Das britische Model Naomi Campbell ist seit 25 Jahren im Geschäft und macht weiterhin Schlagzeilen. Eine Frau mit Charakter eben.

Lokales: Matthias Ring (mri)
London - Fünfundzwanzig Jahre Berufsleben - so weit muss auch Otto Normalverdiener erst einmal kommen. Auf dem Laufsteg aber scheint dieser Weg schier unvorstellbar. Denn umgerechnet bedeutet dieses Vierteljahrhundert, sich 50 Saisons lang als Model zu behaupten, in einer atemlosen Branche, in der man doppelt so schnell alt aussieht, weil heute schon gleich wieder gestern ist. An Naomi Campbell aber scheint die Zeit spurlos vorübergegangen zu sein. Ausgerechnet an ihr, mit all den Eskapaden, den Drogen, den Schlägen, den Männern. Am 22. Mai wird sie 40 Jahre alt - erst, müsste man sagen, kein Alter eigentlich, aber für ein Supermodel ist das geradezu biblisch.

Mit 15 also ist sie 1985 beim Shoppen in Londons Covent Garden entdeckt worden und hat es mit ihren Maßen 86-58-86 schnell nach ganz oben geschafft. Und wenn uns nicht alles täuscht, ist nicht nur die Schuhgröße (40) relativ konstant geblieben. Ihre starken Schultern, schmalen Hüften, endlosen Beine jedenfalls passten perfekt zur Mode der 80er Jahre. Bald lag Naomi Campbell die ganze Welt zu Füßen, zumindest aber eine ganze Reihe von Starfotografen und Topdesignern.

Supermodel und Superzicke


Aber, aber, aber ... Wer mit dieser Diva zusammenarbeitet oder gar - lebt, der muss sehr leidensfähig sein. Schon 1993 wurde sie von der amerikanischen Topagentur Elite rausgeschmissen mit der Begründung: "Kein Geld und kein noch so großes Prestige könnten noch rechtfertigen, was sie unseren Angestellten und Kunden zumutet." Kein Geld, das hieß damals immerhin zehn Prozent von 60.000 Mark Tagesgage für die Agentur. Später, als sich auch das Haus Versace von seiner Ikone trennte, sprach man sogar von 100.000 Dollar pro Tag.

Naomi Campbell ist eben nicht nur Supermodel, sondern auch Superzicke. Ihre notorische Unpünktlichkeit, die so manche Präsentation und Produktion platzen ließ, ist da noch das geringere Übel. Problematischer sind die legendären Wutausbrüche, bei denen einem aber auch wirklich alles um die Ohren fliegen kann, so dass man schon nicht mehr von Handgreiflichkeiten, sondern von Körperverletzungen sprechen muss.

Live und in Farbe ist sie die Göttliche, die Unberührbare, die Unerreichbare, schwarz auf weiß aber hat sie eine Spur der Verwüstung hinterlassen. Erst vor wenigen Wochen wieder soll sie zugeschlagen haben - eine Anschuldigung, die ihr Chauffeur in der Presse kurz darauf zurücknahm, denn, so Naomi Campbell: "Ich versuche, jedermann mit Respekt zu behandeln." Sie habe hart an sich gearbeitet und lasse ihre Vergangenheit nicht mehr gegen sich verwenden.

Die Schöne und das Biest - in einem


Zumindest scheint der Schönen das Biest, das in ihr steckt, bewusst zu sein. Schon vor Jahren ließ sie sich in einer Spezialklinik behandeln. In einem Interview sagte sie, dass mangelndes Selbstbewusstsein der Grund ihrer Wutausbrüche sei. Und das Gefühl der Einsamkeit in ihrer Kindheit.

Dazu muss man wissen, dass Naomi Campbell ihren Vater nicht kennt und ihre Mutter, eine aus Jamaika stammende Tänzerin, sie in die Obhut der Eltern gab. Sie sei eine Frau, die sich inständig nach Zuneigung und Liebe sehne. "Wovor ich am meisten Angst habe, ist, dass ich am Ende unverheiratet bleibe, nicht den richtigen Mann finde und keine Kinder habe." Das sagte sie als 23-Jährige, als sie bereits den autobiografischen Roman "Swan" veröffentlichte und es bis zur Verlobung mit dem U2-Bassisten Adam Clayton gebracht hatte.

Hochzeit und Kinder - daraus ist bis heute nichts geworden. Dennoch hat Campbell der Welt jetzt schon eine Menge hinterlassen. Nicht so sehr durch das Bedienen der Klatschspalten, das in Großbritannien zu einem gewonnenen Rechtsstreit gegen den "Daily Mirror" geführt hat, der in Sachen Persönlichkeitsrechte so bedeutend ist wie bei uns das sogenannte Caroline-Urteil.

Sie ist immer noch gut im Geschäft


Auch ihre Antidiskriminierungsrolle sollte man vielleicht nicht so hoch hängen, wie sie es selbst tut, obwohl sie es als erstes dunkelhäutiges Model auf den "Vogue"-Titel brachte und als ebensolches einen Lizenzvertrag für Parfümwerbung bekam. Nein, man muss sehen, was sie ist: ein Dinosaurier aus der Ära der Supermodels, die sie mitprägte und aus der uns auch andere Gesichter und Namen vertrauter sind - Cindy Crawford, Linda Evangelista, Christy Turlington, Elle MacPherson und, ja, ja, Claudia Schiffer - als jene Namenlosen der heutigen Zeit, die kaum aus Fleisch und Blut sind und so schnell gehen, als wären sie nie da gewesen.

Naomi Campbell hat unser Leben und unsere Träume über Jahrzehnte bebildert, auch in Filmen und Videos, und sie ist im vergänglichsten Geschäft der Welt immer noch ganz gut dabei, mit ihren Parfüms, mit Louis Vuitton oder zuletzt auch mit H&M. Keine Frage: die Frau hat Klasse - und womöglich einen sehr schwierigen Charakter. Aber immerhin: sie hat einen.