Johannes „Jogi“ Bitter hatte großen Anteil daran, dass der TVB 1898 Stuttgart auch in der kommenden Saison in der Handball-Bundesliga spielt. Am Montag ist Trainingsauftakt der „Wild Boys“.

Freizeit & Unterhaltung : Ingmar Volkmann (ivo)

Stuttgart - Wer mit Johannes „Jogi“ Bitter auf Augenhöhe sein möchte, braucht eine Leiter, einen Hocker oder besser gleich einen mittelhohen Berg. Der Torwart des TVB Stuttgart misst gewaltige 2,05 Meter und hatte in seiner Riesenhaftigkeit entscheidenden Anteil daran, dass die Wild Boys auch nächste Saison in der Handball-Bundesliga spielen. Diesen Montag versammeln sich Bitter und seine Mannschaftskollegen wieder zum Training. Zeit, sich dem Riesen einmal außerhalb seines Kastens zu nähern.

 

Bitter gehört zu den Sportlern, deren Horizont nicht nur bis zum Spielfeldrand reicht. Auf seiner Website wird der Besucher von einem Zitat der Hip-Hop-Band Beginner aus dem Song „Gustav Gans“ begrüßt („Vieles erreicht, weil vieles gegeben / doch letzten Endes hab ich bloß Glück, ich liebe das Leben“), das die sportlichen Erfolge des Weltmeisters und Champions-League-Siegers ein Stück weit relativiert. „Das Lied erinnert mich daran, dass man vieles, aber nicht alles beeinflussen kann und dass man sich selbst nicht zu ernst nehmen sollte“, sagt Bitter.

Dank Bitters Paraden wurde Deutschland vor genau zehn Jahren Weltmeister

Dabei hätte der Torhüter des TVB tatsächlich allen Grund, sich selbst ganz gut zu finden. Vor genau zehn Jahren war er Teil der deutschen Handball-Nationalmannschaft, die kurz nach dem Sommermärchen der Fußballer die nächste sportliche Erfolgsgeschichte made in Germany präsentierte.

Im Gegensatz zu Klinsmanns Elf wurden die Handballer sogar Weltmeister im eigenen Land. Gemeinsam mit Trainer Heiner Brand, dem Schnauzbart der Nation, und Typen wie Pascal Hens, der mit „Pommes“ zwar den besseren Spitznamen, aber die schlechtere Frisur als Bitter trug, hatte der Torwart entscheidenden Anteil am Finalsieg gegen Polen. Bitter hielt die deutsche Führung fest, als es darauf ankam.

Der Druck im Abstiegskampf hatte eine andere Intensität

Dabei hält er von Edelmetall gar nicht mal so viel. „Die Medaille hat noch bei der Feier eine Macke abbekommen, was eindeutig für die Party spricht. Wo sie heute ist, weiß ich gar nicht, die steckt wahrscheinlich in irgendeinem Karton“, sagt Bitter und weiter: „Ich bin nicht der Typ, der solche Sachen an die Wand hängt. Die schönsten Erinnerungen habe ich Kopf.“

Mit dem HSV Hamburg gewann Jogi Bitter neben der deutschen Meisterschaft auch die Champions League. Kam es da nicht einer unglaublichen Umstellung gleich, nach Stuttgart zu wechseln? „Ja. Einerseits kann man sich in Stuttgart über Erfolge ganz anders freuen. In Hamburg waren Siege Routine.“

Andererseits sei der Abstiegskampf am Ende eine enorm intensive Erfahrung gewesen: „Die letzten acht Wochen der Saison waren brutal, der Druck war so hoch wie selten zuvor. Bisher ging es in meiner Karriere immer darum, etwas zu erreichen. Dieses Mal hieß die Mission, etwas zu vermeiden: Das hat viel Kraft gekostet.“

Bitter beweist: Man muss kein Tor sein, um ins Tor zu gehen

Apropos Kraft, mal ganz grundsätzlich: Ist man nicht komplett lebensmüde, wenn man sich beim Handball ins Tor stellt? „Das finde ich nicht. Im Gegenteil, es ist der dankbarste Job. Du bist die letzte Instanz und kannst zum Helden werden. Und wenn dich der Ball am Kopf trifft, ist das wenigstens kein Tor“, so Jogi Bitter.

Der 34-Jährige ist ein Beweis, dass man kein Tor sein muss, um freiwillig ins Tor zu gehen – oder von Hamburg nach Stuttgart zu ziehen. Als Bitter zum TVB wechselte, ließ er sich seine Wohnung nicht vom Verein stellen, sondern suchte über Airbnb eine Bleibe im Remstal. „Ich wusste, dass das nur übergangsweise sein würde, weil ich dort wohnen will, wo ich lebe, und nicht, wo ich arbeite.“

Für ihre Aufnahmen mit Bitter steigt die Kamerafrau auf einen Hocker

Längst lebt der Riese mitten in Stuttgart. „Anfangs habe ich die Stadt aus der Perspektive des Exil-Hamburgers als eng und erdrückend empfunden. Wenn früher vom Kessel die Rede war, habe ich das nie kapiert. Wenn man dann mal hier lebt, merkt man aber schnell, dass die Luft in Hamburg einen Ticken frischer ist“, so Bitter. „Andererseits staune ich immer wieder darüber, wie open minded die Stuttgarter sind. Der Grundton in Hamburg ist eindeutig etwas ranziger.“

Seine Wahlheimat hat Bitter längst auch gastronomisch erkundet. Für das Interview schlägt er das Café Da im Bohnenviertel vor. In dem kleinen Café, das immer noch den Status eines Geheimtipps innehat, wird ein ausgezeichneter Cold Brew Coffee serviert. Mit dem Dorotheen-Quartier hat er sich ebenfalls schon auseinandergesetzt: „Ich finde es sehr charmant, dass es keine Passage, sondern eine Fußgängerzone geworden ist und man nicht in irgendeinem Verschlag flaniert. Das Dach ist aber etwas gewöhnungsbedürftig. Am Anfang dachte ich, das sind Fotovoltaikanlagen.“

Der riesenhafte Jogi Bitter gehört wahrscheinlich zu den wenigen Stuttgartern, die sich kaum strecken müssen, um auf das Dach des Dorotheen-Quartiers zu blicken. Falls wir es noch nicht gesagt hatten: Der gebürtige Oldenburger ist wirklich unglaublich groß. So groß, dass eine Kamerafrau des SWR bei der Pressekonferenz zur Vertragsverlängerung von Bitter auf einen extrahohen Schemel steigen musste, um Bilder auf Augenhöhe mit dem Weltmeister-Torwart einfangen zu können.