Von Männern verraten, von Frauen im Stich gelassen: Tilde, eine Frau in den besten Jahren, ist dem Wahnsinn nahe. „Ohne jeden Zweifel“, so Tom Rob Smith’ Buchtitel, wurde ihr übel mitgespielt. Aber was ist Lüge, was ist Wahrheit? Smith erzählt ihre Geschichte geradlinig und auf eine überraschende Pointe zu.

Lokales: Hans Jörg Wangner (hwe)

Stuttgart - Tilde ist eine Frau in den besten Jahren. Sie lebt mit ihrem Mann Chris, einem Engländer, auf einem Hof in ihrem Geburtsland Schweden. Der erwachsene Sohn Daniel arbeitet als Landschaftsgärtner in London. Auch wenn die räumliche Entfernung groß ist, verkörpern die drei scheinbar eine in sich geschlossene, vertrauensvolle Familie. „Ohne jeden Zweifel“, so der Titel von Tom Rob Smith’ neuestem Buch, könnte man das als ein Idyll bezeichnen.

 

Doch von Anfang an lässt Smith nicht den geringsten Zweifel daran, dass da etwas nicht stimmt. Lügen der Kategorie „ich hab’s ja nur gut gemeint“ tauchen auf, sobald man nur ein bisschen an der Oberfläche kratzt. Chris und Tilde haben ihre Londoner Gärtnerei keineswegs verkauft, um einen sorgenfreien Ruhestand in Schweden zu verbringen – die blanke wirtschaftliche Not hat sie zu diesem Schritt gezwungen. Und Daniel ist keineswegs der erfolgreiche Gärtner, als der er sich seinen Eltern präsentiert. Schlimmer noch: er lebt mit einem Mann zusammen.

Håkon, der böse Nachbar

So werden längst fällige Familientreffen immer wieder verschoben – womit beide Seiten aus Angst vor der Enttarnung gut leben können. Die Wende kommt erst, als Chris von seinem Vater erfährt, dass Tilde immer seltsamer geworden sei und sogar für kurze Zeit in der geschlossenen Psychiatrie war. Um diese Zeit herum ist Tilde schon auf dem Weg nach London. Im Gepäck hat sie Beweise für kriminelle Machenschaften: der böse Nachbar Håkon, ein reicher, selbstgerechter Bauer, soll gemeinsam mit seinen Helfershelfern aus Lokalpolitik, Polizei und Medizin tief in Menschenhandel verstrickt sein.

Tildes Vorwurf: die Bande betreibe illegale Adoptionen, um minderjährige Mädchen aus dem Ausland einer schmierigen Clique von Männern zuzuführen. Aber Tilde steht mit ihrem Verdacht alleine da. Håkons Frau hält in still leidender Loyalität zu ihrem Mann, die Vorbesitzerin ihres Hofes leidet an beginnender Demenz und Håkons farbige Adoptivtochter Mia, mit der sie sich angefreundet hat, verschwindet spurlos. Wurde sie ermordet? Zu allem Unglück schlägt sich auch Chris auf die Seite des finsteren Großbauern.

Ein hoffnungsloser Fall

Doch als Tilde ihrem Sohn minutiös die schwedischen Geschehnisse schildert, verrät auch der sie – wie sie auch schon von ihrem eigenen Vater verraten wurde. Tilde landet in der Psychiatrie, ein hoffnungsloser Fall.

Bitteres Familiengeheimnis

Erst als Daniel sich dazu durchringt, in Schweden die Wurzeln seiner Familie und damit die Ursachen für den Wahn seiner Mutter zu suchen, kommt er einem bitteren Familiengeheimnis auf die Spur.

Geschickt spielt Tom Rob Smith in seinem Thriller mit brüchigen Idyllen, gebrochenem Vertrauen und zerbrochenen Biografien. Schon früh ist vom gängigen Schwedenbild mit seinen weiten Landschaften, seinen freundlichen Menschen und seiner protestantischen Ethik nicht mehr viel übrig.

Immerhin: am Schluss sind die drängenden Fragen beantwortet– endlich ein Lichtblick für Tildes geschundene Seele.

Tom Rob Smith: „Ohne jeden Zweifel.“ (Originaltitel: The Farm). Roman, aus dem Englischen von Eva Kemper. Manhattan bei Goldmann, München. 384 Seiten, 19,99 Euro. Auch als E-Book, 15,99 Euro; als Audiobook, 19,99 Euro; oder als Hörbuch-Download, 19,50 Euro.