Mobbing setzt immer mehr Schülern und Arbeitnehmern zu. Es sind nicht nur Außenseiter, die unter diskriminierenden Attacken zu leiden haben. Vor allem der Psychoterror übers Internet nimmt erschreckende Dimensionen an.

Wochenend-Magazin: Markus Brauer (mb)

Stuttgart/Berlin - Als Reaktion auf den tragischen Tod einer elfjährigen Grundschülerin der Hausotter-Grundschule im Berliner Bezirk Reinickendorf ist eine Debatte über Mobbing entbrannt. Dabei ist bislang weder die genaue Todesursache geklärt, noch ist sicher, ob Mobbing zu dem mutmaßlichen Suizid führte.

 

Wir erklären, was Mobbing ist, wer davon betroffen ist und was man als Betroffener gegen solche Attacken tun kann.

Woher kommt der Begriff Mobbing?

Der Begriff ist relativ neu, das Phänomen ist alt. Schon die antiken Römer wussten um die Tücken zwischenmenschlicher Beziehungen. Sie sprachen als Erste vom „mobile vulgus“, was so viel bedeutet wie wankelmütige Masse oder aufgewiegeltes Volk.

Der Begriff Mobbing taucht erstmals in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts auf, entlehnt aus dem Englischen „to mob“ (anpöbeln, schikanieren, anfeinden). Das deutsche Wort „Mob“ meint eine Masse von Leuten, die sich zusammenrotten.

Was versteht man heute unter Mobbing?

Der erste Forscher, der den Terminus verwendete, war der österreichische Zoologe und Verhaltensforscher Konrad Lorenz (1903-1989). 1963 prägte er den Begriff Mobbing, worunter er Gruppenangriffe von Tieren auf einen Fressfeind oder einen überlegenen Gegner verstand.

Als Begründer der Mobbing-Forschung gilt der schwedische Arzt Peter-Paul Heinemann (1931-2003). 1969 löste er mit Artikel über Apartheidsphänomene und Mobbingverhalten eine gesellschaftliche Debatte aus. Heinemann versteht Mobbing als Verhalten von Gruppen, die eine sich von der Norm abweichend verhaltende Person attackieren.

Seit wann wird Mobbing mit der Arbeitswelt in Verbindung gebracht?

Ende der 1970er Jahre begann der Arbeitswissenschaftler Heinz Leymann mit seinen Forschungen über Angriffe, Ausgrenzungen und Psychoterror im Berufsleben. 1993 veröffentlichte er den Ratgeber „Mobbing: Psychoterror am Arbeitsplatz und wie man sich dagegen wehren kann“.

Leymann listet darin einen Katalog von 45 Handlungen auf, anhand dessen man das Mobbing nach objektivierbaren Kriterien diagnostizieren kann.

In welchen Variationen tritt Mobbing auf?

Es gibt unzählige Möglichkeiten, einen Menschen fertigzumachen: Man kann ihn ausgrenzen, hinter seinem Rücken tuscheln, ihn beschimpfen, bei Vorgesetzten anschwärzen oder bei Kollegen schlechtmachen. Wann die Grenze des Erträglichen erreicht ist, liegt am Belastungspotenzial des Einzelnen.

Mobbing beginnt in der Regel ganz harmlos mit einer schlüpfrigen Bemerkung oder einer kleinen Boshaftigkeit. Schnell kann es beim Gemobbten zu Frust, Zorn und Aggression führen, was zu chronischen Krankheiten, Burn-out, Depression oder Suizid führen kann.

Was unterscheidet Mobbing von Tratsch?

Wenn der Prozess der gesellschaftlichen Ausgrenzung regelmäßig und über einen längeren Zeitraum stattfindet und der Gemobbte zum dauerhaften Opfer der Verachtung wird, kann von Mobbing gesprochen werden.

Mobbing stellt keine einmalige Attacke und kurze Episode gegen Außenseiter und Schwächere dar. Was es so bedrohlich und zum massiven Angriff auf die Menschenwürde macht, ist die Summe des böswilligen Stänkerns und der üblen Nachrede.

Wie wird Mobbing definiert?

Leymann definiert Mobbing als „konfliktbelastete Kommunikation am Arbeitsplatz unter Kollegen oder zwischen Vorgesetzten und Untergebenen“, die für den Betroffenen schwerwiegende seelische und körperliche Folgen haben kann.

Die Hamburger Gender-Forscherin und Anwältin Silke Martini beschreibt Mobbing als „Prozess der systematischen Ausgrenzung und Erniedrigung eines Menschen, die von einer oder mehreren Personen betrieben wird“.

Wie urteilen die Gerichte über Mobbing?

Als erstes deutsches Gericht sprach das Bundesarbeitsgericht 1997 von Mobbing und verstand darunter das „systematische Anfeinden, Schikanieren oder Diskriminieren von Arbeitnehmern untereinander oder durch Vorgesetzte“.

Das Landesarbeitsgericht Thüringen 2001 formulierte es so: Mobbing ist die „fortgesetzte, aufeinander aufbauende und ineinander übergreifende Anfeindung, Schikane oder Diskriminierung“.

Wie verbreitet ist Mobbing?

Der Bundesanstalt für Arbeitsschutz und Arbeitsmedizin zufolge wird jeder neunte Berufstätige im Laufe seines Arbeitslebens mindestens einmal Opfer fortgesetzter Schikane. Nach Schätzungen des Instituts für Markt- und Sozialforschung und des Statistischen Bundesamts sind in Deutschland knapp zwei Millionen Arbeitnehmer von Mobbing betroffen.

Eine ähnliche Größenordnung nimmt auch der Arbeitspsychologe und Mobbingforscher Dieter Zapf von der Universität Frankfurt am Main an. Er geht davon aus, dass 3,5 bis 4,5 Prozent der Arbeitnehmer in Deutschland am eigenen Leib erfahren müssen, was die Hetze unter Kollegen anrichten kann.

Wie ist die Situation an Schulen?

Nach Einschätzung des Potsdamer Mobbing-Forschers Sebastian Wachs kommt Mobbing an jeder Schule vor. „Schätzungen zufolge sind etwa zehn Prozent der Schüler betroffen – als Opfer, Täter oder beides“, so der Wissenschaftler und Autor („Mobbing an Schulen“).

2017 ergab eine Untersuchung im Rahmen der internationalen Pisa-Bildungsstudie, dass in Deutschland fast jeder sechste 15-Jährige (15,7 Prozent) regelmäßig Opfer teils massiver körperlicher oder seelischer Misshandlung durch Mitschüler wird.

In einer anderen Studie, „Cyberlife II“, gaben ebenfalls 2017 ein Viertel der befragten Schüler an, schon einmal von Mobbingattacken betroffen gewesen zu sein. Gut die Hälfte davon (13 Prozent) fühlten sich als Opfer von Cybermobbing, einer digitalen Spielart: Statt auf Schulflur oder Pausenhof herumgeschubst, erpresst oder geschlagen zu werden, passiert das Mobbing im Netz. Über WhatsApp-Gruppen oder andere Kanäle werden Opfer übel beschimpft, Lügen und Gerüchte werden in die Welt gesetzt – gerne auch anonym.

Wer sind die Täter und Opfer?

Gemobbt wird überall: in Dax-Konzernen und Krankenhäusern, in Kindergärten und Handwerksbetrieben, in Schulen und im Internet. Niemand ist vor den fiesen Übergriffen sicher. Die Forscher haben einen ganzen Katalog an Mobbing-Unarten erstellt: Ist der Mobber ein Vorgesetzter, spricht man von „Bossing“. Beim Staffing quälen Mitarbeiter ihren Chef. Experten gehen davon aus, dass die Bossing-Quote bei bis zu 70 Prozent liegt.

Was sind die Ursachen von Mobbing?

Schlechte Organisation, Führungsschwäche und soziale Inkompetenz von Vorgesetzten, unsichere Arbeitsplätze, schlechtes Arbeitsklima, Stress, Arbeitsdruck sowie Langeweile erhöhen die Gefahr, dass Mitarbeiter aneinandergeraten.

Zapf sieht die Ursachen für Mobbing vor allem in strukturellen Defiziten: Je schlechter ein Unternehmen geführt wird, je unklarer die Zuständigkeiten in den einzelnen Abteilungen sind, umso eher wird Mobbing zum Problem. Mobbing am Arbeitsplatz geschieht immer auf dem Rücken der Beschäftigten. Damit geht es immer auch zulasten der Produktivität, von Innovation und Effizienz.

Ist jeder Mobbing-Vorwurf berechtigt?

Nein. Bei der Bewertung sollte man sich vor Klischees hüten. Nicht jeder Mitarbeiter, der sich von seinem Vorgesetzten schlecht behandelt fühlt, wird gemobbt. Mitunter werden die Vorwürfe auch dazu benutzt, um Kollegen und Chefs zu denunzieren.

Frauen sind im Übrigen sehr viel häufiger von Mobbing-Angriffen betroffen als Männer. Dies hängt zum einen damit zusammen, dass Männer mehr Führungspositionen innenhaben und damit von vornherein in der Rolle des Stärkeren sind. Zum anderen sind Frauen eher als Männer bereit, über Ausgrenzung und die dadurch verursachten physischen und psychischen Probleme zu sprechen.

Welche Folgen kann Mobbing haben?

Bei den Betroffenen können die Auswirkungen verheerend sein. Sie reichen laut Mobbing-Report von Demotivation über Misstrauen und Nervosität über sozialen Rückzug, Ohnmachtsgefühle und innere Kündigung bis hin zu Leistungsblockaden, Selbstzweifeln und Angstzuständen.

In fast einem Viertel aller Fälle sehen Gemobbte ihren einzigen Ausweg in der Kündigung. Die Unternehmen kann dies teuer zu stehen kommen: Kündigungsschutz-Prozesse verschlingen viel Geld und belasten das innerbetriebliche Klima.

Was meint Cyber-Mobbing und Cyber-Bullying

Wenn Schüler stänkern, spricht man von Bullying – einem besonders aggressiven Verhalten, das als eine spezifische Form schulischer Gewalt und sozialer Ausgrenzung auftritt. Immer mehr Jugendliche werden Opfer von Cybermobbing. Getuschel auf dem Schulhof, Hänseleien auf dem Heimweg – das war einmal. Die Pennäler von heute tragen ihren Zoff online aus.

In sozialen Netzwerken wie Facebook, durch Internetvideos auf You Tube oder per Handy auf Whats App oder SMS wird gemobbt, beleidigt und genervt. Wer der Angreifer aus dem virtuellen Hinterhalt ist, bleibt meistens im Dunkeln. Selbst wenn ein Mitschüler als Cybermobber entlarvt wird, hat sein schikanöses Treiben nur selten gravierende Folgen.