An diese EM werden wir noch Tage zurückdenken. Zeit für die Redaktion, total subjektiv Bilanz zu ziehen: Was hat uns positiv überrascht? Woran wollen wir uns lieber nicht erinnern?

Polen - An diese EM werden wir noch Tage zurückdenken. Zeit für die Redaktion, total subjektiv Bilanz zu ziehen: Was hat uns positiv überrascht? Woran wollen wir uns lieber nicht erinnern?

 

Top 1: Marco Reus Wie lustig war es doch vordem, dämliche Fußballersprüche zu zitieren, damit konnte noch der größte Streber sich einschleimen. Aber aufgemerkt! Fußballer sind nicht mehr dämlich (Ausnahmen – Balotelli, Cassano – bestätigen die Regel), zumindest haben sie ein paar gar nicht dämliche Sprüche drauf. Marco Reus zum Beispiel, der gerade 23-jährige Gladbacher Spieler mit den blonden Stachelsträhnchen. Nuschelt ein bisschen, hat’s aber faustdick hinter den Ohren. Auf die Frage einer chinesischen Reporterin, ob ihm schon jemand gesagt habe, dass seine Frisur viel schöner sei als die von Mario Gomez, erwies er sich als grinsender Meisterdiplomat: „Ich versuch’ das Bestmögliche aus mir rauszuholen. Wir wissen alle, dass Mario auch eine schöne Frisur hat. Aber, wie Sie gerade gesagt haben, über meine Frisur geht nichts.“ Und zeigte, dass die Dämlichkeit zuweilen am anderen Ende des Mikros daheim ist. jus

Top 2: Giovanni Trapattoni

Inhaltsfreie Phraseologie war in jeder Hinsicht Markenzeichen der EM, vor allem in zahlreichen live (!) ausgestrahlten Pressekonferenzen und den Binsen, die in den Interviews nach Spielende gedroschen wurden. Schön, dass wenigstens einer aus der Reihe getanzt ist: der unvergleichliche Giovanni Trapattoni, der nach dem letzten Vorrundenspiel seiner Iren vor dem Mikrofon des deutschen Reporters derart kurios zwischen englischer, deutscher und italienischer Zunge wechselte, dass am Ende selbst der Mister nicht mehr wusste, was genau er sagen wollte. „At this Time they dominieren uns“, die „Opponente“ werden „defending“, er selbst werde „actualmente“, da ja erst 73 Jahre alt, „Trainer von die Irish Team bleiben“. Rührend. Und ein trefflicher Beleg, wie viel in diesem Spiel von launigen Zufällen und Missverständnissen abhängt. Ich habe fertig. juw

Top 3: Matthias Opdenhövel

Er kommt ja ursprünglich aus der Abteilung Lustig („Wok WM“ und so!), aber dass er auch Sport kann, wissen wir spätestens jetzt. Durch unglückliche Umstände – Gerhard Delling musste wegen seiner kranken Mutter abreisen – wurde aus dem Reporter Opdenhövel der Moderator. Ein Notnagel? Nein! Ein Glücksfall. Denn: 1. Er ist witzig, und zwar authentisch. 2. Er beherrscht verbale Doppelpässe. Beispiel? Es geht um Wayne Rooney, Opdenhövel fragt Scholl: „Hast du deine Haare auch gekauft?“ Der antwortet schlagfertig: „Ich hab gar nicht wenig Haar. Ich habe sie jetzt nur mehr auf dem Rücken.“ Opdenhövel legt trocken nach: „Das ist mehr Information, als man sich wünscht.“ 3. Er hat so viel Expertenwissen, dass der offizielle Experte neben ihm alt aussieht. 4. Seine Brille ist cooler als die von Reinhold Beckmann. cle

Flop 1: der Ostseestrand

Ich gebe zu, ich war sehr sehr unzureichend informiert über die TV-EM-Pläne von ARD und ZDF. Und als ich dann zum ersten Mal an irgendeinem Spielabend im Zweiten Katrin Müller-Hohendings mit Sepp Maier an ihrem Stehpult am Ufer eines weiten Meeres sah, da dachte ich, boah, das ZDF hat ja echt weder Kosten noch Mühen gescheut, die haben ihre Zelte sogar vor Ort am Schwarzen Meer aufgeschlagen. Als dann aber der Kameraschwenk durchs Publikum kam in locker-lässiger urdeutscher Freizeitbekleidung, da wusste ich: Das kann nur die Ostsee sein. Welch ein Quatsch! Und das von meinen Gebühren. schl

Flop 2: Verlängerung

Schlimme Bilder, das: zwei mal 45 Minuten sind sie gerannt, haben früh gestört, Pressing gemacht, entschlossen verteidigt, die Seiten gewechselt, und nichts ist dabei rausgekommen als ein – womöglich torloses – Unentschieden. Und dann geht es in die Verlängerung. Eine schöne Gelegenheit für die Werbezeitvermarkter, nochmal 30 Minuten Sendezeit zu schinden, für den Fußballsport aber kein Gewinn. Das Spiel ist so schnell, taktisch so anspruchsvoll geworden, dass die Spieler, Ausdauertraining hin oder her, nach zwei Halbzeiten einfach platt sind – jedenfalls diejenigen der offensiveren Mannschaft. Deshalb machen die das Tor, die sich vorher weniger angestrengt haben. Hey, Verbände, gebt dem Golden Goal noch mal eine Chance, oder schickt sie gleich ins Elfmeterschießen, egal, aber setzt diesem Elend ein Ende! jus

Flop 3: das Logo

Weil man Niederlagen sportlich nehmen muss, geht es in Ordnung, dass uns der Italiener aus dem Turnier gekickt hat. Dass die Siegtreffer x-mal wiederholt wurden, war also nicht schlimm. Schlimm war, dass sich dabei wieder ein unvermeidlicher optischer Unfall ereignet hat: der Aufprall des EM-Logos auf die Netzhaut! Der Angriff des ins Bild wirbelnden Tulpenballs auf den Sehnerv! Die Beleidigung des ästhetischen Empfindens durch die bunte Floristik, die uns daran erinnert, dass an der Pop-Art nicht alles gut war. Designer im Drogenrausch! Jetzt ist der psychedelische Spuk vorbei. Danke, Balotelli! rm