Mit der Matinee „American Voices“ ist das Tonart-Festival für zeitaktuelle Musik am Sonntag zu Ende gegangen.

Esslingen - Die Besucher waren gut beraten, etwas Appetit in die fast bis auf den letzten Platz besetzte Esslinger Villa Nagel mitzubringen. Dort ist das diesjährige Tonart-Festival mit einer akustisch-kulinarischen Matinee zu Ende gegangen. Allerdings vielleicht nicht unbedingt Appetit auf Brezeln oder die von der Avantgarde-Poetin Gertrude Stein ins Spiel gebrachten „Kuchen“, „Rhabarber“ und „Zucker“, aber doch Appetit auf Poesie und experimentelle Vokalmusik, virtuos dargeboten, kredenzt von dem Stuttgarter Ensemble Exvoco.

 

„A Scene in Singing: American Voices“ lautete der Titel der vielstimmigen Performance, die nicht nur dem Festival ein paar noch vermisste Mosaiksteinchen beifügte, sondern zugleich auch noch einmal an Ewald Liska, den im November überraschend gestorbenen Spiritus rector des Exvoca-Ensembles erinnern sollte. Wenngleich, wie Frank Wörner moderierend anführte, Dadaismus aktuell nicht mehr sonderlich nachgefragt wird, so führten zumindest Teile des Programms weit zurück in die klassische Moderne, als Gertrude Stein, die Amerikanerin im Pariser Exil, 1914 mit ihrem Sprachkunstwerk „Tender Buttons“ versuchte, der kubistischen Malerei eines Picasso oder Braque ein sprachliches Äquivalent zur Seite zu stellen.

Zwischen Sprache und Musik

Das Werk, durchaus mit stupenden Humor, neigt zur Hermetik, die faszinierend nachklingt. So fügt es sich gut zu John Cages „Vortrag über Nichts“, der die Veranstaltung in Auszügen eröffnete: „Wenn unter ihnen die sind, die irgendwo hingelangen möchten, sollen sie gehen, jederzeit.“ Wer nicht ging – und niemand ging –, konnte in der folgenden guten Stunde mit Christie Finn, Marta Herman, Angelika Meyer, Frank Wörner und Felix Behringer allerlei akustische, musikalische wie poetische Abenteuer erleben.

Zu Texten von Stein und Sylvia Plath gesellten sich Kompositionen Pascal Dusapains und Kaija Saariahos, die sich ihrerseits auf die vorgestellte Poesie bezogen. Auch Morton Feldman war mit von der Partie – und nachgereicht wurden die Kompositionen für Stimme und (Bass-)Klarinette von Nicholas DeMaison, die am Eröffnungsabend krankheitsbedingt entfallen waren. So schlossen sich Kreise in einem in besten Sinne multimedialen Festivalprogramm, das transatlantische Bezüge und Verstrebungen zwischen Amerika und der alten Welt, dem Populären und der Avantgarde, der Folklore und dem Broadway, zwischen Sprache und Musik, zwischen der Bildenden Kunst und dem bewegten Bild herausstellte, die mitunter allzu leicht übersehen oder in Krisenzeiten auch gerne einmal verdrängt werden.

Die Resonanz des Publikums ist positiv

„America“ ist eben mehr als dröhnende Selbstdarstellung, Rassismus und unvorteilhafte Frisuren. Inspiriert und ambitioniert ist das Festival-Programm geraten, gewiss, auch der in jeder Hinsicht vielschichtige »Sonntagskuchen« mit der Extraportion Plath lag manchem vielleicht etwas schwer im Magen. Aber die insgesamt zu beobachtende sehr positive und neugierig-aufgeschlossene Resonanz auf die ganz unterschiedlichen Angebote des Tonart-Festivals machte auch klar, dass das Publikums viel schwieriger zu überfordern ist als dies andernorts gerne, ängstlich und vorschnell behauptet wird.