Emanuel Buchmann aus Ravensburg weckt bei seinem Tour-de-France-Debüt große Hoffnungen. Um diesen gerecht zu werden, baut ihn der Rennstall Bora-Argon behutsam auf.

Chef vom Dienst: Tobias Schall (tos)

Le Lauzet-Ubaye - Wer damit rechnet, dass einem ein junger Bursche gegenübersitzt, der große Augen macht wie ein kleines Kind, das erstmals in einem Süßwarenladen steht, wird enttäuscht.

 

Emanuel Buchmann, 22, hat es in den Süßwarenladen des Radsports geschafft, das gelobte Land der Zunft: die Tour de France. Nun sitzt der Ravensburger da auf einem Baststuhl im Foyer des Hotels La Lauzetane in Le Lauzet-Ubaye und gibt erstaunlich abgeklärt und emotionslos Auskunft über sein Debüt beim größten Radrennen der Welt. Er, den alle nur „Emu“ nennen, nestelt ein bisschen an einer Flasche Wasser, sein Blick geht ab und zu nach unten, schüchtern wirkt er, was auch nicht verwunderlich ist für einen wie ihn, den vor wenigen Wochen kaum einer kannte und der nun auf einmal als Versprechen gilt. Als Emu-Faktor im deutschen Radsport.

Emanuel Buchmann hat bei seiner ersten Tour de France schon viel erlebt. Das hohe Tempo, die Hektik der ersten Tage und die Leistungen der Topfavoriten am Berg, aber all das erschreckt den Fahrer des Zweitdivisionärs Bora-Argon 18 nicht: Er habe, sagt Buchmann, nichts gesehen, was ihm Angst mache. „Die Leistungen sind nicht übermenschlich“, sagt er. Auch die eines Christopher Froome nicht.

Dritter auf der Tourmalet-Etappe

Nun wäre es vermessen, einen Neoprofi wie Buchmann nach sieben Monaten in Brot und Lohn mit dem Briten zu vergleichen, aber grundsätzlich hat der Schlaks, der vor der Tour ja schon überraschend deutscher Meister wurde, Hoffnungen geweckt. Der deutsche Radsport sucht nämlich händeringend einen starken Rundfahrer, und nach seinem dritten Platz auf der Tourmalet-Etappe vor einer Woche glauben viele, diesen Mann gesehen zu haben: Buchmann, Emanuel. „Ich will mich von Jahr zu Jahr weiterentwickeln“, sagt er selbst: „Die Top Ten traue ich mir zu.“

Seit einigen Jahren sind deutsche Fahrer sprintstark wie Marcel Kittel oder André Greipel, schnell und robust für Klassiker wie John Degenkolb und zügig im Kampf gegen die Uhr wie Tony Martin. Das hat den Sport in Deutschland nach vorne gebracht, aber: Um die Radsportnation wieder zu begeistern, muss ein starker Rundfahrer her. Die letzten waren Jan Ullrich und Andreas Klöden, aber das waren Fahrer aus einer (im Idealfall) anderen Epoche des deutschen Radsports.

Der Ravensburger Buchmann fährt in einer Nische. Sein vor einer Woche mit Magenproblemen ausgestiegener Kapitän Dominik Nerz (25), selbst ein guter Klassementmann, sagt: „Wenn man ihm etwas Zeit gibt, wird er ein ganz Großer.“ Das will Bora tun, sagt der Teamchef Ralph Denk. Weniger als 70 Renntage wird Buchmann am Ende der Saison aufweisen, normal sind um die 100. Man lege viel Wert auf Regeneration, im August soll er vielleicht gar keine Rennen fahren. „Wir bauen ihn ganz behutsam auf und machen ihm keinen Druck.“

Emanuel Buchmann repräsentiert neben Fahrern wie dem ebenfalls hochveranlagten Sylvio Herklotz, 21, an dem übrigens Bora auch Interesse hat, eine neue Generation deutscher Radfahrer. Buchmann ist kein Kind des Ullrich-Booms. Er hat zwar als Kind mit Jan Ullrich bei der Tour mitgefiebert, wie er erzählt, aber der tief gefallen Toursieger war nicht der Impuls für die eigenen Radsportambitionen. Er war nie sein Vorbild.

Der Fall Buchmann zeigt: Leistungssport ist Glücksache

Ein Kumpel hatte Buchmann 2007, als das Denkmal Ullrich und der Radsport schon in Trümmern lagen, zum KJC Ravensburg mitgenommen. Er hatte Fußball und Handball gespielt, für letzteres war er mit 14 aber zu klein und zu schmächtig. Heute, mit 22, wiegt Buchmann bei 1,81 Meter nur 64 Kilo.

Sein Weg ist auch ein Beispiel dafür, wie viel Glück man im Leistungssport haben muss, wie zufällig manches doch ist. Und sie lässt erahnen, wie viele hoffnungsvolle Sportler wohl auf der Strecke bleiben: Ralph Denk sagt, dass es nicht leicht sei, deutsche Rundfahrer zu entdecken. Die Nachwuchsrennen in Deutschland seien nicht anspruchsvoll genug für potenzielle Klassementfahrer. So sei es entsprechend schwer, sich für Scouts in Szene zu setzen. „Sie fahren, wie Emmanuel, meist unter dem Radar“, sagt Denk. „Viele Talente hören unentdeckt auf .“ Auch der „Emu“ hatte als Junior nicht die großen Ergebnisse, doch er hatte Glück. Bora erkannte etwas Großes in ihm: einen starken Motor. Keinen, der auf Höchstgeschwindigkeit ausgelegt (Denk: „Endschnell ist er nicht “), sondern auf lange Laufleistung im hohen Bereich. „Er hat physisch alle Voraussetzungen und einen sehr guten Kopf“, sagt Denk.

Er hat sich auch schon einen Namen gemacht. John Degenkolb etwa schwärmt von Buchmann und dessen Potenzial, und nach der Tourmalet-Etappe kamen einige der großen Namen auf ihn zugerollt, um zu gratulieren, erzählt er stolz. Im Gesamtklassement liegt er mehr als 90 Minuten zurück. Es ist egal, noch. Er muss nicht jeden Tag Vollgas geben. Er kam ja ohnehin nur als Helfer zur Tour, erst nach dem Ausscheiden seines Kapitäns hat er freie Fahrt.

Die Beine seien wieder erholt, sagt der 22-Jährige. Vielleicht gelingt ihm noch ein Coup. Vielleicht an diesem Donnerstag, vielleicht am Tag danach, vielleicht gar die legendären Serpentinen hinauf nach Alpe d’Huez am Samstag. Vielleicht gelingt ihm auch gar nichts mehr bei dieser Tour. Das wäre egal. Er hat noch viel Zeit. Als der Name „Alpe d’Huez fällt, strahlt er aber.