Um 1900 haben sie einen wahren „Plakatwahn“ ausgelöst: die Arbeiten von Künstlern wie Jules Chéret, Henri de Toulouse-Lautrec und Alfons Mucha. Die Galerie Stihl zeigt nun unter dem Titel „La Bohème – Toulouse-Lautrec und die Meister von Montmartre“ rund 100 Beispiele der beliebten Werbeplakate.

Waiblingen - Der Chef des Pariser Konzertcafés „Ambassadeurs“ war alles andere als angetan von diesem Werbeplakat. Es zeigt den beliebten Komödianten Aristide Bruant, dessen Abbild der Künstler Henri de Toulouse-Lautrec auf das Wesentliche reduziert hat. Zu viel der Abstraktion, befand der empörte Auftraggeber über das Bildnis des Mannes mit schwarzer Jacke, schwarzem Hut und rotem Schal. Kurzerhand gab er bei einem anderen Künstler ein neues Plakat in Auftrag – hatte aber die Rechnung ohne Aristide Bruant gemacht: Der machte seinen Auftritt im „Ambassadeurs“ davon abhängig, dass mit dem Plakat seines Freundes Toulouse-Lautrec dafür geworben wurde.

 

Erfolgreich, aber auch umstritten: „Henri de Toulouse-Lautrec hat auch gezielt Skandale provoziert“, sagt Barbara Martin, die sich intensiv mit dem französischen Künstler beschäftigt hat. Das Ergebnis ist die Ausstellung „La Bohème – Toulouse-Lautrec und die Meister von Montmartre“, die von kommendem Samstag an knapp 100 Beispiele französischer Plakatkunst aus der Zeit um 1900 zeigt. Das Bildnis von Aristide Bruant ist nur eines von vielen bekannten Beispielen – und das ein oder andere Werbeplakat dürfte bei etlichen Besuchern der Ausstellung schon die Wände geschmückt haben.

Ungeschönte Darstellungen und „Muchas Makkaroni“

Denn die Plakatkunst des späten 19. und frühen 20. Jahrhunderts spricht bis heute die Menschen an – seien es Toulouse-Lautrecs ungeschönte Darstellungen aus dem Varieté Moulin Rouge, wo die Cancan-Tänzerin Louise Weber beim Tanzen ihre Unterwäsche zeigt, seien es die ornamentreichen Plakate von Alfons Mucha, der mit Goldfarbe nicht geizte und gerne Damen mit üppig wallendem Haar zeigte. Von Zeitgenossen seien diese Frisuren, die fast ein Eigenleben entwickeln, als „Muchas Makkaroni“ verspottet worden, erzählt Barbara Martin.

Théophile-Alexandre Steinlen hat sich gleichfalls über Mucha lustig gemacht, der seinen Grazien häufig eine Art Heiligenschein verpasste. Steinlen setzt einen solchen dem grimmig blickenden, ziemlich struppigen schwarzen Kater auf, der auf einem Plakat für das Pariser Kabarett „Le Chat Noir“ warb. Tanzlokale, Kabaretts, Theater und Varietés warben in Paris für ihre Veranstaltungen. Dass die Stadt sich im späten 19. Jahrhundert zu einer modernen Metropole wandelte, dass enge verwinkelte Gassen breiten Boulevards Platz machten, war ein Grund dafür, dass Werbeplakate eine Blütezeit erlebten. Angesichts der großen Begeisterung war von „Affichomanie“, „Plakatwahn“, die Rede. Erst die großen Boulevards boten genügend Platz und Passanten für Plakatwände, die als eine Art Galerie unter freiem Himmel fungierten. Barbara Martin spricht da von „einer Demokratisierung der Kunst für die breite Masse“. Denn nun konnte jeder sehen, was Künstler wie Jules Chéret erschufen.

Leuchtende Farben, klare Konturen

Letzterer ist ebenfalls mit vielen Exponaten in der Galerie Stihl vertreten. Mit leuchtenden Farben, klaren Konturen und (überlebens-)großen Figuren versuchte Chéret die Aufmerksamkeit von Passanten auf seine Plakate zu lenken. Auf Schrift verzichtete er weitgehend, sein Fokus lag auf der bildlichen Darstellung. Seine weiblichen Figuren, „Chéretten“ genannt, seien stets attraktive Blondinen mit ähnlichen Gesichtszügen gewesen, erklärt Martin.

Die Ausstellung zeigt auch Werbung für Zeitschriften, die einen immer größeren Einfluss bekamen, und für Konsumgüter wie Trinkschokolade oder Fahrräder. Sie verraten viel über die Mentalität der Zeit, über gesellschaftliche Entwicklungen und technische Neuerungen. Zur Emanzipation der Frau dürfte nicht nur die feministische Zeitung „La Fronde“ beigetragen haben, sondern auch das Fahrrad. Dass der Kauf eines Drahtesels von Clément auf alle Fälle ein Gewinn ist, zeigt schon der erste Blick auf ein Plakat in der Galerie: Vor der Skyline von Paris steht eine fesche Blondine in antikem Gewand, vor sich ein Rad und an den Füßen Flügelschuhe wie Perseus in der griechischen Mythologie. Ein Lorbeerkranz in ihrer Hand signalisiert: den Radfahrerinnen gehört die Welt.

Werbeplakate als Zeitzeugnisse

Galerie:
Die bisherige kommissarische Galerie-Leiterin, Barbara Martin, ist nun ausschließlich als Kuratorin tätig. Die Leitung hat Anja Gerdemann übernommen. Die 42-Jährige war zuletzt beim Hessischen Landesmuseum in Darmstadt tätig. Sie ist voraussichtlich bis Ende September im Amt.

Eröffnung:
Die Ausstellung „La Bohème“ wird an diesem Freitag, 25. Januar, um 19 Uhr in der Kunstschule Unteres Remstal, Weingärtner Vorstadt 14, eröffnet. Danach ist sie bis 22. April zu sehen.

Begleitprogramm:
Vorträge, ein Künstlergespräch und ein Filmabend widmen sich der Plakatkunst um 1900. Donnerstags ab 18 Uhr gibt es After-Work-Führungen, am 14. Februar und 4. April als Kuratorenführung mit Einblicken in die Entstehung der Schau.

Kunstschule:
Viele Workshops rund ums Thema Druck stehen in der Kunstschule an: zum Beispiel ein Kurs „Küchenlithografie“, bei dem mit Alufolie, Cola, Speiseöl und Ölkreide gearbeitet wird.