanziers von Peter Jacksons Tolkien-Verfilmung Mitte der Neunziger stellen. Denn Tolkiens Fantasywälzer „Der Herr der Ringe“ – ein das Konzentrationsvermögen eines Filmproduzenten um das circa Zehntausendfache übersteigendes Werk – hatte sich zwar über Jahrzehnte hinweg gut verkauft, aber man hörte nichts mehr von diesen Lesern. Würden sie ins Kino gehen? Waren sie am Ende buchstabentreue Fanatiker, die beim ersten Vorabfoto eines Zwergs, der einen Bartkräusel zu wenig aufwies, Hasstiraden im Netz posten würden?

 

So mulmig den Finanziers gewesen sein mag, der Regisseur Peter Jackson vertraute auf die Gemeinde der Tolkien-Leser. Er behielt recht. Gerade die Fanaktivitäten im deutschsprachigen Raum wurden ein Musterbeispiel für virales Marketing.

Hie die Tolkien-Gesellschaft, da das Forum von Cirdan

Die ersten Nachrichten aus Hollywood machten einige Leute hellwach. Zu ihnen gehörte der Tolkien-Verehrer Marcel Bülles, Jahrgang 1972, der in Köln und Aberdeen Anglistik und Angloamerikanische Geschichte studiert hatte. Bülles wurmte, dass Tolkien in Deutschland vom Literatur-Establishment nicht als großer Autor des 20. Jahrhunderts eingeschätzt wurde. Bülles träumte von einer akademischen Gilde zur Tolkien-Erschließung nach angelsächsischem Vorbild. 1997 gründete er schließlich die Deutsche Tolkien-Gesellschaft, wohl auch, weil er fürchtete, irgendein verkitschtes Gartenzwerg- und Sabbermonsterspektakel aus Hollywood könnte Tolkiens Ruf endgültig ruinieren.

Etwa zur selben Zeit merkte Stefan Servos, Fachjournalismusstudent aus Sankt Augustin, dass ihm aus Vorfreude auf den Tolkien-Film der Magen hüpfte. Er begann, alle erreichbaren Informationen zu sammeln und registrierte 1998 die Domain herr-der-ringe-Film.de, um zu teilen, was er herausfand. Drei Jahre später hatte Cirdan, wie Servos sich im Netz nach einer Tolkien-Figur nannte, eine der bestbesuchten Informationsplattformen im deutschen Internet. Mehr als zwei Millionen Seitenaufrufe kamen monatlich zusammen.Auf Cirdans Homepage wurde bald über alles Mögliche diskutiert, über Autos, Haustiere und Fernsehsendungen. Weil es schlicht das witzig-lebhafteste Forum im deutschen Netz war, strömten immer mehr Kontaktsuchende dorthin. Auch solche, die nicht ganztags in Hobbitpelzfuß-Hausschuhen herumliefen oder die DVDs der Filme auswendig mitsprechen konnten, in allen Synchronsprachen.

Tolkien-Forum: Tand und Frevel oder Heimat?

Hardcore-Tolkienisten hielten die manchmal sehr im Hier und Heute verankerten Plaudereien für eitel Tand und dummen Frevel. Lässiger Denkende hielten sie eher für ein Zeichen der fortdauernden Potenz des J. R. R. Tolkien. Der Mann hatte eine Fantasiewelt geschaffen, in der Lesende eine zweite Heimat fanden. Aber aus dieser virtuellen Welt heraus formten sich nun wieder reale Gemeinschaften, die das Interesse an Mittelerde hierarchielos mit anderen Interessen mischten.

Die Deutsche Tolkien-Gesellschaft bietet Veranstaltungen an, bei denen es viel um Aspekte des Werks und nebenbei auch um Gemeinschaftsbildung geht. Cirdan schwebten ganz andere Treffen vor, mit Wein, Elb und Merchandising. Marcel Bülles war schlau genug zu wissen, dass man neue Tolkien-Fans nicht unbedingt mit wissenschaftlichen Publikationen gewinnt. Dass auch eine Kostümparty hilfreich sein kann. Also entstand aus der Zusammenarbeit von Filmfans, Tolkienisten und schlicht Eventbegeisterten die seit 2002 jährlich in Bonn in einem Hotel abgehaltene Ring.Con, ein Fantasy-Wunderpark mit Filmstars und Autoren, Signierstunden und Gewandungswettbewerben, mit Metverkostungen und manchmal sogar mit Sex auf dem Hotelzimmer zwischen Menschen, die dabei ihre angeklebten Elbenohren nicht abnehmen.

Je näher der Filmstart rückt, desto reger wird es im Netz

Die lange Zeit seit dem Kinoabschluss des „Herrn der Ringe“ im Jahr 2003 hat auch den Trubel auf Cirdans Seite erlahmen lassen. Allerdings existieren noch immer Stammtische im realen Leben, geschlossene Freundschaften haben Bestand, und Paare, die sich online oder bei Fantreffen kennenlernten, haben in der Zwischenzeit eigene Kinder nach Mittelerde gelockt. Das Netzleben dürfte wieder reger werden, je näher der „Hobbit“-Start im Dezember rückt. Die Deutsche Tolkien-Gesellschaft steht dann parat, jene zu betreuen, die Tolkiens Sprachen lernen oder seine komplexen Familienstammbäume erschließen möchten. Manche Bücher kann man eben auch als Lebensaufgabe sehen.